Lost in Visualization
„Willkommen auf der Pool Party.“
Wenn ein Zwerg mit käseweißer Visage auf einem Dreirad um die Ecke geradelt kommt und erzählt, dass er gerne ein Spiel spielen möchte, sollte man schleunigst das Weite suchen. Falls man dann noch die Gelegenheit dazu hat. Meist ist das Spiel dann bereits schon in vollem Gange, was in der Regel recht flott zum Unausweichlichen führt. In einer ähnlichen Situation findet sich ein scheinbar wahllos zusammengewürfelter Trupp von Menschen wieder, nur dass hier schwer erkennbar ist, ob jemand sein perfides Spiel treibt oder etwas ganz anderes dahintersteckt…
Ein verlassenes Schwimmbad. Ein leeres Becken und von Badespaß weit und breit keine Spur. Hier treffen unterschiedliche Personen aufeinander, die sich weder kennen noch irgendeine Erinnerung daran haben, wie sie an diesen nicht gerade einladenden Ort gelangt sind. Allen voran das kleine Mädchen Sumi. Zu ihr gesellt sich Vincent, der sich mit rotem Tuch vorm Gesicht selbst als Superheld Tornado vorstellt. Hinzu kommen die blinde Jenny, der obdachlose Horatio, Polizist Abel und sein Gefangener Jonas, Robin, Luke und das zerstrittene Ehepaar Eve und Joon. Sie alle haben Fragen. Darüber, wie und warum man sie an diesen Ort gebracht hat. Können sie einander trauen? Könnte schwer werden, denn es dauert nicht lange, bis erstes Blut über die kalten Kacheln des Schwimmbads fließt und ebenfalls erste Geheimnisse über die unfreiwillige Zusammenkunft gelüftet werden. Eines ist sicher… sie sind aus einem bestimmten Grund dort.
Der Comic-Endgegner
Geschrieben vom Comic-Autor Michael Mikolajczak, ist „Sumi“ keine Lektüre, die ich Comic-Einsteigern empfehlen würde. Die Geschichte ist durchaus komplex und erzählt sich hin- und herspringend, wobei sie auch vor Rückblenden nicht haltmacht. So werden Geschichten einzelner Charaktere näher beleuchtet, womit sich Stück für Stück der verwirrende Schleier lichtet, bevor die große Offenbarung kommt. Diese entschädigt dann auch die Leserinnen und Leser mit einem cleveren Twist. Um ein paar Ecken erinnerte mich die Auflösung an einen US-Psychothriller aus dem Jahr 2003, dessen Titel hier natürlich nicht verraten wird. Mit Kenntnis des Endes von „Sumi“, kann ich nur dazu raten, einen zweiten Lese-Durchgang zu starten. Dieser sollte einige Fragezeichen ausradieren und für besseres Verständnis sorgen.
Wie bereits gesagt, macht Michael Mikolajczak, der schon für die großartigen Graphic Novels „Ratten“ (mit Zeichner Sascha Dörp), „Sandmann“ (mit Jacek Piotrowski) oder „Die Spinne“ (mit Andreas Möller) verantwortlich war, es seinem Publikum nicht leicht. Antworten werden nicht auf dem Silbertablett geliefert und das Lesen fordert gewaltig. Erschwert wird dieses noch durch die Zeichnungen. Wer schon mit einem Zeichner-Wechsel innerhalb eines Comics (häufig bei Sammelbänden innerhalb fortlaufender US-Reihen der Fall) überfordert ist, wird bei „Sumi“ kreischend von der Couch springen. Hier findet nämlich nicht nur ein Wechsel statt…
Eine Geschichte, neunzehn Stile
Ganze 19(!) Künstlerinnen und Künstler sind hier am Werke. Und deren Stile könnten unterschiedlicher nicht sein. Mal im düsteren Noir-Stil, dann schwarz-weiß getuscht. Anschließend minimalistisch und bunt-experimentell, gefolgt von detaillierten Zeichnungen, die mehr auf Realismus setzen. Selten war ein Comic vielfältiger. Vor allem nicht, wenn eine durchgängige Geschichte weitergesponnen wird. Damit erklärt sich auch, warum „Sumi“ eine lange Zeit bis zur Fertigstellung benötigte. Umso erstaunlicher, dass das Ergebnis dann in weiten Teilen auch harmonisch wirkt… wenn auch erst beim zweiten Durchgang.
An so mancher künstlerischen Umsetzung konnte ich mich nicht sattsehen, was leider nicht für die kompletten 19 Kapitel gilt. Der eine oder andere kreative Output war mir dann entweder zu schlicht oder gefiel mir einfach nicht. Eindeutig eine Frage des Geschmacks. Bei einem solchen visuellen Overkill wäre es auch erstaunlich gewesen, wenn jeder Stil ins Schwarze getroffen hätte. Besonders hervorheben möchte ich die Kapitel von Jacek Piotrowski, Stefan Sombetzki, Matthias Schardt und ZAZA Uta Röttgers. Diese spielen besonders gelungen mit Farben und Schattierungen. Um aber keine Künstlerin und keinen Künstler, die zu diesem ganz und gar nicht alltäglichen Werk beigetragen haben und „Sumi“ (trotz kleiner Beanstandungen) so außergewöhnlich machen, unerwähnt zu lassen, ist hier die komplette Aufstellung der Kreativen:
Philipp S Neundorf, Andreas Butzbach, Matthias Lehmann, Jurek Malottke, Jan Hoffmann, Hannes Klesse, Carolin Reich, Plastic, Kaydee Artistry, Detlef Henke, Jacek Piotrowski, Stefan Lochmann, Stefan Sombetzki, Holger Klein, Matthias Schardt, ZAZA Uta Röttgers, Jan-Erik Mendel, Dom Valecillo und Sascha Dörp.
Um für den zweiten Lese-Trip gewappnet zu sein, sind am Ende des Buches alle auftauchenden Charaktere in ihren jeweiligen künstlerischen Umsetzungen abgebildet. Für den ersten und unvoreingenommenen Durchgang wurde ich aber von ständigem Orientierungs-Blättern abraten und „Sumi“ erstmal am Stück lesen.
Neben dem regulären Hardcover im US-Format ist noch eine weitere Variante von „Sumi“ erhältlich. Die Vorzugsausgabe von KULT COMICS beinhaltet 8 signierte Exlibris und ist auf 50 Exemplare limitiert. Diese verteilen sich wiederum auf zwei unterschiedliche Hardcover-Bände mit jeweils einem anderen Front-Motiv.
Fazit:
Es bleibt zu sagen, dass mit „Sumi“ ein aufwändiges und kreativ anspruchsvolles Comic-Projekt auf die Beine gestellt wurde, welches sicherlich fordernd ist, aber mit gelungenem Twist abliefert. Kein Titel, den man nach dem Zuklappen direkt wieder vergisst, sondern gleich noch mal von vorne beginnen möchte.
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