Text:   Zeichner: Alex Alice

Siegfried (Gesamtausgabe)

Siegfried (Gesamtausgabe)
Siegfried (Gesamtausgabe)
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Marcel Scharrenbroich
10101

Comic-Couch Rezension vonFeb 2021

Story

Großartige Inszenierung, die komplett funktioniert. Mal tiefgründig und verschachtelt, aber doch stets nachvollziehbar. Gelegentlicher Humor lockert die Stimmung auf, ohne aufgesetzt oder zu albern zu wirken.

Zeichnung

Eine Wucht! Der Künstler bläst jede Seite brillant bis zum Bersten auf, sodass die Panels allesamt „EPISCH!“ schreien.

Pures Gold!

Die Wurzel des Unglücks

Metallisch gelb. Ein sogenanntes Übergangsmetall, welches im von jung und alt geliebten Periodensystem in der Nebengruppe der Kupfermetalle zu finden ist. Ordnungszahl 79. Selten, scheinbar unvergänglich und widerständig vor Korrosion. Aurum. Gold.

Was wir heutzutage an den Fingern, um den Hals, in den Ohren, manche sogar als Krönchen tragen oder der Einfachheit halber einfach in Barren-Form im Keller stapeln, wurde am Anbeginn der Zeit noch eine andere Bedeutung zuteil. Als Odin sich bei der Geburt des Universums mit der Erde vermählte, war es das Gold, das sich selbst seiner grenzenlosen Macht nicht unterwerfen ließ. Seinem Besitzer gab es alles. Und dennoch nahm es. Es bemächtigte sich des Herzens und machte denjenigen, der seine unbändige Kraft in Händen hielt, unfähig zu lieben. Diesen Schritt scheute selbst Odin und verbannte das Gold in Tiefen, in denen niemand das mächtige und zugleich machthungrige Edelmetall jemals finden würde. Trotzdem stellte Odin seine älteste Tochter ab, die den Fluss bewachen sollte, in dem er das Gold versenkte. Nun hätte es so einfach sein können: Odin behielt seine Macht, das Gold wurde nie gefunden und wurde somit auch nie zur Bedrohung. Doch… was ist schon einfach?

An die Oberfläche

Mit zwei Dingen konnte selbst Odin nicht rechnen. Zum einen mit Fafnir, einem Nibelung, der wie sein ganzes Volk im Inneren der Erde im Schutz vor dem Sonnenlicht lebte, und zum anderen, dass seine Tochter sich in einen Sterblichen verliebte. Fafnir, das komplette Gegenteil zur Schönheit der Frau göttlichen Geblüts, war besessen von ihrer strahlenden Erscheinung, erfuhr jedoch nur schmerzhafte Zurückweisung, die ihn in den Tiefen hielt. Er nahm das Gold, verfluchte gekränkt die Liebe.

Odins Tochter gebar ihrem Liebsten einen Jungen, doch der Gott duldete diese Zusammenkunft nicht. Er verfolgte die Liebenden bis an den Rand der Welt, wo er der trauten Zweisamkeit ein Ende setzte. Das Schwert des Sterblichen zerbarst an Odins Zepter und der Mann ließ sein Leben, während der Gott seiner Tochter ihre Unsterblichkeit nahm. Fafnir zog sich indes immer weiter in die unterirdischen Höhlen zurück. Entfremdete sich im Schatten seiner Macht vom eigenen Volk. Er veränderte sich. Wurde verrückt… bis nichts mehr von dem einstigen Nibelung übrig war. Das Gold machte ihn zur Bestie und sein unmenschliches Grollen ließ die unterirdischen Gewölbe erzittern. Zerstörte sie und sprengte die Nibelungen in alle Himmelsrichtungen. So war es Mime, ein Schmied des Volkes, der im Schutze der Dunkelheit unzählige Winkel der Welt durchquerte, der in einer winterlichen Nacht auf das Ergebnis von Odins rasender Wut traf. Mitten im Schnee lag eine schwerverletzte Frau, die ihm ihr Kostbarstes anvertraute, bevor sie starb. Ein Kind.

Bestimmung

Mime nahm den Knaben in seine Obhut. So wuchs Siegfried in der Höhle des Nibelung und in der Wildnis auf, wo er mit den Wölfen durch den Schnee tollte. Im festen Glauben, dass seine Eltern ihn ausgesetzt hatten. Nicht ahnend, dass es die letzte Bitte seiner sterbenden Mutter war, ihn vor den Göttern zu verbergen. Nur eine Brosche erinnerte Siegfried an eine vermeintliche Vergangenheit. Und die Klinge des zerbrochenen Schwertes, die die Göttin dem Schmied zusammen mit ihrem Sohn überließ. Diese findet Siegfried nun eher zufällig unter Mimes Habseligkeiten. Die andere Hälfte versank im gefrorenen See, in jener schicksalhaften Nacht. Doch das Schwert ruft ihn. Führt Siegfried näher an seine Vergangenheit, seine Herkunft und sein Schicksal. Denn Mime zieht ihn in der Absicht groß, dass Siegfried sich eines Tages dem mächtigen Drachen entgegenstellen kann… Fafnir.

Aber Siegfried hat noch ein weiteres Ziel. Er möchte zu seinesgleichen. Zu den Menschen. Mit dem Plan, den mächtigen Drachen zu töten, den Nibelungen ihre sichere Heimat zurückzugeben und seinen Platz in der Welt zu finden, bricht der herangewachsene Jüngling in ein gewagtes Abenteuer mit unvorhersehbarem Ausgang auf. Dicht an seiner Seite, der väterliche Freund Mime. Dieser spielt allerdings nicht mit komplett offenen Karten, hat der Nibelung doch eine ausgiebige Schwäche für Gold…

Eine Naturgewalt

Um es vorweg zu nehmen, „Siegfried“ hat all meine Erwartungen übertroffen. Ich ging recht jungfräulich an die neue Gesamtausgabe und wusste nicht, was mich erwartet. Weder der genaue Inhalt noch die optische Präsentation waren mir bekannt. Und es dauerte nur wenige Seiten, bis mich beides wie eine Lawine überrollte. Die Zeichnungen sind beeindruckend. Jede Seite wurde optimal genutzt und an so manchem Panel kann man sich nicht sattsehen. Besonders wenn die Bilder ihre Rahmen einreißen und nahtlos präsentiert werden, läuft der französische Zeichner Alex Alice („Das Schloss in den Sternen“; ebenfalls bei SPLITTER) zu Hochform auf. Grazile Linien unterstützen die ästhetische Präsentation, während kraftvolles Schwarz dem ganzen Werk Tiefe verleiht.

Apropos „Werk“. Dieses bestand ursprünglich aus drei einzelnen Alben, die SPLITTER zwischen 2008 und 2012 veröffentlichte. Neben den Standard-Ausführungen brachten die Bielefelder zu jedem Band auch noch eine limitierte Vorzugsausgabe in den Handel. Da diese Ausgaben aber zum Teil nur noch antiquarisch erhältlich sind, wurde nun eine kompakte Gesamtausgabe herausgebracht, die keine Wünsche offenlässt. Zwar findet sich kein Bonusmaterial am Ende, was aufgrund des eh schon ordentlichen Umfangs aber leicht zu verschmerzen ist. Das ursprüngliche Format wurde erfreulicherweise beibehalten, sodass die bombastischen Bilder weiterhin in optimaler Größe wirken können. Mit 232 Seiten macht der schwere Brocken auch ordentlich was her und das geniale Cover-Motiv, welches im besten Sinne an Fantasy-Kinoplakate der 80er erinnert, macht es fast zu schade, dieses Prachtstück ins Regal einzusortieren.

Segen und Fluch

Ich möchte die Technik und den Fortschritt jetzt nicht verteufeln, denn der moderne Zeichentrick-Film brachte uns visuelle Meisterwerke wie „Spider-Man: A New Universe“ (dessen „deutscher“ Titel mich heute noch verzweifeln lässt…), den herrlichen Disney-Spaß „Zoomania“ oder die ganze PIXAR-Palette, die von bunt und lustig bis bewegend und tiefgründig reicht. Jedoch bin ich mit den klassisch handgezeichneten Filmen aufgewachsen, was mich öfter wehmütig an diese Zeit zurückdenken lässt. „Das Dschungelbuch“, „Bernard & Bianca“, „Feivel, der Mauswanderer“ und später „Akira“, „Ghost in the Shell“ & Co. Warum sagt der Mann das jetzt? Ganz einfach: „Siegfried“ sollte eigentlich ein Film werden. Zeichentrick der alten Schule. 2001 nahm Alex Alice dieses ehrgeizige Projekt in Angriff. Klassische 2D-Animationen. 2003 konnte er dann einen mehr als ambitionierten Trailer vorlegen, um möglichen Investoren das Projekt schmackhaft zu machen. Die rund drei Minuten, die diese Kostprobe dauert, sind extrem beeindruckend, wovon sich gerne jeder selbst auf der wohl bekanntesten Videoplattform überzeugen kann. Das dort gezeigte atmet den Geist früherer Don Bluth-Produktionen und bringt epische Fantasy-Elemente ein, die man ähnlich in Ralph Bakshis „Der Herr der Ringe“-Adaption von 1978 sehen konnte.

Leider rannte Alex Alice damit keine offenen Türen ein, da die Studios mit Beginn des neuen Jahrtausends beinahe ausschließlich auf Computer-animierte Produktionen setzten. „Shrek“, „Dinosaurier“, „Final Fantasy“, „Die Monster AG“, „Ice Age“… die Liste war schon damals lang und die Tür, die „Toy Story“ einst geöffnet hatte, wurde bis heute nicht wieder geschlossen. Klar, die Animationen werden immer besser, was der heutigen Technik, mit der wir Filme schauen, natürlich in die Karten spielt, aber ein traditionelles Projekt wäre auch mal wieder was Feines. Allerdings hatte die Ablehnung der Investoren auch was Gutes, da uns sonst wohl ein geniales und über jeden Zweifel erhabenes Comic-Projekt verwehrt geblieben wäre.

Fazit:

Fantasy-interessierten Lesern, die auch optisch gerne die volle Dröhnung bevorzugen, wurde es selten einfacher gemacht. Die Gesamtausgabe von Alex Alices Interpretation der Nibelungensage lässt keine Wünsche offen und begeistert auf ganzer Linie.

Siegfried (Gesamtausgabe)

Alex Alice, Alex Alice, Splitter

Siegfried (Gesamtausgabe)

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