Reiche Ernte II

Reiche Ernte II
Reiche Ernte II
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Marcel Scharrenbroich
10101

Comic-Couch Rezension vonJul 2020

Story

Matthias Bauer hat genau das richtige Gespür fürs Storytelling. Denkt man, dass der Gipfel erreicht ist, setzt er noch einen Twist obendrauf. Speziell in der ersten Geschichte meisterhaft und erschreckend.

Zeichnung

Über jeden Zweifel erhaben. Scheuer pinselt Atmosphäre pur auf die großformatigen Seiten.

Wir ernten, was wir säen…

Unhappy Endings

Die Stadt brodelt. Nicht nur wegen der unsäglichen Hitze, die die Luft pulsieren lässt, sondern auch wegen der politisch aufgeheizten Stimmung. Populisten marschieren durch die Straßen, verpesten das Klima. Herr Wolf arbeitet bei einem Nachrichtensender. Und mit seinen Beiträgen hat er sich in der Szene nicht gerade Freunde gemacht. Obwohl die Stimmung in der Bevölkerung immer mehr kippt, hat das brütende Wetter die Aufmärsche kurzzeitig zerschlagen. Eine gute Gelegenheit, das kochende Büro mal etwas früher zu verlassen. Wolf streift durch die leergefegte Stadt. Es treibt ihn zu einem kleinen Antiquariat im alten Viertel. Während er in einer Erstausgabe von Gustav Meyrinks „Der Golem“ blättert, welches der freundliche Buchhändler Herzfeld für ihn organisiert hatte, fallen Wolf die Augen zu. Geweckt wird er von Professor Eisler, dem bedeutendstem Physiker des ganzen Landes. Mittlerweile im Ruhestand und zurückgezogen in einer Villa lebend, hatte Eisler während seiner aktiven Zeit zahlreiche Forschungserfolge, die sowohl dem Militär als auch der Allgemeinheit zugutekamen. Sogar die städtische Universität, die die naturwissenschaftliche Fakultät beherbergt, wurde nach der Koryphäe auf den Gebieten, Physik, Mathematik und Chemie benannt. Somit ist Friedrich Eisler auch dem schlaftrunkenen Herrn Wolf kein Unbekannter. Man versteht sich sofort und kommt ins Plaudern. Eisler lädt Wolf in seine Villa ein und es entwickelt sich eine Art Freundschaft zwischen den Männern. Während ihrer Gespräche stellt Eisler dem Journalisten eine wichtige Frage. Ihn interessiert, wie Wolf den Holocaust verhindern würde, wenn er, theoretisch, die Möglichkeit dazu hätte… Eine interessante Frage, die sich wohl viele von uns schonmal gestellt haben. Wolfs Antwort ist überraschend, denn er denkt nicht auf DEM direkten Weg, den man vermuten könnte… Eisler gefällt diese Denkweise und er weiht Wolf in ein Geheimnis ein.

Ein loderndes Kaminfeuer. Eine Runde Monopoly mit Frau und Kind, während das Brennholz im Feuer knirscht und den Raum mit Wärme flutet. Die Kälte und den Schnee sicher ausgesperrt. So lässt sich ein Familienabend genießen. Doch dann klingelt das Telefon. M ist dran. Ein Auftrag. Die genauen Instruktionen folgten am nächsten Tag in Briefform. Nicht nur liebender Ehemann und Vater eines Sohnes, sondern auch Auftragskiller. Der Beste. Fokussiert bereitet er sich auf sein neues Ziel vor. Fünf Jahre im Job, da sitzt jeder Handgriff. Die Vorgehensweise fest eingeplant, macht er sich am späten Abend auf dem Weg. Zu seiner Zielperson. Draußen, in der Kälte. Es ist eine sternenklare Nacht und er stapft durch die verschneite Wildnis. Mit routinierten Handgriffen macht er seine Waffe schussbereit. In sicherer Entfernung geht er in Stellung. Beobachtet. Noch bleibt etwas Zeit. Zeit, um den Plan nochmals in allen Einzelheiten durchzugehen. So weit, so gut. Dann durchschlägt ein noch lange nachhallender Schuss die frostige Nacht… und er kam nicht aus seiner Waffe.

Er wacht auf, wie jeden Tag, nachdem der Wecker um Punkt Sieben klingelt, wie jeden Tag… Gähnend steht er auf und streift sich den Morgenmantel über, wie jeden Tag… doch sonst ist nichts, wie an jedem anderen Tag. Es ist still. Drinnen wie draußen. Er blickt aus dem Fenster. Nichts. Keine Autos und keine Menschenseele auf den Straßen. Außerdem erhellt der Mond noch den Himmel, wo eigentlich schon die Morgensonne strahlen sollte. Ist das ein Traum? Verwirrt greift er zum Telefon, versucht Freunde und Bekannte anzurufen. Ja, sogar die Polizei… doch niemand nimmt ab. Langsam macht sich Panik in ihm breit und noch immer nur mit einem Morgenmantel bekleidet, stürmt er überstürzt aus dem Haus. Hinein ins Ungewisse.

Aus 5 mach 3

Bestand der erste Band von „Reiche Ernte“ noch aus fünf Kurzgeschichten, müssen wir uns im Mittelteil der Trilogie von Autor Matthias Bauer und Zeichner Chris Scheuer mit „nur“ drei Erzählungen zufriedengeben. Aber kein Grund zur Sorge, denn die drei Geschichten sind nicht nur umfangreicher als im Erstling, sie treffen auch allesamt ins Schwarze.

„Apokalypse“ verpasst dem Leser direkt einen ordentlichen Schlag in die Magengrube, bevor die Story nach ihrem Twist nochmals einen Haken schlägt. Man muss es sich so vorstellen: Man sieht den Mann mit dem Holzhammer, der einem gleich einen ordentlichen Schwinger verpassen wird, schon angerannt kommen… doch vorher zieht dir von hinten einer die Beine weg. Egal, wo du hinschaust, du siehst es einfach nicht kommen und >BAM!< …voll auf die Zwölf.

„Halluzinationen“ bietet mit seiner frostigen Landschaft ein sehr interessantes Setting und liefert ein Duell auf Augenhöhe. Die Auflösung hat mich allerdings nicht so sehr gepackt, wie bei den anderen beiden Albtraum-Szenarien. Das Wort „schwach“ möchte ich aber in diesem Kontext bewusst nicht verwenden, da wir lediglich von Nuancen auf einem durchgehend sehr hohen erzählerischen Level sprechen. An Spannung mangelt es der Geschichte nämlich in keinem Panel.

„Wie jeden Tag…“ ist dann wieder ein Kaliber, das mit viel Mystery-Flair punkten kann. Man kann sich im Kopf mehrere Szenarien zurechtbasteln, doch auf das erschütternde Ende kann einen niemand vorbereiten. Auf der letzten Seite kroch mir eine gehörige Gänsehaut den Rücken hinauf…

Wenn ich recht überlege…

…müsste ich den vorletzten Satz noch einmal korrigieren: So sehr man den Panini Verlag auch für die Veröffentlichung von „Reiche Ernte“ loben muss, kann ich dennoch nicht nachvollziehen, wie man ein derart aussagekräftiges Bild (damit habe ich mir die Frage wahrscheinlich schon selbst beantwortet…) auf die Rückseite drucken kann, welches bereits eine wichtige Wendung vorwegnimmt. Klar, es mag toll aussehen und vielleicht ohne Kontext schwer zu deuten sein, aber aufmerksamen Lesern wird nicht entgehen, dass gerade dieses Bild bis zur letzten Story-Seite nicht im Album aufgetaucht ist, und 1 + 1 zusammenzählen. Also… im Idealfall NICHT auf die Rückseite des Buches schauen! Aber vielleicht macht Ihr es gerade deshalb, weil es hier steht und hättet sonst überhaupt nicht darauf geachtet… beziehungsweise hättet das Bild zwar registriert, ihm aber keine enorme Bedeutung zugewiesen? Eieiei… Dilemma, Dilemma. Passt aber irgendwie wieder zur „Was wäre, wenn…“-Thematik der ersten Geschichte…

Dies wäre aber wirklich der einzige Punkt, den ich bemängeln könnte. Ansonsten eine vorbildliche Veröffentlichung, der das große Alben-Format erneut voll in die Karten spielt. Neben den Künstler-Vorstellungen, die wir bereits aus dem ersten Band kennen, gibt es wieder einige Seiten mit Skizzen und Bleistiftzeichnungen von Chris Scheuer zu bestaunen. Die letzte Seite klärt dann noch auf, wie Pop Art-Künstler Andy Warhol in eine der Geschichten einbezogen wurde.

Fazit:

Weniger Horror, dafür mehr Mystery und WTF-Momente. Zudem brandaktuelle Themen, die nur allzu real sind. Zwei von drei Geschichten sprengen für mich die Skala, während die Mittlere noch immer in der oberen Liga spielt. Damit konnte das Niveau des ersten Bandes nicht nur gehalten werden, sondern dieses noch übertreffen.

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