Text:   Zeichner: Oljanna Haus

Sonne und Beton - Die Graphic Novel

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Yannic Niehr
7101

Comic-Couch Rezension vonDez 2021

Story

Überraschend ehrlich und behutsam wird aus dem Leben dieser Neuköllner Jungs erzählt - und das in einer konfrontativen Sprache, die kein Blatt vor den Mund nimmt.

Zeichnung

Ausdrucksstark, authentisch und originell. Nur das Figurendesign hätte noch einen Hauch individueller ausgestaltet werden dürfen.

Blut und Asphalt

Ein schwüler Somme im Berlin der frühen 2000er: Lukas, Gino und Julius navigieren durch einen Alltag, der geprägt ist von Tabak, Drogen, Kleinkriminalität, und Gangkrawallen. Die Freundschaft der Jungs hilft ihnen dabei, auf dem harten Neuköllner Pflaster zwischen Plattenbau und Perspektivlosigkeit zu bestehen. Lukas eifert seinem Vorbild – seinem großen Bruder Marco – nach, der es hier herausgeschafft hat; anderswo hat Gino unter den Prügeln seines Vaters zu leiden. Die graue Monotonie wird durch den neuen Schüler Sanchez durchbrochen, der mit seiner Grundlockerheit frischen Wind in die Gruppe bringt und sich schnell in den kleinen Freundeskreis integriert.

Als die Schule aufgrund eines Bildungsprogrammes eine Förderung in Form von einer Ladung brandneuer Computer zur Verfügung gestellt wird, reift in den Jungs ein kühner Plan: Wie wäre es, nachts einzubrechen, die PCs zu klauen und anschließend zu verticken? Da sollte für jeden eine Menge bei rausspringen. Nach anfänglichem Zögern erwärmt sich auch Lukas für die Idee, die schon bald in die Tat umgesetzt wird – mit ungeahnten Folgen …

„Neuköllnknowledge“

Felix Lobrecht, junger Autor und Poetry-Slammer, ist heute hauptsächlich als Stand-Up-Comedian bekannt. Sein Podcast mit Tommi Schmidt ist einer der erfolgreichsten ganz Europas. Mit Sonne und Beton legte Lobrecht bereits 2017 sein vielbeachtetes Romandebut vor, mit welchen er denen, die ihn nur für seine Comedy kannten, gänzlich neue Seiten offenbarte. Nun ist zusammen mit der jungen Künstlerin Oljanna Haus dieses Gemeinschaftsprojekt entstanden, welches den Roman als Graphic Novel umsetzt.

„Locooo“

Die rasant erzählte Geschichte ist keine überhebliche Milieustudie, sondern vielmehr ein einfühlsames Slice-of-Life-Porträt junger Menschen, deren Leben in der Chancenlosigkeit zu stagnieren scheint. So passiert in der Handlung auch grundsätzlich relativ wenig, man wird unvorhergesehen mitten hineingeworfen in das Leben von Lukas, Julius, Gino und Sanchez, und ebenso abrupt endet die Story. Während man sie durch ihre Tage und Nächte hindurch begleitet, wird deutlich, dass sie zwar einen Großteil ihrer (teils schmerzhaften) Erfahrungen hier teilen, dennoch aber durch sehr unterschiedliche Hintergründe geprägt sind. Themen gesellschaftlicher Brisanz wie Arbeitslosigkeit, häusliche Gewalt und Rassismus bilden häufig den Subtext des Geschehens, ohne sich mit erhobenem Zeigefinger in den Vordergrund zu drängen. Im Mittelpunkt stehen ganz klar die Figuren, hinter deren antrainiertem Machismo, der gelegentlich in Aggression umschlägt, sich viel Frust, aber auch Verletzlichkeit verbergen. So wachsen sie einem sehr schnell ans Herz. Bemerkenswert ist, wie authentisch der Autor die Dings, Mundart der Jungs nachbildet, ja. Dies lässt ihre Welt echt und lebendig werden und trägt außerdem dazu bei, jeden Charakter individuell zu umreißen.

Der Zeichnerin gelingt es dabei mit spielerischer Leichtigkeit, den Look der 2000er in ihren Bildern detailliert einzufangen und zudem die bedrückende, klaustrophobische Enge der grau-in-grauen Plattenbausiedlungen von Gropiusstadt zu vermitteln. Das Neuköllner Setting ist in dieser Geschichte beinahe ein eigener Protagonist, und zum Glück können die klar konturierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen diesen elegant und glaubhaft in Szene setzen. Durchbrochen wird die Tristesse des Farbschemas lediglich von einem knalligen Blutrot, der Farbe, die auch Lukas als zentralen Erzähler der Geschichte absetzt und manchmal eine geradezu wehmütige, an anderen Stellen wiederum brachiale Stimmung erzeugt. Lediglich das Figurendesign ist insofern gewöhnungsbedürftig, als dass diese sich optisch sehr ähneln – gerade in den (wenigen) Szenen, in welchen auch Nebencharaktere eine Rolle spielen. Trotzdem sind sie ausdrucksstark inszeniert, sodass die dynamischen Illustrationen einen beim Lesen auch emotional packen.

Fazit:

Sonne und Beton ist die ungeschönte, pulsierende Chronik einer Jugend im sogenannten Brennpunkt, raffiniert erzählt und visuell bemerkenswert. Wer den Stoff auf eine ganz eigen präsentierte Art und Weise kennenlernen möchte, sollte zu dieser Graphic Novel greifen.

Sonne und Beton - Die Graphic Novel

Felix Lobrecht, Oljanna Haus, hanserblau

Sonne und Beton - Die Graphic Novel

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