Text:   Zeichner: Frank Miller

Sin City - 1. Stadt ohne Gnade (Black Edition)

Sin City - 1. Stadt ohne Gnade (Black Edition)
Sin City - 1. Stadt ohne Gnade (Black Edition)
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Marcel Scharrenbroich
10101

Comic-Couch Rezension vonDez 2023

Story

Düster, dreckig und brutal. „Sin City“ ist ein hartes Pflaster und garantiert nix für Weicheier.

Zeichnung

Über Millers zeichnerisches Potential lässt sich streiten, nicht jedoch über den künstlerischen Stil. Der sucht seinesgleichen.

Zeit- und kompromisslos

Für Goldie

„Sie sah aus wie ein Engel. Wunderschön und mit einem einnehmenden Duft, den man noch zehn Meilen gegen den Wind wahrnehmen würde. Als mich ihr Blick in der lausigen Bar traf, war es, als hätte mir Gott persönlich einen Blitz an den Schädel geknallt… und gleichzeitig seinen schönsten Engel auf die Erde geschickt. In eine Bar voller Abschaum und Säufer… in eine Stadt, die lediglich das Furunkel am Arsch eines Landes ist, das immer mehr vor die Hunde geht. Sin City, die Stadt der Sünde. Stadt der Gewalt und Korruption. Wo das Ungeziefer schon am Tag aus den Löchern kriecht. Sie wirkte so fehl am Platz… so verloren. Sie suchte Schutz. Dachte wohl, ein Kerl wie ich könnte sie vor demjenigen retten, der es auf sie abgesehen hatte. Hat sich den Typen mit der fiesesten Visage und dem breitesten Kreuz ausgesucht. Ich hätte es wissen müssen, war jedoch zu geblendet davon, dass eine Frau wie sie sich einem Ex-Soldaten mit Schlägervisage an den Hals wirft. Kommt halt nicht allzu oft vor. Nicht einmal hier, wo der Bodensatz der Menschheit sich bei Einbruch der Nacht die Klinke in die Hand gibt. Ich nehme mich davon nicht aus. Verdammt, vielleicht bin ich sogar der Schlimmste von ihnen. Dennoch – oder gerade deswegen – verschwanden wir gemeinsam aus der Bar. Nisteten uns in einer schäbigen Absteige ein, wo Goldie mir die Nacht meines Lebens schenkte. Wäre ich fähig zu Weinen, hätte ich Freudentränen vergossen, als sich ihr perfekter Körper an mich schmiegte. Sturzbetrunken und verschwitzt schliefen wir ein… doch nur ich wachte wieder auf.

Goldie war tot. Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen. Jedoch nicht einfach so. Jemand hatte sich Zutritt verschafft, während ich mit dem Verdauen von Schnaps und einer Handvoll Pillen beschäftigt war. Scheiße… ich war derart weg, dass sie unmittelbar neben mir getötet wurde. Goldies Angst in der Bar war echt. Sie hatte einen – oder mehrere – Verfolger. Noch bevor ich begriff, was sich in den letzten Stunden abgespielt haben muss, höre ich die herannahenden Sirenen. Irgendjemand muss den Cops gesteckt haben, dass hier ein Mord stattfand. Und ich war der gottverdammte Sündenbock. Polizeibekannt und mit einem Ruf, der sie schneller schießen lassen würde, als ich die Hände heben könnte.

Muss cool bleiben, einen klaren Kopf bekommen. Wenn ich es richtig anstelle, kann ich die Wichser auseinandernehmen, bevor sie bemerken, dass sie sich mit einer Ein-Mann-Armee angelegt haben. Und dann… dann fängt meine Arbeit erst richtig an. Ich werde denjenigen finden, der dir das angetan hat, Goldie. Und ich werde jeden töten, der mir dabei im Wege steht. Ich verfolge die Spuren zurück. Fange ganz vorne an. Vielleicht kannte man dich in der Bar. Fragen kostet nichts… doch bekomme ich nicht die Antworten, die mich weiterführen, können mich selbst die stärksten Pillen nicht mehr in Schach halten. Goldie, ich werde deinen Killer finden und ihm die Eingeweide rausreißen… und wen es das Letze ist, was ich tue.“

Kult

Es gibt unumstößliche Klassiker, die jeder Comic-Liebhaber gelesen haben sollte. Darunter Art Spiegelmans „Maus“, Neil Gaimans „Sandman“, „Watchmen“ von Alan Moore und den Batman-Meilenstein „Die Rückkehr des Dunklen Ritters“. Letzterer stammt aus der Feder von Frank Miller, der für MARVEL bereits „Daredevil“ neu definierte und mit „300“, „Hard Boiled“, „Wolverine“ oder „Ronin“ in den Comic-Olymp aufstieg. Sein vielleicht größter Erfolg ist die langlebige „Sin City“-Reihe, mit der Miller die kompletten 90er dominierte. Mit „Daredevil“ und „Batman“ hatte er seinen düsteren Noir-Ton bereits etabliert. Für den US-Publisher DARK HORSE, der „Sin City“ zuerst als Fortsetzungsgeschichte in seinem verlagseigenen Comic-Magazin Dark Horse Presents abdruckte, trieb er seinen markanten Stil auf die Spitze.

„Sin City“ besticht durch einen unverwechselbaren Zeichenstil. Klassisch, einem Crime-Noir-Stoff üblich, in schwarz-weiß. Miller setzt dabei auf den harten Kontrast und verzichtet gänzlich auf graue Abstufungen. Zentrales Element ist das Spiel mit dem Negativraum (=Negative Space), bei dem der leere Raum um ein zentrales Bildelement, dieses erst definiert. Die Kunst des Weglassens, könnte man auch sagen. Das erfordert für den Betrachter schon etwas Konzentration, da ausufernde Schattenspiele erst für Tiefe sorgen und damit den positiven Raum ins rechte Licht rücken. Nun muss man aber auch zugeben, dass Frank Miller nicht der größte Zeichner unter der Sonne ist, der es mit der Anatomie sowieso nicht ganz genau nimmt… was noch sehr versöhnlich ausgedrückt ist. Dafür erkennt man seine unverwechselbaren Arbeiten auf Anhieb. Stets kantig und sehr abstrakt. Auch wenn er mit aktuellen Cover-Arbeiten für MARVEL den Bogen zu sehr überspannt. Wenn man dafür offen ist, bekommt man mit „Sin City“ ein knallhartes, wegweisendes Noir-Action-Vehikel vor den Latz geknallt, welches auch nach rund dreißig Jahren nichts von seiner düsteren Faszination verloren hat. Roh, brutal und nach heutigen Moralvorstellungen ein ordentlicher Schlag in die Fresse. Dass die Geschichte dann noch aus der Sicht des Hauptprotagonisten erzählt wird, unterstreicht zusätzlich den Pulp-Charakter. Zartbesaitete, die schon bei flapsigen Sprüchen eines scheidenden TV-Moderators Schnappatmung bekommen, dürften hier im Dreieck springen. Tja, willkommen in Basin City, oder wie ich es liebevoll nenne… das Comic-gewordene Ruhrpott-Pendant.

Verfilmung mit später Fortsetzung

Es sollte bis 2005 dauern, bis man sich an den freilich nicht jugendfreien Stoff wagte. Comic-Verfilmungen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht an der Tagesordnung, obwohl Batman und Spider-Man schon zuvor mehrfach zu Kino-Einsätzen kamen. Von einer Übersättigung wie heute war man da aber noch Jahre entfernt. Da war es schon überraschend, dass man sich gerade eine derart unkonventionelle Vorlage aussuchte, wo man doch heutzutage so darauf bedacht ist, mit einer möglichst niedrigen Altersfreigabe, viele Zuschauer zu locken. Keine Chance, wenn man „Sin City“ auch nur annähernd adäquat umsetzen wollte. So kam es dann glücklicherweise auch, was dem Film hier die Freigabe ab 18 Jahren bescherte. Mit Recht!

Auf dem Regiestuhl nahm kein geringerer als Robert Rodriguez Platz, dem wir schon starke Genre-Werke wie „Desperado“, „From Dusk Till Dawn“ oder „The Faculty“ verdanken. Tatsächlich wird Frank Miller als Co-Regisseur aufgeführt, da Rodriguez dessen Stil als wegweisend für seine Machart des Films empfand. So sieht der Streifen auch aus, als wäre es eine 1:1-Kopie der Comic-Vorlage. Inklusive der prägnanten Schwarz-Weiß-Optik. Nicht verwunderlich, dass fast komplett vor einem Greenscreen gedreht wurden. In der Post-Produktion wurde dann der Comic-Effekt kreiert. Nur wenige Elemente werden farblich dargestellt. Mal eine markante Haarfarbe, mal ein bestimmtes Outfit, dann wieder Blut… von dem so einiges vergossen wird. So hielt Miller es bereits in der gezeichneten Vorlage. Rodriguez, der auch bekannt dafür ist, bei seinen Filmen gleich mehrere Posten (Regie, Musik, Kamera, Schnitt) zu bekleiden, schrieb für die symbolische Gage von einem Dollar die Filmmusik von Quentin Tarantinos Rache-Epos „Kill Bill - Volume 2“, weshalb sich der alte Freund und Weggefährte mit der Gastregie einer dialoglastigen Szene revanchierte. Miller, der zuvor bereits die Drehbücher zu den beiden „RoboCop“-Fortsetzungen verfasste, hat neben einem Cameo-Auftritt auch gleich das Skript zu „Sin City“ beigesteuert, welches gleich auf mehreren Comic-Geschichten basiert. Selbstverständlich ist auch „Stadt ohne Gnade“, der allererste Band der Reihe, ein wichtiges Element im Film. Nach „Sin City“ dachte Miller leider, dass er selbst einen Comic-Film auf die Beine stellen könne, was 2008 ordentlich in die Hose ging. Er adaptierte Will Eisners Kultfigur „The Spirit“ in einem ähnlichen Stil, ging jedoch mit vernichtenden Kritiken (trotz Star-Aufgebots!) sang- und klanglos unter. Ebenfalls mit Recht.

„Sin City“ ist nicht minder hochkarätig besetzt. Stars wie Bruce Willis, Clive Owen, Benicio del Toro, Elijah Wood, Rutger Hauer, Michael Clarke Duncan, Rosario Dawson, Alexis Bledel, Josh Hartnett, Jaime King, Jessica Alba, Carla Gugino, Brittany Murphy und Michael Madsen geben sich hier im Minutentakt die Klinke in die Hand. Am beeindruckendsten ist aber die brachiale Performance von Mickey Rourke („Angel Heart“, „The Wrestler“), den man verdeckt von kantigen Prosthetics als rachsüchtigen Marv kaum erkennt. Hier liefert echt jeder ab, was „Sin City“ zu einem kunstvoll-brutalen Meisterwerk macht.

Überraschend ist es daher, dass es bis 2014 dauerte, bis man sich an eine Fortsetzung wagte. Bei „Sin City 2: A Dame to Kill For“ teilten sich erneut Rodriguez und Miller den Regieposten, mussten aus unterschiedlichen Gründen auf bekannte Gesichter des Erstlings verzichten. Michael Clarke Duncan („The Green Mile“) verstarb bereits 2012. Seine Rolle wurde im Sequel von Dennis Haysbert („Die Indianer von Cleveland“, „24“) verkörpert. Clive Owen wurde durch Josh Brolin ersetzt, während die tödliche Miho an Stelle von Devon Aoki („2 Fast 2 Furious“) nun mit Jamie Chung („Gotham“, „The Gifted“, „Lovecraft Country“) besetzt wurde. Neu im Team waren Joseph Gordon-Levitt, Eva Green, Stacy Keach, Christopher Lloyd, Ray Liotta, Juno Temple, Christopher Meloni und Lady Gaga. Das änderte jedoch nicht viel daran, dass die arg verspätete Fortsetzung zum Kassenflop wurde. „Sin City 2: A Dame to Kill For“ war einfach ein Sequel, nach dem niemand wirklich gefragt hatte. Kein schlechter Film an sich, qualitativ jedoch mehrere Ecken vom genialen Vorgänger entfernt.

Schwarz

Gerade die deutschsprachige Veröffentlichung der Comic-Reihe lässt sich als recht abenteuerlich beschreiben. Erschien rund die erste Hälfte der Saga ab 1994 noch im CARLSEN Verlag (jeweils als Softcover und nummeriertes Hardcover), wechselte die Reihe ab 1999 zu SCHREIBER & LESER. Erst im Zuge der Verfilmung hat sich CROSS CULT 2005 die Lizenz geschnappt und „Sin City“, ganz im Sinne der US-Neuausgaben, in sieben Bänden veröffentlicht. 2011 legte man eine weitere Auflage mit neuen Cover-Motiven nach, die mittlerweile aber auch schon wieder verlagsvergriffen ist.

Da „Sin City“ nicht ohne Grund als Comic-Meilenstein bezeichnet wird, wäre es regelrecht dumm, würde man die Reihe nicht wieder verfügbar machen. So erstrahlt Frank Millers Noir-Meisterwerk nun in der sogenannten Black Edition in neuem Glanz. Der erste Band verfügt über einen kleinen (aber feinen!) Bonusteil, in dem wir einige Cover- und Werbe-Artworks von Frank Miller zu sehen bekommen. Mit Erscheinen des abschließenden siebten Bandes, „Einmal Hölle und zurück“, bringt CROSS CULT auch ein Komplett-Set auf den Markt. Dabei stecken die sieben Hardcover in einem stylishen Sammelschuber, welcher auch leer erstanden werden kann.

Fazit:

Noir-Feeling pur in Wort und Bild. Wer diesen knallharten Comic-Meilenstein noch nicht in seinem Regal stehen hat, kann unbesorgt zur rundum gelungenen Neuauflage in der Black Edition greifen.

Sin City - 1. Stadt ohne Gnade (Black Edition)

Frank Miller, Frank Miller, Cross Cult

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