Text:   Zeichner: Moa Romanova

IdentiKid

  • Avant
  • Erschienen: März 2020
  • 0
Wertung wird geladen
Marcel Scharrenbroich
7101

Comic-Couch Rezension vonJun 2020

Story

Ehrlich und mutig! Moa Romanova zeichnet mit ihrem autobiographischen Debüt ein Generationen-Portrait, das seine Wirkung nicht verfehlt… ungeschönt und keineswegs verharmlosend.

Zeichnung

Zu modern und unverbraucht um schlecht zu sein. Zu simpel und schlampig um gut zu sein. Bleibt nur die goldene Mitte… denn hier entscheidet definitiv der ganz persönliche Geschmack.

Zwischen Techno und Therapie

Perpetuum mobile

Moa ist Mitte 20. Eigentlich in einem Alter, in der ihr die ganze Welt offenstehen sollte. Tut sie aber nicht. Vielmehr engt die Welt sie ein. Ängstigt sie. So sehr, dass es die junge Frau in Perspektivlosigkeit, Sinnkrise und regelrechte Panik treibt. An der Kunsthochschule abgelehnt, lebt die brotlose Künstlerin mehr oder weniger in den Tag. Verwandelt meist die Nacht in ebendiese. Vom Alltag überfordert und sich mit ihren Dämonen isoliert fühlend, treibt es Moa immer tiefer in einen Strudel aus Selbstzweifeln, Gleichgültigkeit und Antriebslosigkeit. Nur noch notgedrungen zu funktionieren. Nicht fähig, ein schier außer Sicht liegendes Ziel zu erreichen. Auf durchgetanzte Nächte auf Techno-Partys folgen zusammengekauerte Tage im selbstauferlegten Gefängnis. Nur wenige Dinge bereiten Moa noch Freude.

Beim Wischen durch eine Dating-App (Na, welche wohl…?) erhält Moa einen Treffer. „Fernsehpromi, 53“. Gut, was hat die junge Künstlerin schon zu verlieren – bis auf die Tatsache, dass ihr Match ihr Vater sein könnte? Angetrieben von Neugier (und der Überredungskunst ihrer besten Freundin), sagt Moa einem Treffen mit dem Unbekannten zu. Das Date mit dem ungenannten Promi (er trägt eine Papiertüte über dem Kopf) verläuft – für Moas Verhältnisse – überraschend harmonisch. Obwohl sie sich nicht wirklich wohl in ihrer Haut fühlt und wieder von Zweifeln geplagt wird, hält sie den Kontakt mit „Fernsehpromi, 53“ aufrecht. Via Smartphone kommunizieren die beiden regelmäßig, während Moa ein inneres Auf und Ab erlebt. Durch den Kontakt ergeben sich jedoch ungeahnte Chancen und zum ersten Mal seit langer Zeit beginnt Moa irgendwo am Ende eines langen, dunklen Tunnels ein leichtes Aufblitzen zu sehen. Kaum erkennbar, aber es ist da…

Schamlos offen

Eine Angststörung soll und darf man nicht verharmlosen. Eine Panikattacke ist für jemanden, der sie nie am und IM eigenen Leib erlebt hat, nur schwer nachzuvollziehen. Stellt es Euch so vor, als wenn ein ICE durch Euren Kopf brettert und aus dessen geöffneten Fenstern tausende Tageszeitungen fliegen und Ihr krampfhaft versucht, die Überschriften zu lesen, während diese Euch entgegenwehen. Viel zu schnell, um auch nur eine davon zu erfassen. Nun stellt Euch vor, dass diese Überschriften Gedankenfetzen sind, die Ihr nicht kontrollieren könnt. Unzählige Eindrücke, die in ungeheurer Geschwindigkeit durch den Kopf rasen. Unkontrolliert. Kein einziger lässt sich bremsen, geschweige denn fokussieren. Eine emotionale Welle, die Euch niederreißt. Euch erdrückt. Übermannt. Ihr möchtet STOPP! schreien, die Lawine bremsen… doch nichts hält sie auf. Ihr beginnt, die körperlichen Auswirkungen zu realisieren. Ohne dass Ihr etwas daran ändern könntet. Zittern, Schnappatmung. Ein Gefühl, als liegen tonnenschwere Felsen auf Eurer Brust, die das Atmen erschweren. Überwältigung. Nackte Panik, die Ihr über Euch ergehen lassen müsst. Einen An/Aus-Schalter gibt es nicht. Auch keinen rettenden Countdown, der erlösende Entspannung in greifbare Nähe rückt. Kalter Schweiß, Hektik. Euer Mund wird so trocken, als hättet Ihr einen Dauerlauf in der Sahara hinter Euch. Der Flucht-Reflex setzt ein und der Körper verkrampft sich. Spannt sich ungewollt an. Doch wohin flüchten? Ein Fehlalarm vom Hirn, das gefühlt auf Hochtouren arbeitet und mit seiner ungefilterten Energie ein ganzes Kraftwerk antreiben könnte. Dann… verschwindet dieses Gefühl, welches man seinem ärgsten Feind nicht wünscht, fast so schnell, wie es gekommen ist. Ihr entspannt langsam. Beginnt wieder rational zu denken. Immer noch den Schrecken in den Knochen und gerädert vom Dauerfeuer, das gerade unvermittelt Euren Körper bombardierte. Alles wieder gut. Kein Herzinfarkt. Kein Schlaganfall… „nur“ eine Panikattacke.

Nein, diese Beschreibung ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Und Ja, ich habe sie am eigenen Leib erlebt. Mehrfach. In den ungünstigsten Situationen. Moa Romanova ist in ihren graphischen Memoiren auch schonungslos ehrlich und schafft es hervorragend, dieses Gefühl in Bilder umzusetzen. Sie beschönigt nichts. Herzrasen, Schweißausbrüche, emotionale Zusammenbrüche… all dies fängt sie fließend ein, ohne sich selbst in schmeichelhaftes Licht zu rücken. Hier ist sie schonungslos ehrlich gegenüber sich selbst, was man ihr hoch anerkennen muss. Auch unvorteilhafte Momente bringt sie schamlos zu Papier.

Millennial-Art

So löblich diese Selbstreflektion auch ist, so ernüchtert bin im vom visuellen Stil der Graphic Novel. Künstlerisch sehr abstrakt und wenig auf eine realitätsnahe Darstellung bedacht, ist es dann vor allem die Kreativität in surrealen Momenten, die mich angesprochen hat. Hier sind durchaus Ideen eingeflossen, die von der bildlichen Umsetzung profitieren. Ansonsten stilistisch schlicht und experimentell, was sich vor allem in unglücklichen Proportionen bemerkbar macht. Kantige, breite und hochgezogene Schultern, zu kleine Köpfe, gummiartige Gliedmaßen und eine bizarre Ästhetik, die weit von einer Wohlfühl-Atmosphäre entfernt ist. Klar ist, dass man sich als Leser auch nicht wohlfüllen soll, sondern möglichst nah an Moa und ihrer Alltagsbewältigung dran ist… was auch gelingt. Dennoch fällt es mir schwer in den modernen Stil einzutauchen. Farblich werden nur sporadisch Akzente gesetzt, was die Freestyle-Umgebung zusätzlich runterkühlt. Kräftige Farben kommen meist nur in Situationen vor, in denen Moa sich sicherer zu fühlen scheint. Zumindest machte dies auf mich den Eindruck. In den eigenen vier Wänden, unter Freunden, bei der Therapeutin. Kann aber auch nur persönliches Empfinden sein, denn beim erneuten Durchblättern scheint die Farbgebung nicht unbedingt einem roten faden zu folgen. Verdammt… die graphische Umsetzung gibt mir echt Rätsel auf! Ich bin weder angetan, noch komplett vergrault. Irgendwas dazwischen.

Fazit:

Ein schonungsloser Umgang mit einer Krankheit, die leider noch immer gern verharmlost wird. Nur weil Narben auf der Seele nicht sichtbar sind, heißt dies nicht, dass dort vorher keine klaffende Wunde war. Ein wichtiges Buch, das vielen Betroffenen aus der Seele sprechen wird und eine helfende Stütze sein kann. Depressionen, Panikattacken und Angststörungen sind keine Mode-Erkrankungen und MÜSSEN ernstgenommen werden. Sowohl von den Leidenden, als auch von deren Umfeld. Geht offen mit Euren Problemen um. Seid ehrlich… zu Euch und Euren Freunden und Familien. Es gibt Hilfe. Nehmt sie an.

IdentiKid

Ähnliche Comics:

Deine Meinung zu »IdentiKid«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Alita:
Battle Angel

Der „Große Krieg“ ist seit 300 Jahren vorbei. Unter der gigantischen Himmelsstadt Zalem, der letzten ihrer Art, befindet sich Iron City. Hier sind alle Strukturen zusammengebrochen, was die Straßen - speziell nach Einbruch der Dunkelheit – zum gefährlichen Pflaster werden lässt. Im Jahr 2563 sind Cyborgs keine Seltenheit mehr und viele von ihnen verdienen sich ihr Geld als Kopfgeldjäger… sogenannte Hunter-Warrior. Titelbild: © 2019 Twentieth Century Fox

mehr erfahren