Verwirrspiel aus vergangenen Tagen
Der Gentleman unter den Gaunern
1905 erdachte der französische Schriftsteller Maurice Leblanc (1864 – 1941) die Figur des Arsène Lupin als eine Art Gegenstück zum populären Detektiv Sherlock Holmes. Im Gegensatz zum rechtschaffenen Genie mit speziellem Spürsinn, befindet sich Lupin auf der anderen Seite des Gesetzes. Ein gewiefter Gauner mit Hang zu Verkleidungen, der allerdings nicht durch seine Skrupellosigkeit auffällt, sondern eigenen Prinzipien folgt: Er tötet nicht und nimmt ausschließlich von denen, an denen ebenfalls zweifelhafter Ruhm haftet. So wird er seinem Ruf als Gentleman-Gauner durchaus gerecht.
Bis 1935 tauchte Arsène Lupin in zwanzig Romanen und zahlreichen Kurzgeschichten auf. Nicht selten trifft er dabei auf seinen Gegenspieler Herlock Sholmes, dessen Name nicht von ungefähr an den Meisterdetektiv von Sir Arthur Conan Doyle (1859 – 1930) erinnert. Aus rechtlichen Gründen kam es aber in Leblancs Geschichten zu der Namensänderung. Lupin startete seine kriminelle Karriere im monatlich erscheinenden Magazin „Je sais tout“, herausgegeben von Pierre Antoine Baptiste René Lafitte. 1904 trat Lafitte an Maurice Leblanc, der zuvor bereits als Journalist tätig war, heran, damit dieser eine an Doyles Helden erinnernde Romanfigur erschaffen soll, die sich für Fortsetzungsgeschichten im neuen Magazin eignen würde. Der Blickwinkel von der anderen Seite des Gesetzes war dabei ein durchaus frischer Ansatz. Viele Lupin-Abenteuer wurden bereits mehrfach und unter unterschiedlichen Titeln in deutscher Sprache veröffentlicht. Von einigen Romanen existiert aber bis heute keine deutschsprachige Übersetzung.
International schaffte es der Halunke im Laufe der Jahrzehnte bereits auf die Theaterbühne, Kinoleinwände, TV-Bildschirme und in mehrere Hörspiele, unter anderem produziert vom SWR und MARITIM, wo sich neben Lupin mit „Tim und Struppi“, „Karl May“-Abenteuern, „Sherlock Holmes“, „ Pater Brown“ und „Edgar Wallace“-Stories gleich mehrere Vertonungen mit literarischer Vorlage finden lassen. Bereits 1910 startete die die erste von fünf Stummfilm-Folgen der Reihe „Arsène Lupin contra Sherlock Holmes“, produziert in Deutschland. 1932 nahm Hollywood sich der Figur mit „Arsene Lupin, der König der Diebe“ an. In der Hauptrolle John Barrymore, bekannt aus „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, „Don Juan“ und „Moby Dick“. In der französisch-italienischen Ko-Produktion „Arsène Lupin, der Millionendieb“ von 1957 war neben Robert Lamoureux auch Liselotte Pulver in der weiblichen Hauptrolle zu sehen. Jean-Claude Brialy („Schrei, wenn du kannst“, „Eine Frau ist eine Frau“, „Die Unschuldigen“) übernahm den Lupin-Part in „Auch Stehlen will gelernt sein“ aus dem Jahr 1962, bevor Arsène Lupin ab 1971 mit Georges Descrières erstmalig in Serie ging. Überaus positiv ist mir das Abenteuer-Spektakel „Arsène Lupin - Der König unter den Dieben“ (2004) mit Romain Duris, Kristin Scott Thomas und Eva Green in Erinnerung geblieben. 2021 hat dann NETFLIX mit Omar Sy („Ziemlich beste Freunde“, „Jurassic World“, „Inferno“) ein glückliches Händchen bewiesen. Mit dem Publikumsliebling verfrachtete man „Lupin“ gekonnt in die Moderne, wie es Benedict Cumberbatch und Martin Freeman zuvor bereits erfolgreich mit „Sherlock“ Holmes und John Watson vormachten. Der beliebte Manga „Lupin III“ (CARLSEN MANGA) von Monkey Punch (alias Kazuhiko Katō), dem auch zahleiche Animes folgten, ließ sich ebenfalls vom Werk Leblancs inspirieren. Hier ist der Titelheld der Enkel des Meisterdiebs.
Nachdem im SPLITTER Verlag 2022 bereits der illustrierte Roman „Arsène Lupin - Der Gentleman-Gauner“ mit den Zeichnungen von Vincent Mallié veröffentlicht wurde, folgt nun eine ganze Comic-Reihe mit und um den Meisterdieb. Den Anfang macht mit „Arsène Lupin - Die hohle Nadel“ eine der beliebtesten Geschichten.
Wendungsreiches Katz-und-Maus-Spiel
1904: Bei einem Einbruch in die Villa des Grafen de Saint-Véran hinterlassen die Diebe neben lautem Getöse und ein paar Gemälde-Fälschungen nicht nur eine Leiche, sondern gleich noch ihren Anführer. Der ist niemand geringeres als Arsène Lupin höchstpersönlich. Angeschossen von einem Bediensteten des Hausherrn, fehlt vom vermeintlichen Täter aber jede Spur. Obwohl das Gelände nach Eintreffen von Kommissar Ganimard akribisch abgesucht wird, werden die Beamten nicht fündig. Zeitgleich tauchen ein neugieriger Journalist und sein gewiefter Neffe Isidore am Tatort auf. Tatsächlich gelingt es Isidore, einige Puzzlestücke zusammenzusetzen. Zum Beispiel, wo der vermeintliche Anführer der Diebesbande kurzzeitig Unterschlupf gefunden hat. Doch mit Auffinden dessen Leiche, bei der es sich ganz und gar nicht um den gesuchten Arsène Lupin handelt, ist der Fall keinesfalls gelöst! In der Tasche des Toten findet sich eine codierte Notiz, die Isidore nun zu entschlüsseln versucht. Ein Schriftstück, welches bereits König Ludwig XVI. kurz vor seinem Tode an Marie-Antoinette weitergeben ließ. Eine provokativ platzierte Herausforderung von Lupin, der dieses Rätsel selbst schon lösen konnte. Und es soll zum Schatz der Könige von Frankreich führen. Doch Lupin wäre nicht Lupin, wenn er nicht noch ganz eigene Ziele verfolgen würde…
Künstlerisch mit viel Luft nach oben
Im Kern haben wir es in „Die hohle Nadel“ mit einer klassisch-verschachtelten Kriminalgeschichte zu tun, wie man sie aus dem Repertoire der Ermittler-Kollegen Holmes oder Hercule Poirot bestens kennt. Leserinnen und Leser werden zum Miträtseln animiert, werden zum Großteil aber die Hände, ob der abenteuerlichen Wendungen, über dem Kopf zusammenschlagen. Auf der Hand liegt hier gar nichts und neue Erkenntnisse kommen gleich mehrfach aus heiterem Himmel geflogen. Mal verwirrend, dann arg konstruiert, dafür aber unterhaltsam. Im Anhang gibt es dann reales Bildmaterial der Örtlichkeiten zu sehen, sowie Erklärungen zur verschlüsselten Botschaft.
Mit den Zeichnungen bin ich leider nicht wirklich warm geworden. Michaël Minerbe hat zwar versucht, die Atmosphäre des gerade eingeläuteten 20. Jahrhunderts einzufangen, scheitert aber daran, dass sein Look zu keiner Zeit „klassisch“ wirkt. Hölzern und detailarm, erinnern seine Bilder eher an Zeichentrick-Massenware aus den 80ern. Die Farbpalette von Delf ist überschaubar und uninspiriert, um nicht zu sagen langweilig. Alain Janolle, der den bereits erhältlichen Band „Arsène Lupin gegen Sherlock Holmes“ sowie den kommenden „Arsène Lupin und das letzte Geheimnis von Nostradamus“ umsetzt, geht da deutlich elegantere Wege. Eine komplette Graphic Novel von Vincent Mallié („Tenebrae“) zu dem Thema bleibt wohl ein Wunschtraum.
Fazit:
Klassische Krimi-Kost mit doppeltem und dreifachem Boden. Die Figur des Arsène Lupin bleibt lange Zeit im Hintergrund, was für einen ersten Band vielleicht weniger optimal ist. Haarsträubende Twists halten einen zwar bei der Stange, sorgen aber nicht selten für Stirnrunzeln. Heutigen Erzählstrukturen entspricht dies eher weniger.

Maurice Leblanc, Jérôme Félix, Michaël Minerbe, Splitter
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