Interview:
Simon Schwartz

07.2018 Hallo Simon. Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, uns ein paar Fragen zu Deiner jüngst im avant-verlag erschienenen Graphic Novel IKON zu beantworten.

Es gibt natürlich eine gewisse Handschrift in meiner Zeichnung, die auch in all meinen Arbeiten auftaucht.

Comic-Couch:
Simon, in IKON widmest Du Dich nicht nur der Biografie einer Figur, sondern stellst direkt zwei Hauptcharaktere in den Fokus – die vermeintliche Zarentochter Anastasia und Gleb Botkin, Sohn des Leibarztes der russischen Zarenfamilie. Zudem nimmt die Ikonen-Malerei noch einen wichtigen Teil der Geschichte ein. Wie aufwändig ist es, so ein komplexes Gerüst aufzubauen, ohne den Überblick zu verlieren?

Simon Schwartz:
Sehr aufwendig (lacht). Meinen Büchern voran geht eigentlich immer eine umfangreiche Recherche und ich wage fast zu sagen, im Schnitt ungefähr ein Jahr Recherche ehe ich überhaupt anfange mit Schreiben und Zeichnen. Das hat unter anderem auch damit zu tun, dass ich mir sehr sicher beim Stoff sein muss. Dass er mich wirklich mehrere Jahre trägt und ich nicht nach zwei Jahren feststelle, ich habe keine Lust mehr… oder das Thema reizt mich doch gar nicht, wie gedacht. Das heißt, ich mache eine sehr intensive Recherche, um auch wirklich im Stoff sicher zu sein.

Comic-Couch:
Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt, sondern springt immer wieder vor und zurück in der Zeit. Stand der Ablauf von vornherein fest, oder gab es während der Entstehung unterschiedliche Ausrichtungen?

Simon Schwartz:
Das entwickelt sich im Prinzip mit der Zeit. Mir war recht schnell klar, dass ich die Geschichte nicht linear erzählen möchte. Das hab ich auch mit anderen Büchern schon gemacht. Das ist eine Art des Erzählens, die mir gut liegt. Die genaue Struktur hat sich dann aber mit der Zeit herausgeschält.

Comic-Couch:
Das mediale Interesse und der geradezu skurrile Hype um die angebliche Anastasia waren seinerzeit enorm und zeigten schon damals, dass der Glaube an „Etwas“ blind für die Tatsachen machen kann. Beim Lesen von IKON schwebte mir immer wieder der heute sehr angesagte Begriff „Fake News“ durch den Kopf und dass sich an der Denkweise, bzw. der Blindheit für Fakten, bei vielen Menschen auch aktuell nichts geändert hat und jede noch so abstruse Behauptung – dank sozialer Medien – erschreckend viele Befürworter bekommen kann. Sind diese Parallelen auf die heutige Gesellschaft für Dich ein wichtiger Punkt in Deinem Buch, der auch hervorstechen soll?

Simon Schwartz:
Na ja, ich habe ja mit dem Buch vor ungefähr sechs Jahren begonnen und da gab es diese Diskussion um die „Fake News“ noch nicht. Tatsächlich gibt es eine Szene in dem Buch, wo ich mich auf den Film „F for Fake“ („F wie Fälschung“, Dokumentarfilm von 1973; Anm. d. Red.) von Orson Welles beziehe. Das habe ich 2014 ungefähr gezeichnet… also auch lange vor dieser Debatte. Ich hab das jetzt nicht geplant (lacht), aber ich bin selbst ein wenig erschreckt, wie aktuell das Buch dann doch geworden ist.

Comic-Couch:
IKON ist ein extrem ambitioniertes Werk, was der Leser auf jeder einzelnen Seite merken wird. Lag Dir dieses Thema besonders am Herzen, oder wie bist Du auf diese außergewöhnliche Geschichte gestoßen?

Simon Schwartz
Wie ich genau auf die Geschichte gestoßen bin, kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Der Fall dieser Hochstaplerin, die sich als Anastasia ausgegeben hat ist nicht so unbekannt. Das war mir auch schon länger bekannt. Ich hatte ein bisschen darüber recherchiert, aber interessiert hat es mich eigentlich erst, als ich auf die Figur des Gleb Botkin gestoßen bin und für mich dann die primäre Frage eher war: „Was treibt Leute dazu, auch wider besseren Wissens, einer Hochstaplerin zu glauben?“.

Comic-Couch:
Du bist Deinem Stil, der schon „Vita Obscura“, „Packeis“ und „Drüben!“ prägte, auch in IKON treu geblieben. Gab es bei der Planung Alternativen, oder war Dir die expressionistische Optik - sowie der Stilbruch zu den eher weich und fein dargestellten Ikonen-Bildern – wichtig?

Simon Schwartz:
Es gibt natürlich eine gewisse Handschrift in meiner Zeichnung, die auch in all meinen Arbeiten auftaucht. Ich hab aber schon für IKON bewusst einen etwas raueren und vielleicht auch etwas brutaleren Stil gesucht. Ich hab mit sehr grobem Buntstift gearbeitet, teilweise Farbe über Seiten gespritzt. Ich hab auch manche Zeichnungen nachträglich mit einer Rasierklinge wieder zerstört. Ich habe schon versucht, meinen Stil in eine Richtung zu entwickeln, der gut zu der Geschichte passt. Genauso ist es auch mit diesen Ikonen.

Comic-Couch:
Gibt es Künstler - Autoren und Zeichner - die Dich in Deinem Schaffen beeinflusst, oder inspiriert haben?

Simon Schwartz:
Das ist sehr unterschiedlich. Ich bin mit Sicherheit durch das klassische „Mosaik“-Heft von Hannes Hegen geprägt, obwohl ich gar nicht zu der Generation gehöre, die diese Hefte bewusst als Kind gelesen hat. Im Studium wurde ich stark durch die Kurse von Anke Feuchtenberger (deutsche Künstlerin und Comiczeichnerin; Anm. d. Red.) geprägt, aber ich würde auch sagen, dass ich ganz stark durch meine Kommilitonen im Studium geprägt wurde. Leute, wie Birgit Weyhe (deutsche Comiczeichnerin, Illustratorin und Autorin; Anm. d. Red.) zum Beispiel. Leute, mit denen ich halt Kurse hatte… die auch sehr andere künstlerische Positionen als ich haben. Das ist eine Reibungsfläche, wo im Prinzip eigene Haltungen oder Ideen entstehen. Und dann gibt es auch viele Einflüsse außerhalb des Comics, die unterschiedlichster Natur sein können. Im Film gibt es natürlich viele, aber auch in der bildenden Kunst… alles Mögliche.

Comic-Couch:
Welcher Comic/welche Graphic Novel hat Dich zuletzt restlos begeistert und könntest Du uneingeschränkt empfehlen?

Simon Schwartz:
überlegt) Oh Gott, ich hab tatsächlich in letzter Zeit kaum Comics gelesen (lacht)… Doch! „Fun“ von Paolo Bacilieri (erschienen im April 2018 im avant-verlag; Anm. d. Red.). Es geht um die Geschichte des Kreuzworträtsels.

Comic-Couch:
Du bist während des ganzen Jahres auf Lese-Tour durch Deutschland und ich wünsche Dir viel Erfolg für diese außergewöhnliche und spannende Graphic Novel. Im Angermuseum, in Deiner Heimatstadt Erfurt, findet momentan noch Deine umfangreiche Werkschau "Geschichtsbilder – Comics & Graphic Novels" statt, die ab September 2019 auch in Oberhausen bewundert werden kann. Alle Termine sind nachzulesen auf simon-schwartz.com. Herzlichen Dank für das sympathische Telefon-Interview und alles Gute für die Zukunft und die kommenden Projekte.

Das Interview führte Marcel Scharrenbroich im Juli 2018.
Foto Simon Schwartz © Simon Schwartz
Cover, Zeichnungen © Simon Schwartz / avant Verlag

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