Leichte Beute

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Yannic Niehr
9101

Comic-Couch Rezension vonApr 2019

Story

Ein bisschen länger und noch witziger hätte es sein dürfen. In sich ist die Handlung aber sowohl in Hinsicht auf Comedy, als auch als Krimi und im Sinne der Sozialkritik auf ganzer Linie erfolgreich.

Zeichnung

Schwarz, Weiß und Grau fangen das Ambiente perfekt ein und ermöglichen – in Verbindung mit der zeichnerischen Ästhetik – das überraschend gut funktionierende Zusammenspiel der Storyelemente.

Ein Kriminalfall der ganz alten Schule

„In dieser […] unruhigen Zeit ist uns bewusst, dass diese Strategie in der Dialektik des Räubers grundlegend ist: das Opfer davon zu überzeugen, allein für die Geschehnisse verantwortlich zu sein, ist sein größter Sieg, sein meisterhafter Spielzug, der ihm Straffreiheit und anhaltende Unterwerfung garantiert.“

Zunächst sieht es wie ein Zufall aus: im Frühjahr 2014 wird der Vorstandsvorsitzende einer hochrangigen spanischen Bank überfahren und verstirbt schließlich im Krankenhaus. Gleichzeitig bekommen es Oberkommissarin Olga Tabares und ihr Kollege Carlos Sotillo mit dem Todesfall eines Investmentberaters zu tun. Alles deutet auf Gift hin. Wo anfangs keinerlei Zusammenhänge vermutet werden, häufen sich plötzlich die Leichen, und als Grundlage der Ermittlungen dient bloß eine einzige Gemeinsamkeit der Opfer: sie alle waren im Bankwesen beschäftigt.

So unglaublich es zunächst erscheint, vermuten die Ermittler schließlich eine gut organisierte Verschwörung, die ihre Morde minutiös planen und durchdenken muss. Denn die auf verschiedenen Hierarchiestufen diverser Banken stehenden Opfer werden allesamt binnen kürzester Zeit vergiftet. Die Beweislage ist spärlich, und es lassen sich kaum Verbindungen herstellen, da die Toten keine direkten Feinde hatten. Außer natürlich die Rentner, denen zuhauf ihr hart Erspartes abgezockt und deren Wohnungen zwangsgeräumt wurden…

„Wenn das System seine Funktionen nicht erfüllt, die Bürger schutzlos ausliefert und zulässt, dass man sie ausplündert, und es noch dazu mit leerem Schaustellergerede rechtfertigt, verliert es seine Legitimität.“

Wie Prado es in seinem Vorwort schon beschreibt, leben wir in unruhigen Zeiten: die Wirtschaftskrise 2008 und ihre Folgen sind noch frisch im Gedächtnis, und Unzufriedenheit mit dem System polarisiert und spaltet die Weltbevölkerung – die Proteste der „Gelbwesten“ in Frankreich stellen da bloß einen relativ nahen dieser unzähligen Konfliktherde dar. Oft werden diejenigen, die schon wenig haben, von der gesellschaftlichen Ordnung benachteiligt, während die Bonzen an der Spitze der Nahrungskette sich bis zum Exzess und darüber hinaus bereichern und Kohle in die eigenen Taschen scheffeln, völlig ohne Rücksicht auf Verluste. In dieser leicht überzeichneten (oder vielleicht auch nicht?) Welt ist Prados von wahren Begebenheiten inspirierte, schwarzhumorig-sozialkritische Graphic Novel angesiedelt. Sie basiert auf der einfachen Frage: was, wenn irgendwann das Fass überläuft? Was wäre, wenn die (vermeintlich) schwächsten Glieder dieser Nahrungskette unerwartet zurückschlagen?

Leichte Beute ist nicht das erste in Deutschland erschienene Werk des spanischen Schriftstellers und Comicautors Miguelanxo Prado, ist aber vor dem oben geschilderten Hintergrund nach wie vor brandaktuell. Darin verbindet er Elemente des klassischen Krimi mit süffisanter Satire, und das sehr gekonnt. Dabei kommt die Darstellung der Charaktere nicht zu kurz; gerade die beiden Kollegen Tabares und Sotillo wirken mit ihrer trockenen Art und ihrem fast schon romantischen Gezanke sehr charmant. Doch auch die später in die Handlung eingeführten Rentner sind sehr individuell gestaltet und ausgefeilt, obwohl sie doch als Stellvertreter einer bestimmten Haltung fungieren. Ihre Motivationen sind erschreckend leicht nachvollziehbar. Aus der Unwahrscheinlichkeit dieser Täterschaft erwächst auch der feinsinnige Humor des Comics. Perfide Rachemorde verübt vom Seniorentreff, das erscheint dem Durchschnittsleser zunächst abwegig. Doch gerade diese Unwahrscheinlichkeit, ihre „Unsichtbarkeit“, machen sich die verschrobenen Alten zunutze – da niemand ihnen solche Taten zutraut, können sie ihre Zielpersonen in aller Seelenruhe beschatten und ausschalten, ohne dass jemand Verdacht schöpft. Und ist die dem Ganzen zugrundeliegende Wut wirklich abwegig? Das scheint auch Prado zu fragen, wenn er am Schluss seinem Strippenzieher folgende (nicht unberechtigte) Worte in die Sprechblase legt: „Wir wollten nicht mit dem bitteren Gefühl davongehen, dass das System uns Alte geringschätzt.“

Prados eloquenter Humor und das simple, aber pointierte Handlungskonstrukt werden von seinen Zeichnungen hervorragend ergänzt. Schwarz-weiße Konturen werden ausgefüllt von verwischten Grauflächen, was dem Comic eine leichte Note noir verleiht und das moralische Zwielicht der Figuren und der Welt, die sie bewohnen, stimmig abbildet. Die rau-krakeligen Zeichnungen sind detailverliebt und mischen Realismus mit einem Hauch von Verklärung, besonders im Figurendesign. So spiegelt sich die Atmosphäre des spanischen Großstadtalltags auf der visuellen Ebene, die somit als Knotenpunkt der verschiedenen Storyelemente – Krimi, Thriller, Comedy, Satire – funktioniert. Gleichzeitig wohnt der Optik eine innere Unruhe inne, die unaufgelöst bleibt. Denn am Ende der Graphic Novel bleibt die Frage unbeantwortet, ob diese Wut weiter schwelen und wie sie sich entladen wird. Prados scharfsinniger Blick auf die Gesellschaft und ihre Zukunft lässt darauf hoffen, dass er auch weiterhin so abliefern wird wie hier.

Fazit:

Ein zeitgenössischer Genremix, der unterhaltsam, witzig und spannend daherkommt, dabei jedoch auch zum Nachdenken anregt. Zeichnerisch umgesetzt ist das dann auch noch auf sehr hohem Niveau. Diese Graphic Novel sticht als originell hervor und ist definitiv einen Blick wert!

Leichte Beute

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