Text:   Zeichner: Frauke Berger

Das Schiff der verlorenen Kinder - I. Nr. 4213

Das Schiff der verlorenen Kinder - I. Nr. 4213
Das Schiff der verlorenen Kinder - I. Nr. 4213
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonJan 2022

Story

Eine klaustrophobische Albtraum-Version von „Peter Pan“ auf hoher See. Fantasievoll und ziemlich gruselig!

Zeichnung

Allein schon farblich eine Wucht! Daraus, und aus den kreativen Perspektiv-Wechseln, bezieht die Geschichte eine enorme Atmosphäre, die intensiver kaum sein könnte.

Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst

Mitgehangen, mitgefangen

Mit Leo und seinem jüngeren Bruder Felix ist mal wieder die Fantasie durchgegangen. Das kleine Durcheinander im Bad sorgt für eine lautstarke Auseinandersetzung mit ihren Eltern. Nicht das erste Mal, dass die erhitzten Gemüter aneinandergeraten. Leos Mutter schickt ihn schnurstracks auf sein Zimmer, wo er gefälligst auch zu bleiben hat! Ein Wort ergibt das andere und so kommt es, dass beide Parteien äußern, dass es vielleicht das beste wäre, wenn man sich NIE MEHR unter die Augen treten würde. Was dann passiert, hätte sich Leo selbst mit seiner blühenden Fantasie nicht ausmalen können. Ebenso nicht sein kleiner Bruder, der leider noch mit im Zimmer ist, als das Unvorstellbare geschieht…

Urplötzlich kracht es und rattert es in den vier Wänden und wo sich zuvor noch das Fenster befand, eröffnet nun ein riesiges Bullauge den Blick auf die tiefe See. Moment… die See??? Wie kann das sein? Leo und Felix zweifeln an ihrem Verstand, aber die Realität holt sie schon bald ein. Kaum haben sie die Tür des Kinderzimmers geöffnet, sehen sie, dass sie sich nicht mehr in der Wohnung ihrer Eltern befinden. Lange, trostlose Gänge. Und noch mehr Türen… mit mysteriösen Handabdrücken und Schlössern versehen. Notdürftig bewaffnen sich die beiden Brüder mit einem Taschenmesser und einer selbstgebauten Schleuder. Schon bald merken sie, dass sie die Waffen wohl noch brauchen werden. Nach kurzer Erkundungstour stoßen sie auf ein bedrohlich kratzendes Geräusch. Neugierig gehen sie diesem auf den Grund… und trauen ihren Augen kaum. Ein riesiger Werwolf kratzt zähnefletschend an einer verschlossenen Tür. Wie es ausschaut, ist es ein weiteres Kinderzimmer. Befindet sich im Inneren noch jemand? Leo und Felix nehmen all ihren Mut zusammen und stellen sich dem übergroßen Ungetüm. Nicht die einzigen Dämonen, mit denen sie auf diesem scheinbar verlassenen Geisterschiff konfrontiert werden…, denn die „Seelenfänger“ hat für ihre Passagiere ganz besondere Überraschungen parart.

Die schöne Verdammnis

Obwohl die Geschichte Kinder als Hauptfiguren hat, wäre ich vorsichtig, diesen Comic-Band in die Hände der jüngsten Leserinnen und Leser zu geben. Es geht in der Geschichte von Boris Koch nämlich reichlich düster und stets bedrohlich zu. Bisweilen fühlte ich mich sogar an eine entschärfte Version von „Hellraiser“ und die Sci-Fi-Horror-Perle „Event Horizon“ erinnert… gepaart mit dem Setting von „Ghost Ship“. Dass mir immer wieder Clive Barkers Klassiker in den Sinn kam, liegt vor allem an den teils verstörenden Bildern von Frauke Berger. Ihr Comic-Debüt „Grün“ erschien 2018 und 2019 in zwei Teilen ebenfalls im SPLITTER Verlag, unterscheidet sich aber grundlegend von ihrer aktuellsten Arbeit. Es ist immer schön zu sehen, wenn Künstlerinnen und Künstler sich stilistisch neu erfinden, und das kann man in ihren bisherigen Werken durchgängig beobachten. Zusammen mit Boris Koch (Autor der Romane „Dornenthron“, „Narrenkrone“ und Schöpfer der Reihe „Der Drachenflüsterer“) hatte Frauke Berger bereits das farbenprächtige Nicht-Märchen (darauf legt der Band wert!) „Die Schöne und die Biester“ geschaffen, welches ausschließlich in cremigen Pastell-Tönen daherkam.

Im ersten Band von „Das Schiff der verlorenen Kinder“ finden sich hingegen groteske Monster, die auch glatt aus dem beschaulichen Städtchen Silent Hill entfleucht sein könnten. Die bizarren Kreaturen sorgen für reichlich gruselige Momente. Sie werden in ihrem Einsatz nicht überstrapaziert, weshalb jedes Auftauchen effektiv wirkt und deren Bedrohung spürbar wird. Abgesehen von den kindlichen Protagonisten, nimmt das scheinbar verlassene Schiff, die „Seelenfänger“, eine wichtige Hauptrolle ein. Der komplex konstruierte Kahn sorgt mit seinen verzweigten Gängen für Gänsehaut und trotz seiner unübersichtlichen Größe für klaustrophobische Enge. Ein besonderes Highlight ist die Kolorierung. Die sehr gelungenen Zeichnungen (mit leichtem Manga-Touch) haben eine eher unnatürliche Farbgebung, was sich aber als komplett gelungen und förderlich erweist. Meist werden zwei Farben genutzt, die in verschiedenen Abstufungen ganze Szenen einfärben. Mal Grün und Gelb, dann Blau und Lila oder Rot und Grün. Andersfarbige Highlights werden genutzt, um Figuren oder andere Eyecatcher in den Fokus zu rücken. Frauke Berger scheut sich auch nicht, ungewöhnliche Blickwinkel einzusetzen. Das sorgt für viel Abwechslung und einige tolle Momente.

Fazit:

Hätten die Macher von „Stranger Things“ ihre Version vom Nimmerland ersponnen, würde sie wohl genau so aussehen. Aber wir sind hier weder in Hawkins, noch in einer Kindergeschichte von J. M. Barrie…, sondern in einem Comic von Boris Koch und Frauke Berger, der bereits nach dem ersten Band das Potential zum richtig großen Mystery-Wurf hat.

Das Schiff der verlorenen Kinder - I. Nr. 4213

Boris Koch, Frauke Berger, Splitter

Das Schiff der verlorenen Kinder - I. Nr. 4213

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