Text:   Zeichner: Zanzim

In der Haut eines Mannes

Wertung wird geladen
Marcel Scharrenbroich
8101

Comic-Couch Rezension vonMai 2023

Story

Mehr Märchen und Wunschdenken, als Spiegelbild der Moderne. Etwas zu blauäugig, aber die Botschaft kommt dennoch zur Geltung.

Zeichnung

Einfach, aber trotzdem ausdrucksstark. Ein äußerst passender Stil, um die Renaissance farbenfroh zum Leben zu erwecken.

m/w/d etc.

„Kleider“ machen „Leute“

Selbst heute, in sogenannten aufgeklärten Zeiten, ist es in verschiedenen Kulturkreisen noch Gang und Gäbe, dass Selbstbestimmung NICHT zum guten Ton gehört. Zwangs- und sogar Kinderehen, gleichgeschlechtliche Liebe unter drakonischen Höchststrafen, Glaube als Feindbild und Unterwürfigkeit als Zeichen von Respekt. Unfassbar, dass wir da vom Jahr 2023 sprechen. Der Post-Covid-Ära und dem Zeitalter der zur Schau gestellten Jogginghose. Spricht man von kungelnden Familien, die unbekannterweise ihren Nachwuchs untereinander wie Ware verschachern, wünscht man sich, dass solche „Viehhandel“ Relikte der finsteren Vergangenheit wären. Nun, das sind sie freilich nicht… auch wenn die Renaissance, der Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit, geradezu eine Bilderbuch-Epoche für Gleichberechtigung in Kinderschuhen darstellt. Wiege der bildenden Künste, Philosophen und Gelehrten, wegweisender Architektur und Dichtkunst, gewiss… doch geprägt von Hierarchien, Rollenerwartungen und idealisierten Konstrukten:

Zu dieser Zeit lebte auch Bianca, irgendwo in Italien. Zarte achtzehn Jahre jung, aus gehobeneren Kreisen und somit ausreichend prädestiniert für die baldige Eheschließung. In ihrer Abwesenheit wurde Giovanni für sie auserkoren. Selbstverständlich hatte Bianca da KEIN Wörtchen mitzureden, denn diese Ehre blieb den Eltern vorbehalten. Bianca ist aber ein Freigeist und glaubt an die große Liebe, sieht sie doch live und in Farbe wie ihre bereits vermählten Freundinnen über ihre ihnen zugelosten Gatten meckern. Unglücklich und der bevorstehenden Vermählung nicht unbedingt entgegenfiebernd, nimmt Bianca nach einem kurzen „Hallöchen“ mit ihrem Zukünftigen eine Auszeit bei ihrer Patentante, die abseits der Stadt lebt.

Biancas Wunsch, Giovanni vor der Trauung doch wenigstens etwas besser kennenzulernen, kann ihre Patin durchaus nachvollziehen. Nicht nur das, hat sie doch gleich noch das passende „Werkzeug“ parat. Im Besitz der Familie befindet sich eine Mannshaut, die genau das ist, wonach sie sich anhört. Eine Art Kleidungsstück, mit dessen Hilfe Frauen wortwörtlich in die Haut eines Mannes schlüpfen können… inklusive aller (funktionstüchtigen!) männlichen Merkmale. Es bedarf schon ein wenig Übung, doch Bianca lernt schnell. Ebenso schnell lernt sie, welche Vorteile dem männlichen Geschlecht vorbehalten sind. Keine Zwänge, keine Regeln und viel, viel Freiheit. Diese neugewonnene Freiheit nutzt Bianca, die sich in ihrer neuen Haut als Lorenzo vorstellt, um Giovanni kennenzulernen. Das funktioniert. Und zwar so gut, dass ihr zukünftiger Ehemann bald nur noch Augen für den hübschen, braungebrannten Jüngling mit den strahlend blauen Augen hat. Eieiei…

Biancas Bruder, der Geistliche Fra Angelo, predigt derweil die gesellschaftliche Fahrt in die Hölle herbei. Gleichgeschlechtliche Liebe ist ihm ebenso ein Dorn im verbohrten Auge wie Unzucht und Ehebruch… aber selbstverständlich nur, wenn er von Frauen begangen wurde. Es dauert nicht lange, bis Widerstand sich breit macht. Und mittendrin Bianca… ähm, ich meine natürlich Lorenzo.

Viva Lorenzo! Viva Hubert!

Es ist tragisch, dass der Autor Hubert (bürgerlich Hubert Boulard) bereits im Februar 2020 im Alter von nur 49 Jahren viel zu jung verstarb. Wenige Monate vor der Veröffentlichung von „Peau d'homme“ (EDITIONS GLENAT), so der Originaltitel von „In der Haut eines Mannes“. Dieses Buch ist ihm gewidmet. Ihm, der in seinen Geschichten stets seine Figuren in den Vordergrund stellte. Zuletzt zeigte ich mich sehr angetan von „Tenebrae“, einem bei SPLITTER erschienenen Zweiteiler, dessen Auftakt schon wendungsreich mit High-Fantasy-Flair und sympathischen Figuren für Kurzweil sorgte. Huberts „Fräulein Rühr-Mich-Nicht-An“ (als Gesamtausgabe bei REPRODUKT erschienen) katapultierte ihn endgültig in den Autoren-Olymp, denn der Franzose hatte viel zu sagen. Zwischen dem Einstehen für Selbstbestimmung und seiner Rolle als Beinchensteller für Verfechter antiquierter Moralvorstellungen fand Hubert aber stets Platz, humorvolle Leichtigkeit in seinen Arbeiten zu versprühen. Märchenhaft, mahnend und zutiefst menschlich. So auch in „In der Haut eines Mannes“.

Die Botschaft kommt an, jedoch sind mir viele Aspekte in der Graphic Novel zu einfach gedacht. Rückt der fantasievolle Part der Geschichte etwas in den Hintergrund, ist es ein verhältnismäßig schnell niedergeschlagener Aufstand gegen die bibeltreue Obrigkeit, der vermitteln könnte, dass ziviler Widerstand im Handumdrehen Welten bewegt. Ein herbeigewünschtes Umdenken. Schön wär’s, doch selbst unsere aktuelle Realität zeigt, dass dies eher Wunschdenken ist. Erst die Pandemie bewies, dass die Heulerei wegen eines Stückchens Stoff groß war, obwohl speziell unsere älteren oder vorbelasteten Mitbürgerinnen und Mitbürger derweil ein Tänzchen auf Messers Schneide vorführten. Nicht die besten gesellschaftlichen Voraussetzungen für die diejenigen, die denken, dass man bewaffnet mit Pattex und viel Sturheit die Welt aus den Angeln heben könnte. Huberts Absichten in allen Ehren, doch trotz gesellschaftlicher, politischer und religiöser Anprangerungen, ist „In der Haut eines Mannes“ leider nur ein Märchen, wenn auch mit ehrlicher und nicht minder wichtiger Botschaft. Die Betonung liegt auf „leider“.

Fazit:

„In der Haut eines Mannes“ präsentiert sich optisch schlicht, was sich aber als Glücksgriff erweist. Zeichner Zanzim debütierte bereits 2002 an der Seite von Hubert und dieses Werk beweist, was für ein eingespieltes Team die beiden Künstler waren. Ein nicht unerheblicher Teil der Leichtigkeit dieses Märchen/Sittengebilde-Hybriden ist Zanzims lockerem Strich zu verdanken.

In der Haut eines Mannes

Hubert, Zanzim, Reprodukt

In der Haut eines Mannes

Ähnliche Comics:

Deine Meinung zu »In der Haut eines Mannes«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Alita:
Battle Angel

Der „Große Krieg“ ist seit 300 Jahren vorbei. Unter der gigantischen Himmelsstadt Zalem, der letzten ihrer Art, befindet sich Iron City. Hier sind alle Strukturen zusammengebrochen, was die Straßen - speziell nach Einbruch der Dunkelheit – zum gefährlichen Pflaster werden lässt. Im Jahr 2563 sind Cyborgs keine Seltenheit mehr und viele von ihnen verdienen sich ihr Geld als Kopfgeldjäger… sogenannte Hunter-Warrior. Titelbild: © 2019 Twentieth Century Fox

mehr erfahren