Text:   Zeichner: Jim Bishop

Mein Freund Pierrot

Mein Freund Pierrot
Mein Freund Pierrot
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonDez 2023

Story

Kein Märchen von der Stange. Ein vielschichtiges Werk mit Tiefe, Gefühl und voller Dramatik.

Zeichnung

Kleine Abzüge in der B-Note, ansonsten eine hervorragende Präsentation, die vor allem Anime-Freunde begeistern wird.

Bösenachtgeschichte

Befreie dich!

Cléa ist jung, schön und privilegiert, hat eigentlich alles, um ein sorgloses Leben zu führen. Als Tochter eines Adelshauses wurde sie mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, sitzt auf Grund ihrer Herkunft aber ebenso im goldenen Käfig. Ihr Leben ist strikt durchgeplant. Sie soll Berthier, den Sohn des Grafen vom Wasser ehelichen. Einen jungen Mann, den sie kaum kennt. Denkbar unangenehm für beide, denn Schüchternheit und Unbehagen halten sich beim familiären Bankett die Waage. So gesteht Berthier Cléa zwar seine Liebe, doch diese sieht sich in der Verwirklichung ihrer Träume ausgebremst. Sie möchte tanzen, frei sein. Einfach ein Leben leben, welches nicht vorherbestimmt ist.

Eine erste flüchtige Begegnung mit einem Straßenmagier soll sich als vermeintlicher Wink des Schicksals entpuppen. Pierrot, so der Name des jungen Mannes, der sich scheinbar seine Brötchen mit Taschenspielertricks verdient, ist sofort hin und weg, als er die liebliche Cléa auf der belebten Straße erblickt. Ein Wiedersehen scheint unausweichlich… und ehe Cléa sich versieht, taucht der mysteriöse Fremde urplötzlich in ihrem Schlafgemach auf. Verdutzt stellt sie fest, dass Pierrot tatsächlich magische Kräfte besitzt. Ein waschechter Zauberer! Irgendwie fasziniert von ihm, lässt Cléa alle Ängste, Sorgen und Verpflichtungen kurzerhand hinter sich. Sie begleitet Pierrot in seine Heimat. Den tiefen Wald, der so allerlei Überraschungen offenbart.

Der Graf vom Wasser ist währenddessen zutiefst enttäuscht von seinem Sohn, der es geschafft hat, dass seine Zukünftige vor dessen Augen entfleucht ist. Mit der Drohung der Verbannung auf seinen schmalen Schultern, macht Berthier sich auf, um Cléa dem Nebenbuhler wieder zu entreißen. Von Wut und Enttäuschung getrieben, stellt der magische Wald sich für ihn als labyrinthartige Falle voller Gefahren heraus. Und Cléa? Die schwebt mit Pierrot im siebten Himmel. Zumindest für den Anfang…, denn auch der Magier hat Geheimnisse, die die junge Liebe gleich mehrfach auf die Probe stellen.

I'm addicted to you. Don't you know that you're toxic?

Schon mit „Die verlorenen Briefe“ (ebenfalls bei CROSS CULT) hat Jim Bishop bewiesen, dass an ihm ein meisterhafter Geschichtenerzähler verloren gegangen ist. Philosophisch, tiefgründig und mit jeder Menge Fantasie. In „Mein Freund Pierrot“ erzählt er nicht einfach nur ein Märchen. Nein, er geht gleich mehrere Schritte weiter. Unter der Oberfläche schlummert eine tieftragische Story, deren Strudel immer weiter in den unausweichlichen Abgrund führt. Lügen, Demütigungen, mit Füßen getretene Liebe. Cléa und Pierrot rasen in ihrer toxischen Beziehung auf kein gutes Ende zu. Und immer wieder stellt sich die Frage, wann zu viel einfach zu viel ist. Der magische Aspekt der Geschichte bleibt aber stets präsent, gerät trotz der dramatischen Entwicklungen zu keiner Zeit in Vergessenheit. Da beweist Jim Bishop ein goldenes Händchen, dass alle unterschiedlichen Elemente gleichermaßen Gewicht behalten. Das Verschmelzen der Thematiken – denn wir wollen ja Berthiers schmerzhafte Odyssee durch den schier endlosen Wald nicht unter den Tisch fallen lassen – funktioniert auf allen Ebenen. So wartet „Mein Freund Pierrot“ immer wieder mit Überraschungen auf.

Ein tragisch-magischer Rausch mit Anime-Charakter

Beim ersten Blick auf das doch recht unschuldig wirkende Artwork mag man kaum glauben, dass sich darin eine Geschichte um Manipulation, Abhängigkeit und unerwiderter Liebe verbergen könnte. Bishop nutzt erneut einen STUDIO GHIBLI-Stil, der nicht nur zufällig an die Anime-Meisterwerke der japanischen Traditionsschmiede erinnert. Wenn Cléa beschwingt durch die Panels tanzt, hat das eine sehr schöne Dynamik. Das gefällt mir besser, als es noch in „Die verlorenen Briefe“ der Fall war. Lediglich in den Gesichtern der Figuren fehlt es mir gelegentlich an Ausdruckskraft, was womöglich dem gewählten Stil geschuldet ist. Dafür entfalten die kräftigen Farben ihre ganz eigene Magie.

Die Kirsche auf der Sahne ist das hochwertige Buch selbst. Bei CROSS CULT wählte man für die perfekte Präsentation ein Überformat, was ich nur begrüßen kann. Das schwere Hardcover ist ähnlich gewichtig, wie die grandiose Erzählung selbst.

Fazit:

Was als vermeintlich simples Märchen beginnt, entpuppt sich als feinfühlig erzähltes Beziehungsdrama. Ein kraftvolles Buch, das einen überwältigt und immer wieder mitreißt.

Mein Freund Pierrot

Jim Bishop, Jim Bishop, Cross Cult

Mein Freund Pierrot

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