Paradies

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Marcel Scharrenbroich
8101

Comic-Couch Rezension vonAug 2019

Story

Mysteriös und spannend spitzt sich die Lage immer weiter zu, bis die Alpträume gnadenlos in die Realität preschen. Mystery-Horror, der nicht nur plakativ ist, sondern in seinen Drama-Parts auch auf die Beziehungen der Protagonisten eingeht.

Zeichnung

Ein realistischer Stil, der schnörkellos und minimal gehalten auf den Punkt kommt. Die Zeichnungen ergänzen sich harmonisch mit der Geschichte und stehlen ihr nicht die Show. Eine Kooperation, die erneut gut funktioniert.

Where the grass is green and the girls are pretty…

…oh won't you please take me home

Wiederkehrende Alpträume. Nächtliches Schlafwandeln. Für Betroffene muss es wahrlich eine Tortur sein. Angst vor dem Einschlafen zu haben. Nicht zu wissen, welche Erinnerungsfetzen sich willkürlich zu einer verzerrten Phantasmagorie zusammensetzen und den Körper unbewusst lenken, die Psyche vergiften. Lassen die Trugbilder das schlafende Opfer demnächst von einer Brücke springen? Auf das Dach eines Hochhauses klettern? Blind in den Straßenverkehr rennen? Wie muss es sich anfühlen, gegen die unausweichliche Müdigkeit anzukämpfen? In den Ruhephasen, die unser aller Körper benötigt, den größten Feind zu sehen? Nicht zu wissen, welche regelrechte Alptraumwelt sich offenbart, sollte man nur kurz die Augen schließen, um dem Willen des Leibes nachzugeben? Sich dem eigenen Geist mit aller Kraft entgegenstellen, im festen Wissen, dass man den Kampf sowieso verlieren wird… früher oder später? Unvorstellbar, dass wir die Kontrolle über unser Handeln aus den Händen geben müssten, nicht vorhersehbar wo und in welcher Situation wir uns wiederfinden, wenn wir die Augen wieder öffnen… sollten wir sie jemals wieder öffnen. Unvorstellbar…

Nori ist Schlafwandlerin. Auch hat sie mit wiederkehrenden Alpträumen zu kämpfen. Trotz medikamentöser Behandlung plagt sie regelmäßig der gleiche Traum. Sie träumt von Thailand, ihrem Heimatland. Dort verlor sie als Kind ihre Eltern bei einem Tsunami und entkam nur knapp mit dem Leben. Auch ihre Adoptiveltern, die Nori in den Vereinigten Staaten aufzogen, verlor die junge Frau auf tragische Weise. Der Autounfall, der die beiden das Leben kostete, verletzte sie schwer… sowohl psychisch als auch physisch. Innere Organe wurden in Mitleidenschaft gezogen, was zur Folge hatte, dass der ersehnte Kinderwunsch von Nori und ihrem Partner Don, einem Kleinstadt-Polizisten, unerfüllt bleiben soll. Doch warum träumt Nori immer wieder von einem kleinen Jungen in ihrem Heimatland, der unmöglich ihr Sohn sein kann? Haben ihre traumatischen Verluste und die Sehnsucht nach einem eigenen Kind derart tiefe Narben auf ihrer Psyche hinterlassen, dass sie diese bis in ihre tiefsten Träume quälen? Der behandelnde Arzt vermutet es und Don ist langsam aber sicher mit den Nerven runter. Ihre Beziehung wird auf eine harte Probe gestellt und als Nori versucht, sich während ihres Klinikaufenthaltes das Leben zu nehmen und Dons Mutter, die gemeinsam mit dem jungen Paar lebt, bei einem Brand ums Leben kommt, der ihre gesamte Existenz verschlingt, beschließt der Deputy, dass es nur noch eine Lösung gibt, die seine und Noris Zukunft retten kann: Ein Neuanfang in Thailand. Dort, wo alles seinen Ursprung zu haben scheint…

Oh think twice…

Gerade in Thailand angekommen, lernt das vom Schicksal gebeutelte Paar Mel und Tony kennen, die ebenfalls neu im Urlaubsparadies sind. Mel betreibt einen Blog im Netz, während Tony als Fotograf die Bilder beisteuert, die die beiden während ihrer Reisen rund um die Welt mit ihren Followern teilen. Man ist sich schnell sympathisch und während einer gemeinsamen Taxifahrt wird kurzerhand beschlossen, dass man sich das gemietete Haus am Strand doch teilen könnte. Für Nori und Don klingt dies nach einem guten Plan, können die Spontan-Aussteiger ihren Aufenthalt doch so gleich für weitere eineinhalb Monate finanzieren. Was danach kommt? Sie wissen es nicht. Müssen sie vielleicht auch nicht, denn die anfängliche Harmonie gerät schon bald ins Wanken. Die Paare geraten aneinander, wo es nur geht, was hauptsächlich den Provokationen von Mel geschuldet ist. Zusehends vergiftet sich die Atmosphäre zwischen den Parteien. Der bestialische Gestank von Neid, Eifersucht, Wut und Hass fängt an zu überwiegen und das Klima in der beinahe unberührten Natur von Thailand zu verpesten. Der kleine, erfolgreiche Schritt in die richtige Richtung ist bald ebenfalls wieder hinfällig, da Noris Alpträume nach einer kurzen Phase des erholsamen Durchschlafens wiederkehren. Erneut ist es der Traum von dem kleinen Jungen. Doch… der Junge ist nicht allein. Nachdem sich Noris Zustand zusehends verschlechtert und sie sogar von Visionen am helllichten Tag geplagt wird, machen die verkrachten Paare am Strand eine grausige Entdeckung… und von da an überschlagen sich die Ereignisse.

If paradise is half as nice…

Autor Michael Mikolajczak, der in diesem Jahr bereits auf grandiose Art und Weise E. T. A. Hoffmanns „Sandmann“ wiederauferstehen ließ, arbeitet nun nach „Blutspur“ erneut mit Zeichner Holger Klein an einem Comic-Projekt. Dabei beweist Mikolajczak wieder, dass er mehr als EIN Genre beherrscht und mixt Drama, Mystery, Kultur und Horror zu einem gelungenen Schauer-Cocktail, der den nächsten Pärchen-Urlaub noch mal überdenken lässt. Persönliche Probleme, die sich immer mehr zuspitzen, nehmen den gleichen Stellenwert ein, wie der übernatürliche Part der Geschichte. Das Schirmchen im Cocktail-Glas ist dann die Traumkulisse von Thailand, die bekannte Spukhaus-Genre-Motive in einem unverbrauchten und durchaus atmosphärischen Setting erstrahlen lassen. Hin und wieder hat „Paradies“ zwar mit Genre-Klischees zu kämpfen, die man als Horror-Freund aus ähnlich angelegten Romanen, Comics oder Filmen bereits aus dem Effeff kennt, was den durchaus stimmigen und dicht erzählten Gesamteindruck  der Story aber kaum schmälert und den Lesefluss nicht stört.

Die Zeichnungen von Holger Klein sind auf ähnlich hohem Niveau wie die Geschichte. Klare Linien, schnörkellos und im besten Sinne klassisch. Klein zeichnet realistisch und ausdrucksstark, was sowohl der (Alp)traumwelt von Nori als auch dem idyllischen Aussteiger-Paradies gut zu Gesicht steht. Ebenso wie die gradlinige Strichführung, hat auch die Kolorierung keine Experimente nötig. Die Farben sind klar, bleiben eintönig im vorgegebenen Rahmen der Outlines und passen sich dem jeweiligen Setting an. Pechschwarze Schattierungen sorgen dann für die nötige Tiefe und verleihen zusätzlich Atmosphäre.

Der Verlag Kult Comics übernimmt nach „Blutspur“, „Ratten“ und „Sandmann“ erneut die Veröffentlichung einer fesselnden Geschichte von Michael Mikolajczak und packt die 192 Seiten von „Paradies“ in ein schickes Hardcover im US-Paperback-Format. Neben der regulären Edition gibt es noch eine Vorzugsausgabe mit Exlibris und Variant-Cover. Diese VZA ist auf 50 Exemplare limitiert. Was allerdings bei beiden Editionen irritiert, ist, dass auf dem Cover sowohl der Name des Autors als auch des Zeichners Schreibfehler enthalten, im Gegensatz zum Buchrücken. Hmm… seeehr ominös. Hat da etwa der kleine Bengel vom Strand seine Finger im Spiel? Man weiß es nicht…

Fazit:

Die perfekte Ferienlektüre für Thailand-Touristen, Schlafwandler und Pärchen-Urlauber… danach werdet ihr Reise-Prospekte nur noch unter der Bettdecke und mit zittriger Taschenlampe in der Hand studieren. Wenn Noris Alpträume und Visionen am verfluchten Strand von Thailand zur grausigen Realität werden, könnt ihr euch sicher sein: „Flueche“ schreibt man mit „ue“.

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