Text:   Zeichner: Ken Niimura

I Kill Giants

I Kill Giants
I Kill Giants
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonAug 2018

Story

Eine bewegende Außenseiter-Geschichte, die die Grenzen zwischen Fantasie und Realität auslotet. Fantastisch geschrieben und überraschend in der Auflösung.

Zeichnung

Ein gelungener Cartoon-Stil mit mangaesken Einflüssen, der in seiner reduzierten Art verzaubert. Ken Niimura trifft damit genau den richtigen Ton.

Und dann hau‘ ich mit dem Hämmerchen…

Nachsitzen

Erinnert man sich an seine Schulzeit zurück, fallen einem die unterschiedlichsten Dinge wieder ein… abgesehen vom Unterricht natürlich. Freundschaften, die auch außerhalb der schulischen Mauern vertieft wurden und mit dem letzten Schultag im Sande verliefen. Erste Annäherungsversuche ans andere Geschlecht, inklusive Ja-Nein-Vielleicht-Zettel und albernem Gekicher. Ausflüge in den Zoo. Das regelmäßige Kicken in den Hofpausen, bei dem auch schon mal ‘ne Cola-Dose zweckentfremdet wurde und als Ball-Ersatz herhalten durfte. Reisen ins Freiluft-Gefängnis – genannt Schullandheim – in denen sich die anwesenden „Wärter“ nach Einbruch der Dunkelheit selber die Kante gaben. Das kleinlaute Verhalten am Tag des Elternsprechtags und natürlich das halbjährliche Zittern vor der Zeugnis-Ausgabe… vor der die besonderen Kandidaten wieder beweisen konnten, wie tief sie dem Lehrkörper in bestimmte Körperöffnungen kriechen konnten, ohne bleibenden Schaden anzurichten. Ja ja… zurückblickend war das schon eine schöne Zeit, an die man gerne mit einem leicht wehmütigen Schmunzeln zurückdenkt.

Lässt man jedoch die amüsanten Eskapaden mal kurz unbeachtet links liegen und gräbt ein wenig weiter, kommen vielleicht auch ganz andere Erinnerungen ans Tageslicht. In den seltensten Fällen ist die Schulzeit von durchgängig positiven Erlebnissen geprägt. Wenn dies bei Euch der Fall sein sollte: Glückwunsch! Doch vielleicht erinnert Ihr Euch noch an das Mädchen, das immer allein in der Ecke stand? Den Jungen, dessen Name Euch gerade entfallen ist und der von der coolen Clique (Clique… Gott, fühl‘ ich mich gerade alt vong Jahrgang her) gemieden wurde? Den Sonderling ohne Freunde, der nie ein Wort sagte und auch niemanden interessierte? Die Dicke, die im Sport-Unterricht schon in der Aufwärmrunde aus dem letzten Loch pfiff und unter hämischem Gelächter zurück in die Umkleidekabine gebrüllt wurde? Oder die Brillenschlange, die mal wieder herhalten musste, wenn der Klassen-Großkotz eigenmächtig und ohne fremde Hilfe die Mathe-Arbeit versiebt hat und dafür einen Schuldigen suchte?

So abgedroschen der Spruch auch klingt, doch die oft zitierte „Kehrseite der Medaille“ fällt erst ins Blickfeld, wenn man sich die Mühe macht, sie umzudrehen.

Riesen, Rüpel und andere Probleme

Auch die elfjährige Barbara Thorson könnte man als klassischen Außenseiter bezeichnen… allerdings ist sie an ihrem Status als Sonderling nicht ganz unschuldig. Dass sie Glasbausteine auf der Nase spazieren trägt, mir denen andere sich die Wände im Außenbereich verschönern, dafür kann die Kleine nichts. Die rotzfreche, abweisend-sarkastische Art, die sie dem Lehrkörper, Gleichaltrigen und sowieso jedem entgegenbringt, ist allerdings ihr gänzlich eigener Verdienst. Barbara eckt an, wo es nur geht und die plüschigen Hasenohren, die sie als Haarreif trägt, lenken nicht unbedingt von ihr ab. Kein Wunder also, dass sie zur Zielscheibe der fetten Schul-Mobberin vom Dienst und ihrer ätzenden Gefolgschaft wird… was Barbara aber auch nicht sonderlich beeindruckt, da sie sich sonst mit ganz anderen Kalibern herumschlägt. Freunde sucht man in ihrem Umfeld übrigens vergeblich, bis auf… Sophia. Sophia ist die Neue an der Schule und frisch aus England zugezogen. Sie sucht die Nähe zu Barbara, deren merkwürdiges Verhalten sie irgendwie fasziniert. Die hat jedoch kaum Zeit Freundschaften zu schließen, ist sie doch völlig eingenommen durch ihren „Job“. Barbara jagt nämlich Riesen. Sie jagt sie nicht nur, nein… sie TÖTET Riesen.

Während sie im ufernahen Geheimversteck die neugierige Sophia mit der Mythologie der Giganten vertraut macht, legt sie überall Köder aus und auch der angrenzende Wald ist gespickt mit selbstgebastelten Fallen. Ohne Barbara wäre die Stadt und mit ihr jeder Bewohner schon längst Geschichte… mehrfach! Davon ist das Mädchen überzeugt. Sophia betrachtet die Besessenheit von Riesen eher argwöhnisch und auch die Schulpsychologin Mrs. Mollé ist interessiert an dem Mädchen mit der blühenden Fantasie. Sie möchte mehr über Barbara und ihre Lebensumstände erfahren, beißt sich an der rüden Art der selbsternannten Riesen-Jägerin aber die Zähne aus. Barbara ist überzeugt, dass Großes auf sie zukommt… etwas Gewaltiges. Ihr Kriegs-Hammer „Coveleski“ -  benannt nach dem früheren Baseball-Spieler Harry Coveleski, der das damalige Top-Team der „New York Giants“ gleich dreimal besiegte, was ihm den Spitznamen „The Giant Killer“ einbrachte – wartet in Barbaras kleiner Tasche, die sie immer mit sich trägt, auf seinen finalen Einsatz. Sie ist zu allem bereit und wird ihn auch nutzen. Ein endgültiges Aufeinandertreffen, nach dem nichts mehr so sein wird, wie zuvor, steht kurz bevor. Eine Elfjährige und ihr martialischer Kriegs-Hammer stellen sich einem Ungetüm, dessen heimtückischer Schlag klaffende Wunden verursachen kann… oder glaubt Ihr etwa nicht an Riesen?

Ein krachendes Action-Feuerwerk mit gigantischen Riesen??? – Ääääääh… NEIN.

Zumindest nicht ganz. So halbwegs… also… irgendwie schon, aber… hmmmm. „I Kill Giants“ in ein bestimmtes Genre zu pressen fällt ungemein schwer. Eine Festlegung auf nur EINE Sparte würde dem Buch auch nicht gerecht werden. Man könnte es als Coming-of-Age-Geschichte bezeichnen. Eine klassische Außenseiter-Story. Ja, das könnte man wohl. Aber auch hier würde man den Nagel nicht vollends auf den Kopf treffen… selbst nicht mit einem Prügel à la „Coveleski“. Mit Sicherheit kann man aber sagen, dass das actionlastige Cover-Motiv einen falschen Eindruck vermitteln könnte. Dieses könnte suggerieren, dass es pausenlos zur Sache geht und die kleine Barbara Seite für Seite Riesen-Ärsche tritt. Die kurze Story-Übersicht sollte eigentlich schon vermitteln, dass der Fokus hier voll und ganz auf ein Mädchen gerichtet ist, das einer ziemlich abstrusen Berufung folgt. Dass der Leser in einem Comic-Buch mit dem reißerischen Titel „I Kill Giants“ auch die namensgebenden Riesen zu sehen bekommt, darf durchaus schon verraten werden. Nur wie und in welcher Form wird nicht gespoilert. Ich kann nur jedem interessierten Leser raten, möglichst uninformiert an dieses Werk zu gehen, da sich das Coming-of-Age-Drama mit Fantasy-Elementen so am wirkungsvollsten entfaltet. HA… da haben wir ja die passende Bezeichnung: Ein Coming-of-Age-Drama mit Fantasy-Elementen.

RIEEEEEEESIG!

Dem amerikanischen Comic-Autor Joe Kelly gelang die Mammut- beziehungsweise Riesen-Aufgabe, mit seiner Hauptfigur Barbara Thorson („Thor“son… Thor? Hammer? Na?) einen Charakter zu erschaffen, der nicht sofort den typischen Sympathie-Funken auf den Leser überspringen lässt. Seine Barbara ist rotzig, dreist und überheblich, was anfänglich etwas ratlos, aber auch neugierig auf die Figur macht. Auch lässt sie sich nicht einfach in die Opferrolle drängen, was sich eindrucksvoll zeigt, als sie der Schul-Mobberin die Stirn bietet, obwohl diese ihr körperlich deutlich überlegen ist. Eigentlich könnte man Sophia und Mrs. Mollé, die Schulpsychologin, als rationalste Bezugsfiguren bezeichnen… zumindest so lange, wie das Mysterium um Barbara und ihr Handeln im Verborgenen liegt. Joe Kelly streut auch geschickte Hinweise ein, die ich an dieser Stelle natürlich nicht vertiefen möchte. Gespräche, die Aufschluss geben KÖNNTEN, werden in den Sprechblasen einfach geschwärzt. Ein Kniff, den ich so bisher auch noch nicht gesehen habe. So entscheidet Kelly, welche Informationen der Leser zu welcher Zeit bekommt, während das Leben der Protagonisten einfach weitergeht. Bei mir hat es jedenfalls funktioniert und ich wurde noch neugieriger…

Dass Joe Kelly sein Handwerk als Autor beherrscht, zeigen seine unzähligen Arbeiten für Marvel und DC, die Titel wie „Daredevil“, „X-Men“, „Deadpool“, „Spider-Man“, „Superman“, „Wonder Woman“, „Green Lantern“, die „Justice League of America“ und weitere Aushängeschilder umfassen. „I Kill Giants“ erschien im amerikanischen Original als siebenteilige Reihe beim Image Verlag und wurde erstmals zwischen 2008 und 2009 veröffentlicht. Pünktlich zum Start der gleichnamigen Verfilmung bringt nun der Splitter Verlag dieses großartige Werk auf den deutschen Markt. Im optisch ansprechenden Bookformat liegt der Hardcover-Sammelband nicht nur gut in der Hand, sondern bietet auch den gelungenen Illustrationen von Ken Niimura eine größere Entfaltungs- und Wirkungsfläche als das amerikanische Heft-Pendant.

Niimuras schwarz-weiß-Zeichnungen werden lediglich durch Grautöne „eingefärbt“, die dem minimalistischen Stil Tiefe verleihen. Seine cartoonesken Figuren sind überzeichnet, zackig skizziert und… einfach voll auf den Punkt. Reduziert aber nicht steril. Jeder Strich hat seine Daseinsberechtigung und verzaubert in seiner Einfachheit, ohne an Details zu sparen.

Fazit:

Ein tiefgründiger Ausnahme-Comic, der es wert ist, entdeckt zu werden. Ansprechend, fantasievoll und zutiefst bewegend. „I Kill Giants“ ist eines dieser Werke, aus denen man etwas mitnimmt… auch lange, nachdem man die Buchdeckel zusammengeklappt hat.

I Kill Giants

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