Interview:
Michael Mikolajczak

08.2018 Beim Verlag Kult Comics erschien – nach „Blutspur“ – kürzlich die zweite Graphic Novel des Autors Michael Mikolajczak. Nach einem übernatürlichen Vampir-Setting ist die Bedrohung diesmal allerdings weit irdischerer Natur. Die „Ratten“ verlassen ihre unterirdische Behausung und bevölkern die Oberfläche. Bei ihrem unstillbaren Hunger machen die gefräßigen und unberechenbaren Nagetiere vor nichts und niemandem halt. Ein elfjähriger Junge muss sich der Gefahr stellen… vollkommen auf sich allein gestellt.

Wir von der Comic-Couch freuen uns sehr, Michael Mikolajczak ein paar Fragen zu seiner hervorragenden Graphic Novel „Ratten“ stellen zu dürfen, die von Zeichner Sascha Dörp atmosphärisch und stimmig illustriert wurde.

Man sieht kaum eine Ratte im Alltagleben und dennoch sind sie so unglaublich zahlreich. Irgendwo da draußen...

Comic-Couch:
Lieber Michael, eine Frage brennt mir schon unter den Nägeln, seit ich die ersten Seiten der packenden Story verschlungen habe. Wie kommt man auf die Idee, einen elfjährigen Jungen Edgar zu nennen?

Michael Mikolajczak:
Die Bedeutung des Namens Edgar lautet „Der seinen Besitz mit dem Speer verteidigt“. Nun ist Edgar zwar nicht mit einem Speer bewaffnet, sondern mit Pfeil und Bogen, doch im Grunde ist ein Pfeil nichts anderes, als ein kleiner Speer.
Bogenschießen ist als Sport und Kinderspiel weit verbreitet, daher fiel meine Wahl auf Pfeil und Bogen als Waffe und nicht auf einen Speer. Edgar verteidigt mit Pfeilen seinen wertvollsten Besitz, sein Leben und das seiner in der Apokalypse gewonnen Freunde.
Der zweite Grund für die Namenswahl war es, Edgars Charakterisierung als Außenseiter und Nerd zu betonen. Wer Edgar heißt, hat gute Chancen ausgegrenzt zu werden und hat es umso schwerer sich in eine Gruppe einzufügen oder sie gar anzuführen.
Der dritte Grund: ich wollte einen Namen für meine Hauptfigur finden, der sich bewusst von modernen und beliebten Comicvornamen abgrenzt.

Comic-Couch:
Bei Edgar ist mir sofort aufgefallen, dass er unglaublich „real“ rüberkommt. Soll heißen, dass seine Art zu Reden und sein ganzes Verhalten authentisch wirkt. Ich kaufe der Geschichte ab, dass sie einem Elfjährigen widerfährt, der entsprechend seinem Alter handelt und aus der Situation heraus gezwungen wird, sich dem Erwachsenwerden zu stellen. Gab es für die Figur reale Vorbilder, oder ist aus Deiner eigenen Kindheit noch so manches hängengeblieben?

Michael Mikolajczak:
Ich hatte als Kind einen orangenen Fiberglasbogen mit grünem Griff, bin mit Robin Hood und mit Westernfilmen voller Indianer und aufgewachsen. War eine tolle Zeit...
Um Edgar authentisch wirken zu lassen, war es mir wichtig, dass er nicht wie ein Erwachsener fühlt und spricht. In vielen Filmen und Comics wirken Kinderfiguren nicht „echt“. „Ratten“ kann als Geschichte aber nur funktionieren, wenn das Seelenleben der Hauptfigur Edgar glaubhaft wirkt.

Comic-Couch:
Endzeit-Settings findet man seit einigen Jahren meist nur noch in Verbindung mit Zombie-Epidemien. „Ratten“ bringt da erfreulich frischen Wind ins Genre und lässt in seiner drastischen Erzählweise auch die meisten untoten Kollegen weit hinter sich. Wurde der erste Schlag in die Magengrube verdaut, folgt unweigerlich der nächste Tiefschlag. Mich haben Edgars Erlebnisse noch weit über die 64 Seiten hinaus beschäftigt. War dies auch Deine Intention? Dass der Leser sich weiter mit der Geschichte, die Du begonnen hast, auseinandersetzt… bzw. sie gedanklich fortsetzt?

Michael Mikolajczak:
Ratten statt Zombies war für mich eine inhaltlich logische Wahl. Zombies werden in vielen Medien als Massenware erzählt, Ratten nicht. Zombies sind Fiktion, Ratten hingegen real und extrem weit verbreitet. Realistischer Horror ist stets weit attraktiver, weil unmittelbarer, als rein fiktives Grauen.
Ein Nachhall der Geschichte beim Leser ist sicher Ziel, Wunsch und Hoffnung eines jeden Autors. Es freut mich sehr, sollte mir dies gelungen sein.
Die offene Auflösung der Geschichte ist eine Anregung zum Weitdenken von Edgars Geschichte. Was passiert nach dem letzten Panel der letzten Seite mit Edgar? Die Graphic Novel bietet hier keine Gewissheit, nur eine Wahrscheinlichkeit. Vielleicht regt dies auch zum weiteren Nachdenken über Edgars Schicksal an. Vielleicht auch eines Tages zu einem Sequel ...

Comic-Couch:
Ich las, dass Dir die eigentliche Idee zu „Ratten“ bei einer historischen Stadtführung kam, bei der es auch in die Kanalisation ging. Musstest Du für Deine Arbeit auch das Verhalten der Nagetiere studieren? Wie muss man sich da die Recherche vorstellen?

Michael Mikolajczak:
Auslöser zu „Ratten“ war die Aussage des Stadtführers, das auf jeden Menschen bis zu vier Ratten in jeder Stadt oder jedem Dorf leben. Sehr faszinierend fand ich die Vorstellung einer Parallelgesellschaft. Man sieht kaum eine Ratte im Alltagleben und dennoch sind sie so unglaublich zahlreich. Irgendwo da draußen...

Ich wusste, dass Rattenflöhe die Pest übertrugen, dass im Mittelalter die Pest Städte entvölkerte und dies führte zu einer zweiten Gefahrenebene in „Ratten“. Nicht nur die Nagetiere sind in der Geschichte eine existentielle Bedrohung, sondern auch ihre Parasiten, die die Pest von Ratte auf Mensch übertragen. Dann noch ein wenig googeln und ich hatte alle Fakten für die Graphic Novel zusammen.

Comic-Couch:
Mit Sascha Dörp hattest Du, meiner Meinung nach, einen kongenialen Partner, der Deine Geschichte perfekt in Bilder festgehalten hat. Seine Illustrationen tragen mit ihren großflächigen Schattierungen ungemein zur düsteren Atmosphäre bei und ich könnte mir keinen passenderen Stil für „Ratten“ vorstellen. Wie entstand die Zusammenarbeit zwischen Euch?

Michael Mikolajczak:
Auf Sascha bin ich durch seine Comic-Kurzgeschichte „Gun Shop“ aufmerksam geworden, deren Stil mich sofort ansprach. Mich faszinierte die Vorstellung „Ratten“ in diesem Look zu visualisieren. Ich schrieb Sascha an und schlug ihm erfolgreich eine Zusammenarbeit vor. Vom Ergebnis war ich total begeistert. Die Zeichnungen, die Panels, die Farben. Ratten wurde großartig - dank Sascha!

Comic-Couch:
Für 2019 stehen gleich zwei neue Graphic Novel-Projekte an, die ebenfalls bei Kult Comics veröffentlicht werden: „Paradies“ und „Die Spinne“. Kannst Du uns schon etwas darüber erzählen?

Michael Mikolajczak:
„Paradies“ erzählt einen Supernatural-Horror-Thriller, der in Thailand spielt. Es ist die Geschichte von vier Touristen, die sich mit wahrgewordenen Mythen und übernatürlichen Gefahren ebenso auseinandersetzen müssen, wie mit ihren eigenen Konflikten als Gruppe. „Paradies“ wird von Holger Klein gezeichnet. Es ist nach Blutspur die zweite gemeinsam Graphic Novel mit Holger Klein – Diesmal in Farbe.

„Die Spinne“ ist ein Psycho-Thriller mit Crime- und Serienkiller-Elementen, in den USA der 70iger Jahre angesiedelt und mit viel Zeitkolorit ausgestattet. Gezeichnet wird „Die Spinne“ von Andreas Möller, mit dem ich beim Gratis Comic Tag 2018 die Geschichte „Wurzeln“ im Kultgeschichten-Heft von Kult Comics realisiert habe. „Die Spinne“ wird in Schwarz-Weiß mit Graustufen erscheinen.

Comic-Couch:
Abschließend noch eine Frage, die mich immer brennend interessiert. Welchen Comic würdest Du unseren Lesern uneingeschränkt empfehlen? Und noch etwas… gibt es einen Comic/eine Graphic Novel, die für Dich unverzichtbar ist und die Dich in Deinem Schaffen inspiriert hat? Quasi ein All-Time-Favourite?

Michael Mikolajczak:
Nur einen Comic? Unmöglich. Eine Auswahl vielleicht: „Lost Dogs“ und „Essex County“ von Jeff Lemire. „Sam and Twitch“ von Brian Michael Bendis und diversen Zeichnern, „100 Bullets“ von Brian Azzarello und Eduardo Risso - und vieles mehr.
Wichtig für mich sind auch die Creepy und Eerie-Geschichten, acht seitige Comicgeschichten, extrem stark gezeichnet von US- und spanischen Zeichnern der 70iger. Als Autor kann man von diesen Stories lernen, wie man eine Geschichte auf nur wenigen Seiten erzählt und strukturiert. Creepy und Eerie liefern hier viele gelungene Beispiele.

Comic-Couch:
Michael, ich bedanke mich ganz herzlich bei Dir für das Interview… und natürlich auch für „Ratten“, welches der beste Beweis dafür ist, dass die deutsche Comic-Szene den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Viel Erfolg für die kommenden Veröffentlichungen und alles Gute.

Das Interview führte Marcel Scharrenbroich im August 2018.
Foto Michael Mikolajczak © Michael Mikolajczak
Cover, Zeichnungen © Sascha Dörp / Kult-Comics

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