Snowpiercer

  • Egmont
  • Erschienen: September 2021
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonNov 2021

Story

Ein düsterer Sci-Fi-Klassiker, den man unbedingt gelesen haben sollte. Wieder – oder noch immer – höchst aktuell.

Zeichnung

Tolle Bilder, die extrem viel aus dem Kammerspiel-artigen Setting herausholen.

Apokalyptischer Klassenkampf

Apocalypse Soon

Wenn wir ehrlich sind, vermuten wir wohl alle, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es richtig kippt. Und damit meine ich, so RICHTIG. Wie das Wetter sich bemerkbar macht, um uns mit brachialer Gewalt zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann, zeigte uns der Sommer 2021. Im Juli trafen die Fluten die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz besonders hart, was die in den betroffenen Gebieten lebenden Menschen vor den Scherben ihrer Existenz zurückließ. Der Winter rückt mit großen Schritten näher und die „Glücklichen“, die nicht zu den über 180 Todesopfern zähen, müssen weiterhin auf zugesagte Hilfe hoffen. Bis die verwüsteten Gemeinden wiederaufgebaut sind, werden mehrere Jahre ins Land ziehen, die schätzungsweise mehr als 29 Milliarden Euro verschlingen werden. Jahre, in denen ähnliche Katastrophen nicht ausgeschlossen werden können. Doch nicht nur Deutschland hat es 2021 schwer erwischt. Man denke nur an den folgenschweren Vulkanausbruch auf La Palma, Erdbeben in Pakistan, Tokio oder auf Kreta… dann noch die immer stärker ausartenden Waldbrände, Hurrikans und Tornados, die immer öfter auch bei uns zu sehen sind. Es lässt sich nicht leugnen, dass wir unseren schönen Planeten vor die Wand fahren, sollte sich nicht in naher Zukunft etwas ändern…

Zwei-Klassen-Gesellschaft

Etwas ändern wollten auch die Wissenschaftler. Zweifelsfrei mit lobenswerten Absichten, aber der Knall ging wortwörtlich nach hinten los… und katapultierte die Menschheit umgehend in eine neue Eiszeit. Die Welt, wie wir sie kannten und (noch) kennen, wurde unbewohnbar. Die letzte Bastion der Überlebenden ist ein gigantischer Zug, der sich durch die vereiste Oberfläche fräst. Er bietet Schutz vor dem bitterkalten Tod, ist mit seinen unzähligen Waggons jedoch in Zonen unterteilt, die das Leben an Bord des einstigen Luxus-Vehikels für die unterprivilegierte Gesellschaft zur Hölle macht. Einer Hölle auf Schienen, während das reiche Volk im Vorderteil in überschwänglichem Saus und Braus lebt. Mit Wein, Weib und Gesang, will man mit dem Pöbel vom „Arsch“ des Zuges nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Dieser ist mehr oder weniger sich selbst überlassen, haust auf engstem Raum und in Armut. Stets von bewaffneten Armeen in Schach gehalten, um den Luxus der reichen Brut nicht zu gefährden.

Vorsicht hinter der Bahnsteigkante

Proloff hat die Schnauze voll vom „Arsch“. Er unternimmt einen waghalsigen Versuch, um der unvorstellbaren Hölle zu entkommen. Es bleibt nur die Flucht nach vorn, denn außerhalb der schützenden Wände des „Snowpiercer“ wartet der Kältetod. Ein kurzes Aussteigen wäre aber noch aus einem anderen Grund unmöglich, denn der Zug hält niemals an. Dieser funktioniert wie ein Perpetuum mobile und dreht konstant bei gleichbleibender Geschwindigkeit seine Runden durch das globale Schienennetz. Weit kommt Proloff allerdings nicht und wird von den Wachen festgesetzt. Adeline Belleau, eine junge Frau, die die Interessen von „Arsch“-Bewohnern vertritt und sich für deren Integration in die vorderen Waggons einsetzt, wird zusammen mit ihm unter Quarantäne gestellt. Überraschenderweise hat man im Hauptquartier reges Interesse daran, den Flüchtigen persönlich kennenzulernen. Und so werden Proloff und Adeline unter strenger Bewachung zum Generalstabswagen eskortiert. Zeitgleich machen die Gerüchte einer infektiösen Seuche die Runde und es breitet sich langsam Panik aus. Und Oberst Krimson und der Präsident des „Snowpiercer“ verfolgen einen teuflischen Plan, den es mit aller Macht zu verhindern gilt…

Die Abfahrt verzögert sich um… 31 Jahre

Lange hat es gedauert, bis „Snowpiercer“ es überhaupt nach Deutschland schaffte. Im VERLAGSHAUS JACOBY & STUART erschien 2013 erstmalig eine deutsche Übersetzung des Stoffes. Damals noch unter dem eingedeutschten Namen „Schneekreuzer“. Reichlich spät, wenn man bedenkt, dass „Le Transperceneige“, so der französische Originaltitel, in seiner Heimat schon im Jahr 1982 den Bahnhof verließ. Da das Thema allerdings wieder brandaktuell ist - wahrscheinlich sogar aktueller und akuter als in den frühen 80ern, wo Umwelt-Themen bereits großflächig auf Regierungs-Tischen ausgebreitet, anschließend jedoch kleinlaut wieder zusammengefaltet wurden -, ist es nicht verwunderlich, dass die dystopisch-apokalyptische Story nun einer Frischzellen-Kur unterzogen wurde. Dafür zeichnet sich der EGMONT Verlag verantwortlich, wo Mitte Januar dann in deutscher Erstveröffentlichung auch die Fortsetzung „Terminus“ veröffentlicht wird. Dass man für die Deutschland-Premiere des dreiteiligen Originals - bestehend aus den Bänden „Der Entflohene“, „Der Landvermesser“ und „Die Überquerung“ - ausgerechnet das Jahr 2013 auswählte, kam nicht von Ungefähr. 2013 erschien nämlich auch die filmische Adaption des Stoffes, worauf wir aber gleich noch zu sprechen kommen.

Die Idee zu „Snowpiercer“ stammt vom französischen Comic-Autor Jacques Lob (1932 – 1990). Am Anfang seiner Karriere noch selbst zeichnerisch tätig und dem Funny-Genre zugetan, wechselte er in den frühen 60ern ausschließlich auf die Autoren-Seite. Dort arbeitete er mit namhaften Künstlern wie Jijé („Spirou und Fantasio“, „Der rote Korsar“), Georges Pichard („Brigitte“, „Carmen“, „Paulette“) oder Jean-Claude Mézières („Valerian und Veronique“). Zusammen mit Zeichner Marcel Gotlib schuf Lob dann 1972 die beliebte Superhelden-Parodie „Superdupont“, die im Laufe der folgenden Jahre mit Unterbrechung und unterschiedlichen Zeichnern in verschiedenen Comic-Magazinen publiziert wurde. Zu dieser Zeit griff Jacques Lob auch wieder vermehrt zum Zeichenstift. So erschienen Comic-Beiträge von ihm in diversen Magazinen, bevor er 1982 die Idee zu „Le Transperceneige“ hatte. Dafür arbeitete er eng mit dem in Baden-Baden geborenen Künstler Jean-Marc Rochette zusammen, der die Post-Apokalypse trotz limitierten Settings in eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Bilder gebettet hat. Gespickt mit vielen Details und einem realistischen Look, lässt sich die Kälte der trostlosen Außenwelt in „Der Entflohene“ regelrecht fühlen. In den beiden nachfolgenden Alben weicht Rochette etwas von diesem Stil ab. Die klaren Linien weichen gröberen - jedoch nicht minder gelungenen - Schraffuren und die grauen Abstufungen sind weicher als noch im Vorgänger. Immerhin liegen zwischen dem ersten Album und der Fortsetzung stolze 17 Jahre. Als Autor trat der Franzose Benjamin Legrand die Nachfolge des bereits 1990 verstorbenen Jacques Lob an.

Im umfangreichen Bonusteil, welcher mit zahlreichen Skizzen, Portraits und Malereien von Jean-Marc Rochette unterlegt ist, die während und nach seiner Mitarbeit der Kino-Adaption entstanden, gibt es ein mehrseitiges Nachwort von Jean-Pierre Dionnet, dem Mitgründer des Verlags Les Humanoïdes Associés und Herausgeber des Magazins „Métal hurlant“, das in Deutschland von 1980 bis 1999 unter dem Namen „Schwermetall“ erschien.

Mehrgleisig

Wie bereits erwähnt, wurde die Geschichte 2013 für Kino verfilmt. Für die Regie konnte man den talentierten südkoreanischen Filmemacher Bong Joon-ho gewinnen. Seine erste internationale Produktion, nachdem der seit dem Jahr 1997 in der Film-Branche tätige Autor, Regisseur und Produzent mit „Memories of Murder“ und dem Monster-Drama „The Host“ gefeierte Aufmerksamkeit erregte. Mit seiner bitterbösen Gesellschaftssatire „Parasite“ lieferte er 2019 einen Überraschungs-Hit ab, der mit vier Academy Awards, zwei BAFTA Awards, dem César, vier Asian Film Awards und der Goldenen Palme bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet wurde… um nur einige Preise zu nennen. Für „Snowpiercer“ schrieb Bong Joon-ho gemeinsam mit Kelly Masterson das Drehbuch und konnte den legendären Filmemacher Park Chan-wook („Oldboy“, „Lady Vengeance“, „Stoker“, „Die Taschendiebin“) als Produzenten gewinnen. Es versammelte sich ein internationaler Cast, angeführt von Chris „Captain America“ Evans („Final Call“, „Fantastic Four“, „Sunshine“, „Begabt - Die Gleichung eines Lebens“, Knives Out“), Song Kang-ho („Joint Security Area“, „Parasite“), der bis zum Erbrechen verunstalteten Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton („The Beach“, „Michael Clayton“, „We Need to Talk About Kevin“, „Suspiria“, „Doctor Strange“), dem 2017 verstorbenen John Hurt („Alien“, „Heaven’s Gate“, „1984“, „V wie Vendetta“, „Oxford Murders“), Octavia Spencer („The Help“, „Hidden Figures“, „Die Hütte - Ein Wochenende mit Gott“, „Ma“, „Hexen hexen“) und Jamie Bell („Billy Elliot - I Will Dance“, „King Kong“, „Drecksau“, „Skin“, „Rocketman“). Inhaltlich ging man andere Wege als die Comic-Vorlage und versteifte sich vornehmlich auf Action-Szenen, die jedoch sehr gut inszeniert und hervorragend gefilmt wurden. Aus Proloff wurde Curtis, die Schwarz/Weiß-Zeichnung wurde noch deutlicher und aus der beklemmenden Gesellschaftskritik wurde eine fast schon grotesk überspitzte Satire. Visuell einwandfrei, aber die Comic-Geschichte ziehe ich deutlich vor.

Im Mai 2020 startete auf dem Streamingdienst NETFLIX die gleichnamige Serien-Umsetzung. Diese orientiert sich wiederum an Bong Joon-hos Film, kann auf Grund ihrer deutlich längeren Laufzeit aber weitere Elemente einbauen und vertiefen. So steht hier der ehemalige Polizist Andre Layton im Vordergrund, der zwar im hinteren Teil des Zugs untergebracht ist, der besser gestellten Gesellschaft jedoch bei der Aufklärung eines Mordes behilflich sein soll. Gleichzeitig plant er jedoch, eine Revolution anzuzetteln. Mit Oscar-Gewinnerin Jennifer Connelly („Die Reise ins Labyrinth“, „Rocketeer“, „Dark City“, „Requiem for a Dream“, „A Beautiful Mind“, „Blood Diamond“, „Alita: Battle Angel“), Sean Bean („Die Stunde der Patrioten“, „007: Goldeneye“, „Der Herr der Ringe“-Trilogie, „Silent Hill“, „Game of Thrones“) und Newcomer Daveed Diggs („Wunder“, „Die Kunst des toten Mannes“, „Black-ish“) ist die Serie sehr gut besetzt und überzeugt durch ihre aufwändige Produktion. Eine dritte Staffel ist bereits abgedreht und „Snowpiercer“ wurde jüngst um eine vierte Season verlängert. Definitiv einen Blick wert und endlich auch mal was Längerfristiges. Heutzutage muss man bei Serien-Neustarts ja eher vorsichtig sein, da vielen Projekten schneller der Stecker gezogen wird, als ein langsam anrollender Plot an Fahrt aufnehmen kann. Eine traurige Entwicklung, zu der wahrscheinlich auch veränderte Sehgewohnheiten beigetragen haben.

Fazit:

Für Sci-Fi-Fans sollte kein Weg an „Snowpiercer“ vorbeiführen. Der Comic hat da die Nase klar vorn und bleibt nach Film- und Serien-Umsetzung das Nonplusultra, was den Stoff angeht. Für kürzere Aufmerksamkeitsspannen darf der Film empfohlen werden, obwohl dieser zu keiner Zeit das Potential der gedruckten Vorlage erreicht. Die hochwertige EGMONT-Gesamtausgabe, die in Kürze noch durch die Erstveröffentlichung der Fortsetzung komplettiert wird, ist ihr Geld mehr als wert, da viel Inhalt geboten wird.

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