Text:   Zeichner: Jidi

Mein Weg 1

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Marcel Scharrenbroich
8101

Comic-Couch Rezension vonJan 2022

Story

Geschichten mit Herz, fürs Herz. Jidis Hauptwerk angelt zwar im Kitsch-Teich, fischt aber hauptsächlich die gefühlvollen Brocken an die Oberfläche.

Zeichnung

Farblich durchaus ansehnlich und fantasievoll verspielt. Die abstrakten Charaktere sind gewöhnungsbedürftig, passen jedoch in die künstlerische Welt von Jidi.

Vom Suchen, Finden… und Verlieren

Wege sind da, um gegangen zu werden

Den Blick nach vorne richten. Nicht zurückschauen. Im Hier und Jetzt leben. In wohligen Erinnerungen baden. In Nostalgie schwelgen. Sätze und Floskeln, die sich widersprechen. Wer erinnert sich nicht gerne zurück? An den ersten Kuss… die erste Liebe. Den ersten Urlaub ohne Erziehungsberechtigte. Ein Gefühl von Freiheit. Unabhängigkeit. Schöne Erinnerungen. Sie zaubern uns ein Lächeln ins Gesicht, legen uns Gerüche der Vergangenheit in die Nase. Erinnern uns für Augenblicke daran, wie unbeschwert das Leben sein kann… sein konnte. Dann ist da die andere Seite der Medaille. Wie sieht es aus mit verpassten Chancen? Es gibt Sätze - manchmal ist es nur ein Wort -, die das Leben in andere Bahnen lenken. Wo wäre ich jetzt, hätte ich damals nicht eine wichtige Ausfahrt verpasst? Wäre abgebogen, wo das Schicksal mir mit einem grell beleuchteten Zaunpfahl eine vielversprechende Zukunft prophezeite? Säße ich dann hier und würde diese Zeilen schreiben? Vielleicht nicht…, vielleicht doch? Die richtige Nacht, der richtige Zeitpunkt, die richtige Frage…, nur die falsche Antwort. Würde ich es ändern wollen? Ja, würde ich. Kann ich es? Nein, natürlich nicht. Wie gesagt, verpasste Chancen. Sie nagen, stechen und beißen sich immer wieder an die Oberfläche. Im Hier und Jetzt leben. Pah…, leicht gesagt. Sehr leicht, wenn man sich doch am liebsten selbst für Getanes oder eben NICHT Getanes anschreien möchte. Jetzt, wo man es besser weiß. Jedoch liegt es nicht in unserer Macht, Schicksale und getroffene Entscheidungen rückwirkend zu beeinflussen. Sie gehören dazu. Finden sich auf dem Weg. Jeder von uns kennt solche Gedanken. Abhaken und nach vorne blicken? Ja, womöglich die beste Entscheidung. Im Idealfall ist die Strecke noch weit. Stolpersteine wird es geben, mit Sicherheit. Allerdings auch Abzweigungen und Ausfahrten, die erkundet werden wollen. Wer weiß, ob hinter der nächsten Kurve nicht der bislang unentdeckte Ort wartet, der zum Bleiben einlädt? Jener Platz, der alte Erinnerungen als das erscheinen lässt, was sie letztendlich sind… alte Erinnerungen. Unser Weg ist ständig in Bewegung. Und so sind wir es. Ohne Landkarte ist es ein Abenteuer, gewiss. Rasten wir hier und da, schauen wir was abseits der Pfade liegt und halten wir die Augen offen. Entdecken wir uns neu, lassen wir uns leiten… denn nicht jede Antwort muss falsch sein. Aufstehen, Schulterblick, Knie abputzen, weitergehen… und hoffen, dass das „Ziel“ noch weit, weit entfernt ist.

Ihr persönlicher Führer durch alle Lebenslagen

Die ihn China überaus populäre Künstlerin Jidi hat mich durch ihre Manhua-Reihe „Der freie Vogel fliegt“ absolut begeistert. Die sechsbändige Geschichte erschien ebenfalls bei CHINABOOKS und Jidi adaptierte darin ihren erfolgreichen semi-autobiographischen Roman. Für die graphische Umsetzung sorgte bei diesem zeitintensiven Mammutprojekt die Zeichnerin Ageng. Eine bewusste Entscheidung, obwohl Jidi selbst in der Lage ist, ihre Erzählungen mit stimmungsvollen Bildern zu untermalen. Bereits 2004 begann sie an der fortlaufenden Reihe „Mein Weg“, von der die ersten beiden Bände bereits erhältlich sind. Bis 2017 erschienen insgesamt acht Bände.

„Mein Weg“ mag mit seiner schlanken Softcover-Erscheinung (mit Schutzumschlag) äußerlich zwar unspektakulär wirken, entfaltet aber schnell seine Wirkung, wenn man die episodenhaften Geschichten erstmal in sich aufnimmt. Es geht um Liebe, der Suche nach Glück, Zufriedenheit und der Sehnsucht nach Vollkommenheit… und eben den Schattenseiten. Sprich Verlust, Trauer, Tod und der Sehnsucht nach Zufriedenheit. Jeder poetischen Bildergeschichte folgt eine thematisch passende Erzählung in Textform. Sie alle eint, dass verschiedene Menschen über ihre Schicksale berichten. Bindeglied ist ein mysteriöser Reisender, der auf seinem Weg verirrten Seelen begegnet. Seelen, die nach Antworten auf existentielle Fragen suchen. Die sehnsüchtig nach Glück streben. Verloren, aber nicht allein.

Angesiedelt zwischen Kitsch und Poesie, Trauer und Glück, mutmachenden Erkenntnissen und schmerzhaften Verlusten, malt Jidi in eindringlichen Farben Bildergeschichten für Erwachsene und die, die auf dem Weg dorthin sind. Dabei besitzt jede Geschichte ihre ganz eigene Farbpalette, was die einzelnen Kapitel schön voneinander abhebt. 2004 noch am Anfang ihrer eigenen kreativen Reise, erscheinen ihre Bilder im ersten Band zwar noch ausbaufähig, was sich allerdings in den Folgebänden noch ändert. Anzumerken ist noch, dass die Bände von „Mein Weg“ zweisprachig sind. Chinesischer Text und deutscher Text befinden sich unmittelbar untereinander, was den Lesefluss für das deutschsprachige Publikum jedoch zu keiner Zeit negativ beeinflusst.

Fazit:

Love is all around. Gefühlvoll nimmt die chinesische Künstlerin Jidi die wichtigen Fragen auf, die uns Tag für Tag beschäftigen. Empathischen Leserinnen und Lesern werden so manche Erzählungen ans Herz gehen. Sei es, weil sie sich in die Charaktere hineinversetzen können, oder deshalb, weil sie selbst zur Hauptfigur der Herzschmerz-Erinnerungen werden. Wie es auch sei, lasst es zu… denn es ist durchaus gewollt.

Mein Weg 1

Jidi, Jidi, Chinabooks

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