Die Götter müssen verrückt sein
Die Schlacht gegen die Titanen ist gewonnen und die Ordnung des Kosmos wiederhergestellt. Endlich können Göttervater Zeus und die anderen Olympianer mal so richtig die Sau rauslassen! Doch auch Party ohne Ende wird irgendwann langweilig. Um mal wieder etwas Abwechslung in die unter den Göttern gerecht aufgeteilten Gefilde der Welt zu bringen, betraut Zeus Prometheus, Sohn eines Titanen, der sich im Kampf jedoch auf die Seite der Götter geschlagen hatte, mit einer ganz besonderen Aufgabe: Er soll Leben erschaffen und die Erde damit bevölkern! Wider besseren Wissens lässt sich Prometheus dazu breitschlagen, einen Teil des Auftrags – nämlich die Kreation sämtlicher Tiere – seinem etwas einfältigen Bruder Epimetheus zu überlassen; er selbst will sich anschließend um die Krone der Schöpfung, den Menschen, kümmern. Epimetheus schlägt sich überraschend gut, doch gibt es ein Problem: Sämtliche besonderen Fähigkeiten sind nun bereits an alles verteilt, was da kreucht und fleucht, sodass für den Menschen nichts mehr übrig bleibt. Also fasst Prometheus einen gewagten Plan: Er stiehlt den Göttern die technische Kunstfertigkeit und das Feuer der Vernunft. Damit ausgestattet, wird der Mensch zu einem intelligenten Wesen mit Vorstellungskraft, Kultur und Sprache, das sein eigenes Schicksal formen kann.
Ein bisschen zuviel Abwechslung, findet Zeus! Prometheus hat sich nicht einfach nur des Diebstahls schuldig gemacht, sondern den Menschen zur Hybris befähigt. Dieser doppelte Affront soll nicht ungestraft bleiben: Prometheus wird dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit an einen Felsen im Kaukasus gekettet zu sein, wo ihm Zeus‘ Adler jeden Tag aufs Neue die Leber aus dem Leib frisst. Doch auch für die Menschen hat der Göttervater eine perfide Strafe auf Lager: eine wunderschöne Frau mit einer geheimnisvollen Büchse im Schlepptau …
„Sie werden ein für alle Mal begreifen, wo ihr Platz ist“
Der Prometheus-Mythos ist eine der bedeutendsten, prägendsten und langlebigsten der alten griechischen Sagen und inspiriert bis heute Kunst und Philosophie. Nicht zuletzt trägt eines der einschlägigen Werke der fantastischen Literatur den Untertitel „Der moderne Prometheus“: Frankenstein. Auch in Mary Shelleys wegweisendem Roman geht es zentral vor allem um eines: Hybris, den Stolz und die Anmaßung, sich mit den Göttern gleichstellen zu wollen. Hochmut kommt wie immer vor dem Fall. Doch auch zu den zentralen Fragen nach dem Platz des Menschen in Universum sowie nach dem Wert von Wissensdrang, Kunstfertigkeit und Schläue gibt die Geschichte tiefgreifende Denkanstöße. Hier ist der Ergänzungsteil von Autor Luc Ferry wiederum sehr erhellend, in welchem er u.a. die Platonische Sicht auf den Mythos von Prometheus erörtert und weiteres Material liefert. Die Legende ist von Ambivalenz geprägt: So gelingt Prometheus mit Herakles‘ Hilfe dank einer List die Flucht. Da Zeus sein eigenes Wort, Prometheus solle bis auf alle Ewigkeit an seinen Felsen gekettet sein, nicht brechen, aber auch das Werk seines eigenen Sohnes nicht ungeschehen machen will, muss er sich etwas anderes überlegen. Doch auch das Element der doppelten Strafe für die Menschen in Gestalt der überirdisch schönen Pandora hat es in sich. Sie wird ihnen gesandt, nur um ihrer eigenen Neugier zu verfallen, die ihr mitgegebene, seltsame Büchse zu öffnen und dadurch sämtliche Übel – Krankheit, Krieg und Leid – über die Welt zu bringen, damit den Menschen ihr neugewonnenes Leben auch gehörig vermiest werde. Sehr interessant zu beobachten sind Unterschiede und Parallelen zu Eva sowie dem christlichen Schöpfungsmythos.
„Du wirst sehen, dass die Gaben, mit denen du sie beschenkt hast, ihnen von großem Nutzen sind, um sich in ihrer feindseligen Welt zu behaupten“
Künstlerisch ist auch dieser Band wieder bemerkenswert. Die Welt der antiken griechischen Mythen wird auf Hochglanzpapier mit viel Liebe zum Detail zum Leben erweckt. Vor allem die stimmige Atmosphäre und die dynamische Farbgebung stechen ins Auge. Auch die inhaltliche Umsetzung der Story ist gelungen, der Fluss ist angenehm und man kann gut folgen. Allerdings hätte ihr etwas mehr Luft zum Atmen gegeben werden können. Vor allem der Teil um die Büchse der Pandora kommt zu kurz. Ein weiterer Kritikpunkt findet sich im Figurendesign: Die ausgefeilt gezeichneten Charaktere scheinen den alten griechischen Statuen nachempfunden und wecken so zwar die richtigen Assoziationen, wirken aber auch gelegentlich etwas hölzern. Außerdem fällt es nach dem x-ten bärtigen Prachtexemplar mit einem Körper wie gemeißelt manchmal etwas schwer, den Überblick zu behalten.
Fazit:
Trotz kleiner Wermutstropfen ist auch dieser Band der Reihe „Mythen der Antike“ absolut empfehlenswert für alle, die mal auf ganz andere Art und Weise in die griechische Sagenwelt eintauchen wollen.
Luc Ferry, Clotilde Bruneau, Giuseppe Baiguera, Splitter
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