One, Two, Three, Four, Ramones!

One, Two, Three, Four, Ramones!
One, Two, Three, Four, Ramones!
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonMai 2018

Story

Erschreckend ehrlich. Erschreckend faszinierend. Erschreckend erschreckend.

Zeichnung

Dreckig-rohe Zeichnungen, die den Zeitgeist detailreich transportieren und ihre Charaktere treffend charakterisieren. Der Underground-Stil unterstreicht zusätzlich die Atmosphäre.

Hey! Ho! Let's Go!

Time Has Come Today (Album: Subterranean Jungle - 1983)

Sie gelten als Begründer des Punk-Rock. Ihre Namen und das markante Logo prangen noch heute von unzähligen T-Shirts, während weltweit etablierte und erfolgreiche Bands sie als musikalische Inspiration in den Himmel loben. Ihre Songs sind fester Bestandteil auf Festivals, auf Partys und in Clubs. Auf dem Tribute-Album „We’re a Happy Family“ verneigen sich im Jahr 2004 namhafte Künstler wie die Red Hot Chili Peppers, Rob Zombie, Green Day, Kiss, U2, Metallica, Garbage, Marilyn Manson, The Offspring („I Wanna Be Sedated“; auch als deren Cover-Version zu hören  und zu sehen(!) im Film „Die Killerhand“) und Tom Waits vor dem musikalischen Schaffen der (ursprünglich) vier New Yorker. Ihr „Blitzkrieg Bop“ lief beim Sitcom-Dauerbrenner „King of Queens“ und gehört zum Soundtrack des jüngsten „Spider-Man: Homecoming“. „Sheena is a Punk Rocker“ und „Pet Sematary“ untermalen 1989 Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“, wobei „Pet Sematary“ (so auch der Originaltitel des Romans/Films) eigens für den Kino-Hit geschrieben wurde. King, der sich selbst als großen Fan der Musiker bezeichnet, verhalf der Band damit zu einer ihrer erfolgreichsten Chart-Platzierungen. Zeit ihres Daseins von mangelndem Erfolg geplagt, heute als Punk-Legenden und Kult-Band verehrt. Ein später Ruhm, den keiner der vier Gründungsmitglieder mehr erleben kann. Bühne frei für… die Ramones!

Something to Believe In (Album: Animal Boy - 1986)

Dee Dee, Johnny, Joey und Tommy Ramone: alle nicht verwandt oder verschwägert. Sollte man eigentlich meinen, doch hinter den Künstlernamen verbergen sich die vier New Yorker Douglas Glen Colvin, John Cummings, Jeffrey Hyman und Tamás Erdélyi. Der Nachname Ramone stammt vom Pseudonym Paul McCartneys, der sich auch Paul Ramon nannte, um sich in den Anfangsjahren der Beatles den Luxus von etwas Privatsphäre zu gönnen. Dee Dee verehrte schon in jungen Jahren die Liverpooler „Pilzköpfe“ und der Tag, als er sich noch Douglas nannte und mit seiner Mutter „A Hard Day’s Night“ auf der großen Leinwand sah, gehörte zweifelsohne zu den Lichtblicken seiner sonst eher trostlosen und traurigen Kindheit. Als Sohn einer Deutschen und eines in Pirmasens stationierten amerikanischen G.I.s bestimmten häusliche Gewalt und raue Sitten seinen Alltag. Alkohol und regelmäßige Übergriffe durch dessen übermäßigen Konsum standen auf dem täglichen Speiseplan. Auf Schule wurde geschissen, da die Noten eh im Keller waren… was soll’s? In der Freizeit streifte man durch leerstehende Bunker und marode Gebäuderuinen. Zurückgelassene Pornos waren da noch das Highlight des Tages. In einem dieser verlassenen Häuser fand Douglas auch eine Spritze mit Morphin… ein folgenschwerer Fund. Nach erneuten Ausrastern seines gewalttätigen Vaters fing der Junge an sich zu betäuben, um der grauen, trostlosen Realität zu entfliehen. Unberechenbar und vom Temperament den tiefen Spuren seines Vaters folgend, schreckte auch Douglas nicht vor Gewalt zurück und wollte fortan nur noch Dee Dee genannt werden. Der Start in eine Drogenkarriere, die im Gegensatz zu musikalischen Erfolgen konstant Richtung Spitze verlaufen sollte, war gemacht. Douglas Glen Colvin war fort… Hallo, Dee Dee Ramone.

1973 verschlug es Dee Dee und seine Mutter wieder in die Staaten. Dort verfolgte er weiter seine erste Karriere. Drogen. Heroin zog ihn in ein finsteres, dreckig-stinkendes Loch, aus dem er sich nicht selbst befreien konnte. Mit seiner Mom warf er sich LSD ein… zu Jimi Hendrix in Dauerrotation. Sein einziger Halt, um nicht vollends den Boden unter den Füßen zu verlieren und ohne Umweg an der lodernden Endstation der Drogenhölle zu landen, war die Liebe zur Musik. Zusammen mit seinen Kumpels Johnny, Joey und Tommy – auch keine Kinder von Traurigkeit, was den Konsum von bewusstseinserweiternden Substanzen anging - trieb er sich nachts in Clubs rum und ließ sich zum Sound der angesagtesten Bands treiben. Bei einem Konzert der New York Dolls – einer 1971 gegründeten Glam-Rock-Band – kam der Entschluss, selber auf die Bühne treten zu wollen und das Leben in eine neue, erfolgreichere Richtung zu lenken. Gabba Gabba Hey!

A Real Cool Time (Album: Halfway to Sanity - 1987)

Die Entscheidung, eine Band zu gründen war der erste Schritt in die richtige Richtung, jedoch verliefen die anfänglichen Proben chaotisch und katastrophal. Dee Dee, der sich nur auf eine Sache konzentrieren konnte und mit Gesang und Bass heillos überfordert war, wurde am Mikro durch Joey ersetzt, der seinerseits eine Niete am Schlagzeug war. Seinen Platz an den Drums nahm Tommy ein und schon stand die Ur-Besetzung der Ramones.

Ähnlich wie Dee Dees musikalische Vorbilder – die Beatles – feilte man an einem einheitlichen, markanten Erscheinungsbild. Schwarze Lederjacke, T-Shirt, Jeans und Turnschuhe (für alle jüngeren Leser: so nannten wir früher „Sneakers“). Nach – mehr oder weniger – erfolgreichen Proben in den Performance Studios begannen die Bühnenneulinge Gigs vor der Öffentlichkeit zu spielen. Ihre ersten Gehversuche machten sie im heute legendären CBGB. Einem 1973 eröffneten Club in Manhattan, in dem eigentlich Country, Bluegrass und Blues (daher CBGB) gespielt wurden. Bereits ein Jahr nach der Eröffnung änderte sich aber das Publikum, nachdem die Rock-Band Television dort den Punk etablierte. Bis zu seiner Schließung im Jahr 2006 galt der Club als Geburtsort vieler Punk-Größen und angesagter New Yorker Szene-Treff. Neben den Ramones diente das CBGB auch für Blondie, Richard Hell and the Voidoids und der „Godmother of Punk“ Patti Smith als musikalisches Sprungbrett. Letztere gab auch das finale Konzert vor der Schließung.

Der schnelle und untypische Sound der Ramones sprach sich herum und so wurde auch Seymour Stein, Chef des Labels „Sire Records“, auf die Newcomer aufmerksam. Er produzierte 1976 ihr Debütalbum. Passenderweise trägt es den Titel… „Ramones“. Gemessen an heutigen Verhältnissen, betrugen die Produktionskosten nur schlappe 6.400 $... was selbst zur damaligen Zeit ein Spottpreis war. Johnny Ramone erwiderte drei Stunden nach Beginn der Aufnahmen gegenüber Label-Chef Stein auf die Frage, wie es denn laufen würde „Es läuft nicht so gut. Wir haben erst sieben Stücke fertig.“ Steins Aussage dazu: „Wenn alle so wären, hätten Plattenfirmen keine Sorgen."

Die Reaktionen auf das Album fielen eher negativ aus… bestenfalls gemischt. Vielen Hörern waren die runtergeschrubbten „Drei Akkorde“ zu banal, der Sound zu schnell und zu hart. Laut, provokant und… einfach. Gerade einmal 6.000 Einheiten verkauften sich im Erscheinungsjahr und die verdiente Ehre kam dem Debüt-Werk erst Anfang des neuen Jahrtausends zuteil. Die Ramones ließen sich davon aber nicht beeindrucken, sollte die Zukunft ihnen doch weitaus größere Steine in den Weg legen… psychische Erkrankungen, weitere Misserfolge, Frauengeschichten (die Beziehung mit Connie Gripp - ihres Zeichens Junkie, Groupie und Prostituierte, gefangen im Körper eines attraktiven Mädchens – bezeichnete Dee Dee als „…pain in the ass“ und widmete ihr den Song „Glad To See You Go“), Alkohol, Streit und immer wieder Drogen, die die Band verfolgten wie ein gieriger, lauernder Schatten, der nur darauf wartete, zum letzten, tödlichen Schlag auszuholen.

Rock ‘n‘ Roll Highschool (Album: Rock ‘n‘ Roll Highschool O.S.T. – 1979)

Vor dem Ende der Ramones, das mit der „Adios Amigos Tour“ 1996 eingeleitet wurde, sollten aber noch Stapel von Singles und Alben erscheinen, zahllose Abstürze folgen und haufenweise Live-Gigs absolviert werden. 1979 schafften die New Yorker es sogar in ihrem eigenen Film in die Lichtspielhäuser. „Rock ‘n‘ Roll Highschool“ wurde von B-Movie-Ikone Roger Corman („Sisters“, „Piranha“, „Death Race 2000“) produziert und von Regisseur Allan Arkush („Hollywood Boulevard“, „Caddyshack II“, „Get Crazy“ – zu dem die Ramones den Song „Chop Suey“ beisteuerten) auf Zelluloid gebannt. Der trashige Streifen sollte den Zeitgeist einfangen und an den Erfolg ähnlicher Musik-Komödien anknüpfen. Dementsprechend simpel war auch die Story gestrickt:

Der „Vince Lombardi Highschool“ gehen die Lehrer aus, da die Schüler auf den Unterricht pfeifen und dem Rock ‘n‘ Roll frönen. Schülersprecherin Riff Randell (P.J. Soles) träumt davon, ihrem Idol Joey Ramone ihren eigens geschriebenen Song (na, wer ahnt es?) „Rock ‘n‘ Roll Highschool“ zu überreichen und ist überglücklich, ein Ticket fürs Konzert ergattert zu haben. Die autoritäre neue Direktorin macht ihr allerdings einen Strich durch die Rechnung und die Schüler beginnen zu rebellieren, was (na? na?) die Ramones höchstpersönlich auf den Plan ruft.

Keine Sternstunde der Filmgeschichte, dafür aber musikalisch hervorragend untermalt. Neben den New Yorkern selbst, die gleich mit mehreren Stücken vertreten sind, bekommt man noch Songs von Fleetwood Mac, Brian Eno, Paul McCartney, The Velvet Underground, Devo und Alice Cooper auf die Ohren. Eigentlich sollte die amerikanische Rock-Band Cheap Trick Star des Films sein, was zwecks mangelnden Budgets aber schnell wieder verworfen wurde. Ebenso sollte ursprünglich der angesagte Disco-Sound der 70er im Fokus stehen… was aber glücklicherweise genauso schnell vom Tisch war. Schüler, die zu „Staying Alive“ die Mauern der Schule niedersingen, hätten bestimmt noch weniger Zuschauer sehen wollen.

Substitute (Album: Acid Eaters - 1993)

Bei der vierköpfigen Ur-Besetzung der Ramones blieb es nicht dauerhaft. Während der 22-jährigen Band-Geschichte wurden immer wieder diverse Posten ausgetauscht. So verließ Tommy Ramone beispielsweise die Band bereits 1978 und wurde durch den Richard Hell and the Voidoids-Drummer Marc Bell ersetzt, der fortan unter dem Namen Marky Ramone die Sticks durch die Luft wirbelte. Dieser wiederum wurde wegen seiner Alkoholprobleme durch Richard Beau – aka Richie Ramone – vertreten, der nach einiger Zeit aber wegen Differenzen innerhalb der Band wieder vor die Tür gesetzt wurde. In der Not sprang der Blondie-Schlagzeuger Clem Burke als Elvis Ramone ein, bevor der nun trockene Bell wieder das Ruder übernahm. Dee Dee Ramone wurde 1989 von C.J. Ramone (bürgerlich Christopher Joseph Ward) abgelöst und strebte eine Rap-Karriere an, die aber nach nur einem – wenig erfolgreichen – Album wieder im Sande verlief. Als Songschreiber blieb er der Band erhalten und stand auch 1996 beim Abschiedskonzert in Los Angeles auf der Bühne, wo er beim Song „Love Kills“ den Text vergaß.

Nicht nur bei der Besetzung wurde fleißig getauscht, sondern auch im Privatleben der Musiker. Joey Ramone konnte es nicht überwinden, dass seine große Liebe Linda ihn verließ… für Johnny, seinen Freund und Band-Kollegen. Das Paar heiratete später sogar, was den Bruch zwischen Joey und Johnny komplettierte. Die Musiker sprachen kein Wort mehr miteinander.

Auf Tour und in Europa erfolgreich, blieben die Platten der Ramones wie Blei in den Regalen liegen. Daran änderte auch ein Wechsel des Plattenlabels nichts. Auch nicht, wenn der Produzent Harvey Phillip „Phil“ Spector hieß. Der einstige Hit-Garant, der aktuell noch wegen Totschlags an der US-Schauspielerin Lana Clarkson in Haft sitzt, produzierte das fünfte Studio-Album der Ramones im Jahr 1980. Während der Aufnahmen zu „End oft he Century“ soll es im Studio katastrophal zugegangen sein. So zwang Spector Gitarrist Johnny zu stundenlangen Akkord-Wiederholungen, was diesen zur Weißglut brachte. Tour-Manager Monte Melnick und Dee Dee berichteten übereinstimmend, dass der wahnsinnige Musik-Mogul sie und den Rest der Band einst stundenlang gegen ihren Willen in seiner Villa festhielt… mit vorgehaltener Pistole.

I Remember You (Album: Leave Home - 1977)

Viele dieser haarsträubenden, schockierenden, aber auch faszinierenden Geschichten finden nun Platz in der großartigen Graphic Novel-Biografie „One, Two, Three, Four, Ramones!“, die die Geschichte aus der Sicht von Douglas Glen Colvin beginnt und ihn als Dee Dee Ramone zu Grabe trägt. Von den turbulenten Anfängen der heutigen Punk-Legenden, die sich ihren späten Platz in der „Rock and Roll Hall of Fame“ mit Blut, Schweiß und Tränen verdienten, über Drogen-Abstürze, bei denen Johnny kotzend einem Sid Vicious – dem Bassisten der Sex Pistols – dabei zusieht, wie dieser sich auf einem versifften, abgefuckten Klo mit Lokus-Wasser einen Schuss setzt, bis hin zum desaströsen Abgang von vier New Yorker-Jungs, die sich auf ihrem träumerischen Weg zum Punk-Olymp letztendlich selbst demontierten.

All dies wird tragisch, drastisch und abstoßend in raue schwarz-weiß Bilder gefasst, die der Franzose Éric Cartier gekonnt und schonungslos im Underground-Stil aufs Papier bringt. Überzeichnet, jedoch zu keiner Zeit lächerlich, fängt er die charakteristischen Merkmale der Figuren ein. Dies gilt sowohl für die Ramones, als auch für andere Musik-Größen, die sich hier die Klinke in die Hand geben. Von Debbie Harry, Nina Hagen und Iggy Pop, bis zu Joan Jett und Lemmy Kilmister von Motörhead. Intensiv und dreckig sind die Eskapaden dargestellt, sodass man nach dem Lesen das unweigerliche Verlangen nach einer Dusche bekommt… das muss ein Comic-Buch erstmal schaffen.

Die beiden Autoren Bruno Cadène, Xavier Bétaucourt beschönigen in ihren Beschreibungen ebenso wenig, wie der Künstler in seinen Zeichnungen und vermitteln den steinigen Werdegang authentisch und mitreißend. Dass sie sich einiger dramaturgischen Freiheiten bedienten sei ihnen verziehen, denn im umfangreichen Textmaterial, das auf die einzelnen Passagen des Buches detailliert eingeht, werden ausreichend faktische Erklärungen geboten. Neben Biografien der vier Musiker wird auch auf ihre tragischen Abgänge eingegangen, abgerundet durch wissenswerte Fakten und Musiknachweise.

Das hervorragend verarbeitete Hardcover – im Format 24 x 30 cm – aus dem Knesebeck Verlag verfügt über hochwertiges Papier und einen kräftigen Druck. Optisch und haptisch sehr gelungen.

Fazit:

Wer auch nur annähernd etwas mit den Ramones anfangen kann, sich für Punk begeistern lässt oder einfach nur eine schonungslos ehrliche Biografie über vier Jungs lesen möchte, die zwar ALLES erreicht haben, aber NICHTS davon hatten, denen sei gesagt: ONE, TWO, THREE, FOUR… GET IT!

One, Two, Three, Four, Ramones!

Xavier Bétaucourt, Bruno Cadène, Éric Cartier, Knesebeck

One, Two, Three, Four, Ramones!

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