Comics 101

2 - „Verdamp lang her““… oder Vom Ursprung der Bildergeschichten

Wer den kölschen Klassiker der Band BAP schon seit seiner Veröffentlichung – im Jahr 1981 – kennt, hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel und dürfte mit ziemlicher Sicherheit im Kindesalter auf „Micky Maus“, „Asterix“, „Lucky Luke“, „Fix & Foxi“ oder „Tim & Struppi“ getroffen sein.

Bei mir war es auch in den 80ern, als ich die Stories meiner Lieblingshelden nicht mehr nur optisch bestaunen konnte, sondern plötzlich und ganz unvorbereitet anfing, ihre Abenteuer zu lesen. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen: Ich ging mit meinem Dad in unsere Bibliothek… gut, es war der Keller, wo wir ältere und aussortierte Druckwaren in Kartons aufbewahrten… und wir stöberten ein wenig rum. Mein Vater schnappte sich ein paar Western-Schmöker, „Jerry Cotton“- und „John Sinclair“-Heftchen und ich blieb bei den tollen Alben von „Asterix & Obelix“ hängen. Kaum waren wir wieder in der Wohnung, fing ich an, in den Comics zu blättern und staunte nicht schlecht, als ich plötzlich verstand, um was es da ging. Ich konnte endlich lesen… YIPPIIIIIE! Sollte man von einem 16-jährigen auch erwarten… NEIN, quatsch. Ich war gerade in der Grundschule und irgendwas zwischen 6 und 7… vermutlich 6 ¾.

Ob dieses Schlüsselerlebnis den Grundstein für die Comic-Leidenschaft legte, oder ob es doch schon die Freude am Zeichnen im Kindergarten-Alter war, kann ich gar nicht so genau sagen. Jedenfalls setzte sich der Lern-Erfolg auch fort, als in der Schule die Fremdsprache Englisch hinzukam. Es müsste 1990 gewesen sein, als ich eher zufällig einen Comic-Shop in unserer Stadt entdeckte und sich eine gänzlich neue Welt eröffnete. US-Comics der Branchen-Riesen Marvel und DC zeigten mir Charaktere, die ich zuvor nicht kannte und hatten noch den positiven Effekt, dass ich spielend mein Englisch aufbesserte. Der zweite prägende Kontakt mit dem Medium, an den ich mich gerne zurück erinnere. Bis Mitte der 90er war ich regelmäßiger Kunde in dem kleinen, gemütlichen Laden, der bis unters Dach vollgestopft war mit Comics, Graphic Novels, Merchandise-Krimskrams und beeindruckenden Statuen und Büsten.

Lange, lange – viel zuuu lange – fuhr ich dann im Leerlauf, was die sequenzielle Kunst anging und gelangte eher zufällig wieder auf den (für mich) richtigen Weg. Ich fing 2016 wieder an intensiver zu zeichnen und sprang sowohl bei Marvel als auch DC mit dem Kopf voran ins kalte Wasser. Comics waren zwar nie wirklich verschwunden aus meinem Leben, doch wurden wichtige Meilensteine nur als Randnotiz wahrgenommen. Zwischen Groß-Events und Multiversen musste ich mir erstmal einen Überblick verschaffen und große Lücken schließen. Zu meiner großen Freude stellte ich fest, dass mein früherer Lieblings-Laden - der „Comic-Treff“ in Duisburg - immer noch existiert und seit über zwei Jahren bin ich dort wieder Stammkunde. Jeder Besuch ist wie ein kleiner Trip in die Kindheit und die urige Atmosphäre, inklusive der netten Plaudereien, bringt nostalgisch-schöne Momente zurück.

Taucht man etwas tiefer in die Materie ein, bleibt es natürlich nicht bei den Superhelden, sondern man sieht, was das Medium sonst noch so hergibt. Simple Bildergeschichten und der klassische Gut-vs.-Böse-Stoff existieren zwar heute auch noch, doch der kreative Markt gibt noch so viel mehr her!

Ich machte mich als zuerst schlau, in welche abgeschlossenen und überschaubaren Reihen ich einsteigen konnte. Also Mini-Serien, die nicht das größte Vorwissen benötigten… was bei DC oder auch Marvel gar nicht so einfach ist. Ich entschied mich für die einsteigerfreundlichen DC-Reihen „Gotham Academy“, „Gotham City Sirens“ und „Batgirl“, die ihre Stories in jeweils drei Paperbacks abgeschlossen hatten. Hinzu kamen einige „Batman“-Klassiker, die man gelesen haben sollte: Frank Millers „Die Rückkehr des Dunklen Ritters“, „Arkham Asylum“ von Grant Morrison oder auch „The Killing Joke“, aus der Feder von Alan Moore. Bei Marvel sprach mich der hochgelobte Zweiteiler „Vision“ an, den man als Neuling (oder Wiedereinsteiger) sehr gut verdauen kann, ohne bei einer gesamten Marvel-Kontinuität ständig Fragezeichen über dem qualmenden Kopf leuchten zu haben. Bei DC erwies sich der deutsche Start des „Rebirth“-Universums als durchaus praktisch und auch die regelmäßigen Marvel-Neustarts sorgen für einen sanften Einstieg für Neu-Leser.

Aus eigener Erfahrung kann ich also sagen, dass die großen Verlage sich mit ihren Fresh-Starts zwar bemühen, die Neulinge soweit es geht an die Hand zu nehmen, jedoch das „große Ganze“ immer weiter ausbauen und auch neu gestartete Reihen in eine Gesamt-Kontinuität einbetten. Hinzu kommen natürlich noch die schier unüberschaubaren Welten der Manga-Veröffentlichungen, frankobelgische Klassiker und Neuerscheinungen, Graphic Novels, die so ziemlich jede Zielgruppe bedienen und deutsche Comic-Kunst, die immer wieder aufs Neue mit großartigen Publikationen überrascht. Um den abenteuerlichen Kopfsprung in den Pool nicht im leeren Becken enden zu lassen, entstand die Idee für „Comics 101“. Bei den ganzen Kürzeln, Fachbegriffen, Zustands-Beschreibungen und der Veröffentlichungs-Vielfalt stand ich im weitläufigen Comic-Dschungel mutterseelenallein… ohne Machete, ohne Hose und ohne Plan. Quasi ohne Chance einen leitenden Pfad zu finden. Zwar funktioniert es auch nach dem Prinzip „mit dem Kopf durch die Hecke“, aber wieso umständlich, wenn’s auch einfacher geht. Ich freue mich jedenfalls, wenn ich dem einen oder anderen Comic-Freund hier auf launige Art und Weise einige Stolpersteine aus dem Weg räumen und so manchen Nebel um Begrifflichkeiten wegpusten kann.

Sooooo… nachdem der „freundliche Schreiberling aus der Nachbarschaft“ nun einen halben Roman aus dem gemacht hat, was ursprünglich nur eine kleine Anekdote zum Auftakt werden sollte, schauen wir uns nun mal an, wo Comics eigentlich herkommen und was es mit den bunten Bildergeschichten auf sich hat.

(Da sieht man mal, was ein Ohrwurm wie „Verdamp lang her“ anrichten kann und wie sehr man bei einem Liedchen in Plauder-Laune gerät… obwohl ich trotz kölscher Wurzeln nicht ansatzweise verstehe, was dem Niedecken da von der Lippe rutscht… ein Duett mit Grönemeyer würde mich wahrscheinlich komplett zerstören.)

Wir könnten jetzt natürlich bei unseren freundlichen Vorfahren, den stattlichen Höhlenmenschen, beginnen, die in Höhlenmalereien von ihren Jagd-Erfolgen berichteten oder – wie uns die äußerst realistische Dokumentation „Ice Age“ gelehrt hat – uns die Geschichte der Mammuts näherbringen, doch würde dies wahrscheinlich den Rahmen komplett sprengen. Auch ein Exkurs über die alten Ägypter würde uns nicht zwangsläufig weiterbringen, da deren Hieroglyphen (aus dem Griechischen: heilige Vertiefungen) zwar manchmal als „antike Comics“ bezeichnet werden, streng genommen aber wenig bis gar nichts mit den Bildergeschichten, wie wir sie kennen, gemein haben und die mehr als 700 Zeichen eher eine komplexe Mischung aus Laut-, Bild- und Deutzeichen ergeben. In einigen Darstellungen finden sich allerdings begleitende Texte zu altägyptischen Abbildungen, was einem Vorläufer eines Comics schon recht nahe kommt. Malereien mit Bilderfolgen fanden sich auch im „Grab des Menna“ in Theben-West. Die Wandbilder im Privatgrab des höheren Beamten werden auf etwa 1400 vor Christus geschätzt… also ein paar Tage vor der Zeit, als Asterix mir das Lesen beibrachte.

Diese Bildfolgen gelangten auch nach Griechenland und fanden sich dort häufiger in der Vasenmalerei. Über den abgebildeten Figuren fanden sich gesprochene Texte, quasi eine antike Variante der uns geläufigen Sprechblasen. Auch bei den Azteken und in Syrien tauchten ähnliche Malereien ab dem 6. Jahrhundert nach Christus verhäuft auf.

Eine Ähnlichkeit zu Sprechblasen wiesen auch Altarbilder und bemalte Kirchenfenster im 11. Jahrhundert auf. Spruchbänder mit begleitenden Texten ergänzten die Motive, die durch ihre Darstellungen auch analphabetische Gesellschaftsschichten ansprachen. Zur gleichen Zeit entstand in Frankreich der „Teppich von Bayeux“. Eine imposante Stickarbeit, die auf sagenhaften 68 Metern in 58 Einzelbildern die Eroberung Englands darstellt. Die feinen Stickereien sind derart detailliert, dass sie einen ebenso detailgetreuen Einblick in die Lebensumstände im Mittelalter liefern. Seit 2007 gehört der Teppich zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.

Der römische Kaiser Trajan (Marcus Ulpius Traianus) ließ 113 nach Christus eine 35 Meter hohe Säule mit Darstellungen eines Feldzuges (Krieg gegen die Daker) errichten. Die sogenannte „Trajansäule“ (Colonna Traianna) umfasst 155 Abbildungen, die durch verschiedene Stilmittel voneinander abgegrenzt sind. Man könnte also vom Prototypen der Panel-Aufteilung sprechen. Das 1100 Tonnen schwere Bauwerk zählt heute zu den am besten erhaltenen antiken Monumenten.

Den englischen Maler und Grafiker William Hogarth (1697 – 1764) kann man getrost als einen der ersten bekannten Karikaturisten bezeichnen. In seinen mehrteiligen Gemälden, die anschließend auch zusammengefasst als Kupferstich veräußert wurden, prangerte er die Sitten und Unsitten der damaligen Zeit mit messerscharfer Ironie an. Darauf spielte auch Friedrich Schiller – seines Zeichens Dichter, Philosoph und Arzt – an, der seinerseits ein an Hogarths Werk angelegtes Buch mit humoristischen Zeichnungen verfasste. „Avanturen des neuen Telemachs“ entstand zum 30-jährigen Geburtstag von Gottfried Körner (1756 – 1831; Schriftsteller, Jurist und Herausgeber des ersten Gesamtwerkes von Schiller) am 2. Juli 1786, bei dem Friedrich Schiller zu dieser Zeit wohnte.

Nun dringen wir in Gefilde vor, die dem Wort „Comic“ (Bedeutung: komisch, lustig) schon gerechter werden und Parallelen zu heutigen Standards aufweisen. Der Schweizer Rodolphe Toepffer (1799 – 1846) gilt mit seinen Bildergeschichten als Vorreiter und machte die humorvollen Erzählungen noch vor Wilhelm Busch populär. Dabei half  dem Lehrer und Zeichner kein geringerer als Johann Wolfgang von Goethe. Diesem kam ein Heft mit den Zeichnungen Toepffers in die Hände, der eigentlich gar nicht vorhatte, seine Geschichten der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Goethe drängte auf weitere Zeichnungen des Schweizers und ermunterte ihn zudem, seine Werke zu publizieren. 1832 – im Geburtsjahr von Wilhelm Busch – begannen die Bildergeschichten von Rodolphe Toepffer in französischer Sprache zu erscheinen… und das mit so großem Erfolg, das bald weitere Auflagen gedruckt wurden. Seine bissigen Seitenhiebe auf die höhergestellte Gesellschaft kamen gut an und auch sein Stil war revolutionär. Er führte die klassischen Panels ein und experimentierte zudem mit den Größen der Bildausschnitte, um auf eine zeitliche Abfolge hinzuweisen.

Wechseln wir mal den Kontinent und schauen, was sich Ende des 19. Jahrhunderts bei den Amerikanern so tat. Dort sorgte der Comic-Zeichner Richard Felton Outcault (1863 – 1928) mit seiner Kreation „The Yellow Kid“ für Aufsehen. Nachdem diese 1894 in der Zeitschrift „Truth“ erstmals auftauchte, wechselte Outcault noch im selben Jahr zur Zeitung „New York World“ des Herausgebers Joseph Pulitzer. Unter dem Namen „Hogan’s Alley“ ging es dort mit dem „Yellow Kid“ weiter. Nachdem man dort auf Farbdruck wechselte und die Strips ganzseitig abgedruckt wurden, steigerte sich die Auflage so enorm, dass der Medien-Tycoon William Randolph Hearst den Zeichner abwarb… natürlich zu besseren Konditionen. Pulitzer wollte sich natürlich ungern die Butter vom Brot nehmen lassen und es erfolgte ein Rechtsstreit. Das Ende vom Lied: Pulitzers „New York World“ behielt die Rechte am Titel „Hogan’s Alley“… verlor aber dafür den Zeichner Richard Felton Outcault, der fortan „The Yellow Kid“ unter diesem Namen bei Hearsts „New York Journal“ zu Papier brachte.

Die sequenzielle Kunst entwickelte sich also im Laufe der Jahrhunderte und die Weichen waren weltweit gestellt. Was die unterschiedlichen Länder daraus machten, sehen wir in den nächsten Kapiteln. Wer bisher die japanische Kunst vermisst, hat nichts überlesen… keine Angst. Dem Thema „Manga“ werden wir uns gesondert widmen, da es dort unterschiedliche Ansatzpunkte gibt, die genauer erläutert werden wollen. Im kommenden Kapitel rollen wir erstmal den roten Teppich für die Helden der Vergangenheit aus, die sich auch heute noch größter Beliebtheit erfreuen… was aktuelle Pracht-Bände und Gesamtausgaben beweisen. Von den Sonntagsseiten ins Luxus-Hardcover… seid gespannt!

Fortsetzung folgt…

1 - Ein leichter Einstieg

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"Comics 101" - Marcel Scharrenbroich, Dezember 2018
Cover Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Panini Verlags GmbH, EGMONT Verlag, Pixabay

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