The Stan Lee Story

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Marcel Scharrenbroich
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Comic-Couch Rezension vonSep 2019

Story

Für jeden Comic- und vor allem MARVEL-Fan die absolute Referenz. Nuff said…

Zeichnung

Die fantastischen Zeichnungen vieler Comic-Größen in bestechender Qualität UND im XXL-Format. Skizzen, Original-Seiten, Cover-Artworks und ganze Storys… mehr geht nicht.

„I don’t really see a need to retire, as long as i am having fun.“ * - Stan Lee

Ersteindruck

Nachdem ich den armen Paketboten wiederbelebt und unter ein Sauerstoffzelt gelegt hatte, musste ich erstmal schlucken… Was hat der arme Kerl denn da versucht in den ersten Stock zu schleifen? Schrankwand? Couch? Neuen Kleinwagen? Fast… denn als ich fachmännisch den großen Karton weggesprengt hatte, kam WAS zum Vorschein? Richtig… ein weiterer Karton. Dieser lieferte aber schon deutliche Hinweise auf den Inhalt. Das restliche C4 zur Seite geräumt, öffnete ich behutsam die bedruckte und mit einem handlichen Tragegriff versehene Papp-Ummantelung. Was ich im inneren fand, lässt sich mit viel Fantasie noch als „Buch“ beschreiben, denn so einen Klotz hatte ich bisher nur einmal gesehen… und zwar das Necronomicon, welches ich in meinem Keller aufbewahre und vornehmlich nachts LAUT daraus zitiere (darauf ein dreifaches KLAATU, VERATA, N… *hust, hust*), was aber eine ganz andere Geschichte ist.

Da lag sie nun in voller Pracht vor mir, die „Stan Lee Story“. Den Anblick musste ich erstmal sacken lassen und setzte mich auf die Couch. Dann umrundete ich das gute Stück und schaute es mir aus allen Perspektiven an. Nach der ausgiebigen Runde (ca. 10 Minuten Fußweg) setzte ich mich erneut und begann zu überlegen, wie ich das Teil überhaupt lesen sollte! Entspannt im Liegen fiel schon mal raus, da ich keine Lust auf Organ-Quetschungen hatte und in meiner Freizeit auch gerne atme. Sofort musste ich an Bastian Bux denken, wie er sich auf dem Dachboden seiner Schule durch „Die unendliche Geschichte“ blätterte und beschloss „Jau… mach ich auch so.“. Gut, nun musste ich den schweren Prügel, mit dem man sogar dem Hulk einen stattlichen Mittelscheitel ziehen und Iron Man quer durch alle Multiversen prügeln könnte, nur noch in die geeignete Leseposition bringen. Kein Problem. Also nahm ich schnell meinen Wagenheber zur Hand (der Paketbote war mittlerweile übrigens wieder bei Bewusstsein und laberte mich voll, dass er Scarlett Johansson am Ende eines hellen Tunnels gesehen hätte) bockte den Klopper hoch und stieß ihn nach einem beherzten Anlauf aus seiner Verpackung. Der auferstandene Paketmann, der heute sein persönliches „Endgame“ erlebt hatte, half noch schnell beim Anschieben und dann lag der Brocken perfekt ausgerichtet auf dem knirschenden Laminat. Ich verabschiedete Herrn Hermes (zumindest ließ das Schildchen an seiner Kutte darauf schließen, dass er so hieß) mit einem freundlichen Vulkanier-Gruß und schrie ihm durch den Hausflur hinterher, dass die verdammte Macht mit ihm sein möge… dann ging es endlich los.

Dies war nur ein erster Eindruck… den das Buch übrigens auch auf jeder Oberfläche hinterlässt, auf der man es länger als zwei Minuten ablegt.

Face front, true believers!“ **
- Stan Lee

Comic-Liebhabern braucht man Stan „The Man“ Lee eigentlich kaum noch vorstellen und selbst Fans einer neueren Generation, die mit den MARVEL-Charakteren erst durch die zahlreichen Verfilmungen der letzten zehn Jahre in Berührung kamen, dürften genau wissen, um wen es sich bei Mr. Lee handelt. Schließlich sind seine Cameo-Auftritte fast schon so legendär, wie die von Alfred Hitchcock. Doch selbst die eingefleischtesten MARVEL-Jünger kann „The Stan Lee Story“ noch überraschen, da hier chronologisch und extrem akribisch der Lebens- und Schaffensweg der Comic-Ikone wiedergegeben wird.

1922 auf der Insel Manhattan zur Welt gekommen, war Stanley Martin Lieber bereits im Kindesalter von jeglichen phantastischen Stoffen fasziniert. Er las Magazine und Bücher, egal wo er stand, gang oder saß. Vornehmlich die wegweisenden Werke von H. G. Wells (Die Zeitmaschine), Edgar Rice Burroughs (Tarzan bei den Affen), Mark Twain (Tom Sawyer und Huckleberry Finn) oder Arthur Conan Doyle (Die vergessene Welt). Zu Highschool-Zeiten stießen dann noch literarische Schwergewichte wie Edgar Allan Poe (Der Rabe) und Charles Dickens (Oliver Twist) hinzu. Selbstverständlich standen auch Comic-Strips auf der langen Lese-Liste des jungen Stanley. Flash Gordon, Dick Tracy, Buck Rogers in the 25th Century und natürlich Krazy Kat (welches kürzlich ebenfalls in einer wuchtigen Gesamtausgabe bei TASCHEN erschienen ist und in Kürze hier vorgestellt wird), den verrückt-sympathischen Vorgängern von Tom & Jerry und Itchy & Scratchy. Natürlich gab es Comic-Hefte, wie wir sie heute kennen, zur damaligen Zeit noch nicht und man konnte die kurzen Abenteuer nur in den Sonntagsseiten der Tageszeitungen lesen. Gesammelt erschienen diese zwar häufiger in Heft-Form, aber das war es dann auch schon. In Jugendromanen, die Stanley ebenfalls am Fließband verschlang, folgten am Ende immer einige Seiten mit Leserbriefen, die er besonders mochte. Den sympathischen Austausch zwischen dem Schriftsteller Edward Edson Lee und seinen Lesern nahm er sich zum Vorbild. Jahre später sollte er unter seinem Pseudonym Stan Lee dieses Konzept in der beliebten Stan’s Soapbox wieder aufgreifen.

Als Stanley Lieber im Alter von nur 17 Jahren seinen Job bei Timely Publications antrat, konnte noch niemand ahnen, dass sich sowohl Stanley als auch der frisch gegründete Verlag einmal in Sphären von ungeahnter Größe bewegen würden. Aus Timely Publications wurde Timely Comics… und schließlich MARVEL. Und aus Stanley Martin Lieber wurde Stan Lee. Der Rest sind… Geschichten.

Excelsior!
- Stan Lee

Grob könnte man sagen, dass Stan Lee den angestaubten Superhelden-Comic revolutioniert hat. Fielen viele Helden der großen Comic-Depression nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Opfer, die nur Jerry Siegels und Joe Shusters Superman und Batman, aus den Federn von Bill Finger und Bob Kane, einigermaßen unbeschadet überstanden hatten, fügten Stan Lee und seine kreativen Mitstreiter eine kleine, allerdings nicht zu unterschätzende Zutat zum simplen Superhelden-Konzept hinzu: sie setzten den Fokus auf die menschliche, verletzliche Seite ihrer Schöpfungen. Damit schufen sie Identifikationsfiguren, die den Leser direkt ansprachen. Stan Lee und Steve Ditko schufen Spider-Man, dessen Gesicht hinter der Maske, der schüchterne Peter Parker, sich durch alle Hochs und Tiefs der Highschool kämpfen musste, den schmerzlichen Verlust seines geliebten Onkels betrauerte und auf die harte Tour lernen musste, dass „aus großer Kraft, große Verantwortung folgt“. Zusammen mit Bill Everett kreierte Lee Daredevil, den Mann ohne Furcht. Einen blinden Anwalt, der auch Menschen mit Handicap zeigte, dass sie keineswegs schwach waren. Als DC Comics mit der Justice League of America das erste Superhelden-Team etablierte, war man bei der Konkurrenz natürlich auch nicht untätig. Während DC seine bereits bekannten Helden in den Topf warf, formten Stan Lee und der unvergessene Jack „The King“ Kirby die erste Superhelden-Familie der Comic-Geschichte. Die Fantastic Four bekämpften ebenfalls die Superschurken in- und außerhalb unserer Galaxie, mussten sich aber zudem noch mit den gewöhnlichen Alltagsproblemen des Familienlebens herumschlagen. Erneut ging die neue MARVEL-Formel auf. So auch mit den X-Men, die Lee ebenfalls mit der Hilfe Kirbys auf die Welt brachte. Eine Gruppe von Mutanten, die NICHT nur für ihre Taten gefeiert, sondern von vielen Menschen argwöhnisch… ja, sogar ängstlich betrachtet wurde. Einfach weil… sie anders waren.

Stan Lee wurde im Laufe seiner einmaligen Karriere zu MARVELs Gallionsfigur. Vom kleinen Redakteur zum Aushängeschild des Verlages. Vom unscheinbaren Mann hinter den gezeichneten Helden zum gefeierten Star auf weltweiten Comic-Messen, Produzenten unzähliger MARVEL-Formate und gerngesehenen Gast in Film- und TV-Produktionen... von The Big Bang Theory bis Ambulance mit Eric Roberts. Von den zweidimensionalen Seiten der Comic-Bücher auf die TV-Bildschirme… zuerst in animierter Form, dann als Real-Serien, und wieder zurück. Dann der Sprung auf die großen Leinwände. Ein Siegeszug sondergleichen, der 2019 darin gipfelte, dass „Avengers: Endgame“ mit einem internationalen Einspielergebnis von 2,796 Milliarden US-Dollar den aktuell weltweit erfolgreichsten Film stellt. Die Schöpfungen und Ko-Schöpfungen von Stan Lee sind somit ein fester Bestandteil der Popkultur geworden… ganz wie er selbst.

Am 12. November 2018 verstarb Stanley Martin Lieber im stolzen Alter von 95 Jahren an Herzversagen. An diesem Tag erhielt die trauernde Fan-Gemeinde die Gewissheit, dass Stan Lee entgegen aller Erwartungen doch zu den Sterblichen gehörte. Sein Vermächtnis hingegen wird ewig leben.

DAS Referenzwerk zur Comic-Ikone

Das, was Roy Thomas und der TASCHEN Verlag nun mit „The Stan Lee Story“ vorlegen, sprengt sowohl optisch (wie eingangs bereits erwähnt) sowie inhaltlich jeden Rahmen. Ein bebildertes Vermächtnis, das selbst Stan Lee selbst den Atem verschlagen hat, als er das gute Stück kurz vor seinem Tod noch persönlich begutachten durfte. Sein langjähriger Freund, Kollege und Wegbegleiter verfolgt dabei nicht nur das Leben und die Karriere von Stan Lee, sondern zeigt anhand vieler Beispiele, wie sich das Comic-Universum von MARVEL im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt hat, dem ursprünglichen Gedanken dabei aber immer treu blieb. Trotz Mega-Events, bei denen wahre Bilderfluten, gefüllt mit allem, was der Verlags-Fundus aufzubieten hat, über den Leser hereinbrechen, waren es immer die leisen Zwischentöne, die die Geschichten hinter dem Bombast immer wieder geerdet haben. Ein gutes Beispiel dafür ist die Vision-Story von Tom King, die Ende 2016 in Deutschland in zwei Paperbacks veröffentlicht wurde.

„The Stan Lee Story“ bietet reichhaltig Beispiele aus jeder MARVEL-Dekade. Angefangen vom Golden Age bis hin zu den modernen Werken. Dabei lässt sich wunderbar erkennen, welche Fortschritte gerade im künstlerischen Bereich gemacht wurden. Wenn man beispielsweise ein XXL-Gemälde von Ausnahmekünstler Alex Ross in bestechender Druck-Qualität bestaunt, verweilt man schon mal mehrere Minuten auf einer der dicken Seiten. Cover-Motive gibt es in der Lee-Bibel übrigens zuhauf zu bewundern! Derart hochwertig und detailliert dürfte man diese selten zu Gesicht bekommen und auch anhand von Skizzen, ganzen Comic-Seiten aus teils signierten Heften, die für die Produktion dieses Buches von Sammlern zur Verfügung gestellt wurden und einzelnen wegweisenden Panels, die besondere Meilensteine beleuchten, wird schnell deutlich, dass „The Stan Lee Story“ KEIN Fan-Projekt ist, welches auf den Markt gebracht wurde, um Comic-Freunden nach Mr. Lees Ableben schnellstmöglich ein zusammengeschustertes Gesamtwerk als Übersicht über sein Schaffen vorzulegen. NEIN, das Buch ist alles… nur das nicht.

Roy Thomas, der Stan Lee beerbte, nachdem dieser seinen Chefredakteurs-Posten ruhen ließ, um sich anderen Aufgaben zu widmen, hat mit seinem erfahrenen Team von Redakteuren jahrelang daran gearbeitet, den Fans etwas vorzulegen, das man ohne Übertreibung als ULTIMATIVES Nachschlagewerk bezeichnen kann. Etwas unhandlich, gewiss… aber etwas anderes war auch nicht zu erwarten, wenn man sich vor Augen hält, welche Schöpfungen alles auf das Konto von „The Man“ gehen.

Das Mammut-Werk umfasst stolze 624 Seiten, lässt Stan Lee persönlich zu Wort kommen, beinhaltet seltenes Bildmaterial aus seinen Privat-Archiven, zeigt Cover-Artworks und Vorzeichnungen aller namhaften Künstler in bestechender Qualität, umfasst GANZE Comic-Stories auf zig Seiten, wirft einen Blick auf die MARVEL-TV-Produktionen UND das Marvel Cinematic Universe (MCU) und lässt Stan Lees Wegbegleiter zu Wort kommen. Wir bekommen einen Überblick, in welchen Filmen Stan Lee seine legendären Cameo-Auftritte hatte, samt Filmplakate und Hinter-den-Kulissen-Material mit den Darstellern. Und, und, und… Wahnsinn.

Das komplette Buch liegt dabei in englischer Sprache vor, ebenfalls die eingefügten Comic-Storys. Dies soll für deutsche Leser aber keinesfalls abschreckend wirken, denn der TASCHEN Verlag hat ein umfangreiches Heft beigelegt, welches mit seinen 96 prallgefüllten Seiten - ebenfalls im Überformat – alle wichtigen Stationen im Leben von Stan Lee übersetzt vorlegt. Das Beiheft ist ebenfalls aufwendig gestaltet (Titel-Schriftzug in glänzendem Gold) und gestaltet sich sehr leserfreundlich. So kann man das wuchtige Hauptwerk (7,2 Kilogramm… ich habe es gewogen!) auf einen stabilen Tisch (oder wahlweise Altar) ablegen und bequem die deutschen Texte in der Übersetzung lesen, während man sich beim Prachtband durch die überdimensionalen Bilder blättert.

Fazit:

Zuerst nur in einer streng limitierten Edition veröffentlicht (1.000 Exemplare), die von Stan Lee persönlich signiert in einem Plexiglas-Schuber untergebracht wurde und mit stattlichen 2.500 € zubuche schlug. Dennoch fast unnötig zu erwähnen, dass sie in Rekordzeit ausverkauft war. Nun auch (unsigniert und ohne Schuber, dafür im Tragekoffer) für Normal-Sterbliche erschwinglich… obwohl diese Edition immer noch stolze 150 € kostet. Es sei aber gesagt, dass man diesem Betrag KEINE Sekunde nachweinen wird, wenn man dieses unbeschreibliche Stück erstmal in voller Pracht vor sich liegen hat. Die gebotene Qualität, der enorme Umfang und die gestochen scharfen Bilder, die MARVEL-Action satt aus mehr als sieben Jahrzehnten Comic-Kunst bieten, sind wahrlich JEDEN Cent wert. Excelsior!

 

* „Ich sehe keinen Grund in Rente zu gehen, so lange ich noch Spaß habe
** „Blickt nach vorne, wahre Gläubige!

The Stan Lee Story

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