Text:   Zeichner: Anne Simon

Das Tun und Lassen der Aglaé

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Nina Pimentel Lechthoff
9101

Comic-Couch Rezension vonOkt 2019

Story

Eine Geschichte wie aus einer Fabel oder griechischen Tragödie. Außer Aglaé ist aber kaum eine Figur richtig ausgearbeitet – was allerdings sehr gut zur Protagonistin passt.

Zeichnung

Fantastische Figuren in einer fantastischen Welt – obwohl sie auf den ersten Blick etwas simpel erscheint.

Das Leben der Herrscherin Aglaé

Nieder mit dem König, es lebe die Königin

Aglaé ist eine Nymphe und lebt im Wald Enna, als sie sich Hals über Kopf in einen Fischmann verliebt. Sie erleben eine stürmische – und sehr schnelle – Liebesgeschichte. Am Ende steht Aglaé allein und schwanger da. Sie wird von ihrem Vater verstoßen, findet aber Unterschlupf beim Zirkus von Mr. Kite, den sie alsbald heiratet. Denn im Land Marylène herrscht der Tyrann von Krantz und er ist ein ziemlich frauenfeindlicher Typ. Nicht nur haben Frauen keine Rechte, unverheiratete Mütter werden getötet.

Als eines Tages von Krantz Aglaés Töchter entführt, spürt Aglaé ihn auf, tötet ihn und nimmt seinen Platz als Herrscherin von Marylène ein. Die Menschen sind überglücklich, denn von Krantz war nicht nur ein Sexist, er hat sämtliche Bewohner des Landes wie Sklaven behandelt. Die neue Herrscherin kann doch nur besser sein als der alte Tyrann, oder?

Die Welt ist eine Bühne

„Das Tun und Lassen der Aglaé“ ist eine fantastische Märchengeschichte. Die Figuren sind sowohl menschlich als auch tierisch. Aglaé z.B. sieht ein bisschen aus wie ein Krokodil, der Zirkusdirektor Mr. Kite ist eine anthropomorphe Katze, aber viele der Bewohner des Landes und ein Großteil der Zirkusartisten sind „Menschen“. Die Welt, die diese Figuren bewohnen, ist nicht weniger fantastisch. Vom Wald über den Zirkus bis hin zur Hauptstadt von Marylène – alle Schauplätze wirken unglaublich ausgearbeitet, obwohl die Zeichnungen relativ einfach sind. Es gibt nicht viele Details und teilweise sind die Hintergründe nicht wirklich ausgearbeitet. Das erweckt den Eindruck, als würde man ein Theaterstück oder eine längst verschollene griechische Tragödie wiederentdecken.

Eine Geschichte in drei Akten

Das Gefühl, ein Theaterstück zu sehen, ist nicht nur wegen der Bilder entstanden. Anne Simon baut ihre Geschichte so auf, dass sie eigentlich mehr aus einzelnen Szenen besteht. Man sieht, wie Aglaé aus dem Wald Enna verbannt und zum Teil der Zirkusfamilie um Mr. Kite wird. Später geht es darum, wie sie den Tyrannen ermordet und das Land verbessert und modernisiert. Der Schluss zeigt, wie die Geschichte ihrem tragischen Verlauf entgegensteuert, als Aglaé den nächsten Tyrannen aufzieht – ihren eigenen Sohn.

Die ganze Geschichte passiert sehr schnell und die Figuren verändern sich nicht allzu viel. Was ganz interessant ist. Während die Umstände sich ändern, bleiben die Figuren ihrem jeweiligen Charakter treu. Aglaé ist vielleicht eine mächtige Herrscherin, trotzdem sehnt sie sich nach einem Liebesabenteuer. So wie sie ganz am Anfang die Affäre mit dem Fischmann beginnt, scheut sie sich nicht davor, sich einen neuen Liebhaber zu suchen, als ihr Mann sie langweilt.

Eine feministische Geschichte (?)

Man merkt, dass viele Geschichten, Sagen und kulturelle Persönlichkeiten Simon sehr beeinflusst haben (viele der Figuren aus dem Zirkus sind vom Beatles-Song „Benefit of Mister Kite“ inspiriert). Allen voran die französischen Feministinnen. Im ganzen Comic verteilt findet man Zitate, etwa von Marie le Jars de Gornay („Männer und Frauen sind so sehr eins, dass, wenn der Mann mehr ist als die Frau, dann ist die Frau mehr als der Mann“) oder von Olympe de Gouges („Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten“). Diese Zitate dienen Aglaé und ihrer Politikberaterin Simone (nach der berühmten Autorin Simone de Beauvoir benannt, vielleicht?) als Grundlage, um die neue Verfassung auszuarbeiten und für Reden, die Aglaé vor ihrem Volk hält.

Aber ist Aglaé deshalb direkt eine Feministin? Das muss meiner Meinung nach jeder für sich entscheiden, doch für mich ist sie in dieser Hinsicht sehr zwiespältig. Sie will unbedingt, dass ihre Töchter auf die Uni gehen. Ob ihre Töchter das wollen oder nicht, ist für Aglaé nur zweitrangig. Auch ihr Verhältnis zu ihrem Ehemann Mr. Kite ist sehr schön doppelbödig. Sie hat ihn nur geheiratet, um nicht als unverheiratete Mutter hingerichtet zu werden. Es war von Anfang an klar, dass ihre Beziehung keine Liebes- sondern eine Zweckehe ist. Trotzdem ist die Art und Weise, wie Aglaé Mr. Kite behandelt, schwierig.

Wer bringt mich jetzt zu den anderen?

Mir hat die Erzählweise von Simon echt gut gefallen, aber durch die sehr episodenhafte Struktur konnte ich mit vielen der Nebenfiguren nicht viel anfangen. Die Töchter von Aglaé sind gefühlt nur Mittel zum Zweck, Aglaé und von Krantz in eine direkte Konfrontation miteinander zu bringen. Das gleiche gilt für viele Figuren. Die Zirkusmitglieder haben auch nicht mehr als ihre Verbindung zu Aglaé. Das ist einerseits sehr schade, da die schön ausgearbeitete Welt, die in „Das Tun und Lassen der Aglaé“ aufgebaut wird, ein Stück weit verblasst. Andererseits verstärkt das den Eindruck, dass die komplette Geschichte sich nur um Aglaé dreht und der Leser sieht die Figuren genauso, wie Aglaé sie selbst sieht.

Fazit:

Mir hat „Das Tun und Lassen der Aglaé“ sehr gut gefallen. Die Figuren und auch die Welt, in der die Geschichte spielt, sehen fantastisch aus – im doppelten Sinne. Der Comic hat mich mit dem Gefühl hinterlassen, eine klassische griechische Tragödie auf einer Bühne gesehen zu haben. Auch die ganzen Anspielungen auf feministische Denkerinnen und Autorinnen habe ich sehr genossen. Nur bei den Nebenfiguren bin ich etwas zwiegespalten.

Das Tun und Lassen der Aglaé

Anne Simon, Anne Simon, Rotopol

Das Tun und Lassen der Aglaé

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