Text:   Zeichner: Frank Schmolke

Freaks

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Marcel Scharrenbroich
7101

Comic-Couch Rezension vonFeb 2021

Story

Eine düstere Superhelden-Story, die auch auf der zwischenmenschlichen Ebene ihre Stärken hat. Ungewöhnlich und sehr gelungen.

Zeichnung

Mit „Nachts im Paradies“ hat Frank Schmolke gezeigt, was er künstlerisch auf dem Kasten hat. „Freaks“ flacht da im direkten Vergleich leider ab.

Du bist eine von uns

Superkräfte – Segen oder Fluch?

Wer von uns hat nicht schon mal davon geträumt, Superkräfte zu haben. Gutes zu tun, ungeahnte Freiheit und Unabhängigkeit zu erfahren… und vielleicht auch mal über die Stränge zu schlagen. Dass es vom Superhelden zum Superschurken nur ein schmaler Grat sein kann, werden wir später noch sehen, doch zuerst widmen wir uns Wendy.

Wendy ist Ehefrau und Mutter. Finanziell stehen sie und Ehemann Lars aber trotz der Tatsache, dass beide berufstätig sind, weniger gut da. Die Bank steigt ihnen auf die Füße und der aufgenommene Kredit soll auf einen Schlag zurückgezahlt werden. Während Lars bei einer Security-Firma arbeitet, verbringt Wendy den lieben langen Tag in einem Fast Food-Restaurant. Unter der Fuchtel einer tyrannischen Chefin, die ihre Machtposition gerne mal ausnutzt. Häufig, um Wendys jungen Kollegen Elmar aufs Übelste zu drangsalieren. Trotz einiger Bedenken, ringt sich Wendy dazu ab, ihre Chefin um eine Gehaltserhöhung zu bitten. Diese stellt es der Angestellten (nicht ohne abfällige Bemerkungen) zwar in Aussicht, doch zuerst sollen Taten folgen. Nach dem Motto „Ohne Fleiß/Schweiß/Scheiß kein Preis“ sollen nun auch noch die körperlich anstrengendsten Aufgaben erledigt werden. Was für eine miese Schl…

Als Wendy abends den Müll rausbringt, wird sie von einem Obdachlosen angesprochen. Der arme Kerl hat Hunger und macht auch nicht den Anschein, dass er sich leicht vertreiben lassen würde. Doch ein Blick in Wendys Augen lässt ihn kurz erstarren… bevor die Chefin auf der Bildfläche erscheint und die dunkle Gestalt das Weite sucht. Auf dem Heimweg kann die junge Mutter sich dann gerade noch gegen ein paar Halbstarke durchsetzen, (die später noch eine wichtige Rolle spielen und) die sich gerne die Zeit mit ihr vertreiben würden. Als sie denkt, dass das Pack ihr gefolgt ist, bemerkt sie, dass es der Obdachlose von vorhin ist. Auf einer Brücke versucht sie, ihn auf Abstand zu halten, doch er hat eine wichtige Botschaft für sie: Er sieht es in ihren Augen. Sieht, dass eine unterdrückte Kraft in ihr schlummert. Unter Kontrolle gehalten von Psychopharmaka, die Wendy seit Ewigkeiten von ihrer Therapeutin Dr. Stern verordnet bekommt. Um die verblüffte Frau zu überzeugen, ihre Medikamente abzusetzen, greift der Obdachlose zu drastischen Maßnahmen. Als Beweis für seine entfesselten Kräfte stürzt er sich von der Brücke, wo sein Körper direkt nach dem Aufprall auf dem Asphalt von einem LKW überrollt wird. Geschockt und ziemlich sicher, gerade live einen Suizid erlebt zu haben, ergreift Wendy die Flucht.

Nach einigen Überlegungen wagt Wendy den Schritt und spült ihre Tabletten im Lokus runter. Sie weiß selber nicht, was sie sich davon erwartet, wird aber schon bald mit der Realität konfrontiert. Als der vermeintlich überfahrene Obdachlose wieder im Hof des Fast Food-Restaurants auftaucht und zu Wendys Überraschung quicklebendig ist, schwant ihr, dass er nicht nur zusammenhanglosen Mumpitz erzählt hat. Er drückt ihr einen Flyer in die Hand und sagt, dass sie zum dort angegebenen Treffpunkt kommen soll, wenn sie bereit ist…

Auf dem Nachhauseweg läuft Wendy erneut den Halbstarken über den Weg. Diesmal belassen die pöbelnden Typen es nicht bei einer verbalen Anmache und schlagen die überraschte Frau brutal nieder. Das Letzte, was zumindest einer von ihnen tat, denn Wendy verwandelt sich in eine mehrarmige, gottähnliche Erscheinung, die ihren Angreifer kurzerhand in Fetzen reißt.

Für manche eher Fluch… definitiv

Wendys Arbeitskollege Elmar ist ebenfalls in therapeutischer Behandlung. Ebenfalls bei Dr. Stern, die schon Wendy dringend davon abriet, ihre Medikation auszulassen. Und ebenso bekommt Elmar regelmäßig Psychopharmaka verschrieben. Von seiner Kollegin bekommt er den heißen Tipp, die Tabletten zum Teufel zu jagen, was auch bei Elmar ungeahnte Kräfte weckt. Zuhause unter der Strenge seines despotischen Vaters leidend, der seinen Sohn für einen verweichlichten Versager hält, und auf der Arbeit den handfesten Übergriffen der Chefin ausgeliefert, begibt Elmar sich mit seinen neugewonnenen Kräften schon bald auf einen dunklen Pfad. Als „Elektroman“ verkleidet er sich nach Vorlagen seiner geliebten Comics und hält sich schnell für unangreifbar. Als er Wendy offen Avancen macht und seinen Rachegelüsten nachgeht, droht die Situation zu eskalieren…

Superhelden made in D

Denkt man an Superhelden, denkt man zuerst an die bunten Übermenschen aus den MARVEL- und DC-Universen. Und womit? Mit Recht. Zumal „Superman“ seinen ersten Auftritt bereits 1938 hatte und auch „Captain America“ schon seit 1941 durch die Seiten unzähliger Comics zieht. Damals freilich ein rein amerikanisches Phänomen, welches zwar schnell weltweite Nachahmer auf den Plan rief, die sich jedoch nicht derart etablieren konnten, wie die berühmten Vorbilder. England hat mit „Judge Dredd“ und „Captain Britain“ zwei prominentere Vertreter im Rennen, während Frankreich in den 80ern „Mikros“ und „Photonik“ hatte. Japan hat seit den 60er-Jahren „Ultraman“, der aktuell wieder von MARVEL reaktiviert wurde, und „Superlópez“ (in Deutschland als „Super-Meier“ bekannt) ist Spanier. „Rendel“ hingegen ist finnischer Abstammung und wurde bereits mit einer Verfilmung bedacht. Unsere österreichischen Nachbarn haben mit „ASH – Austrian Superheroes“ gleich ein ganzes Team, dessen deutsches Pendant als „LDH – Liga deutscher Helden“ zumindest einer überschaubaren Leserschaft bekannt ist. Mehr als nur ein regionaler Geheimtipp ist „Tracht Man“ aus dem Hause PLEM PLEM PRODUCTIONS. Auch „Captain Berlin“ (WEISSBLECH) und „Propeller Man“, den Matthias Schultheiss in den 90ern sogar beim US-Verlag DARK HORSE unterbrachte, sind bekanntere deutsche Vertreter der Superhelden-Zunft.

Klar, von der Popularität eines „Spider-Man“ oder „Batman“ ist man da noch weit entfernt, was hierzulande nicht zuletzt an der Kinooffensive der „Großen“ liegt. Das Marvel Cinematic Universe bestimmt regelmäßig die Box Office-Zahlen und auch DCs „Dunkler Ritter“ bereitet gerade sein heißerwartetes Kino-Comeback vor. Dank zahlreicher Streamingdienste kommen aber auch immer mehr internationale Produktionen zu Ehren, die sonst überhaupt keine Bühne bekommen hätten. Die heimische Top-Produktion „Dark“ konnte über drei Staffeln weltweit begeistern und nun hat Deutschland auch einen Superhelden-Film am Start.

Vom Drehbuch zum Comic

Als Kooperation von NETFLIX mit dem „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF entstand der Film „Freaks – Du bist eine von uns“, welcher seit September 2020 beim Streamingdienst abrufbar ist. Unter der Regie von Felix Binder („Club der roten Bänder“) versammelten sich Darsteller wie Cornelia Gröschel (Wendy), Tim Oliver Schultz (Elmar), Wotan Wilke Möhring (der obdachlose Marek) und Nina Kunzendorf (Dr. Stern), um ein gewagtes Drehbuch recht ansehnlich und düster zu verfilmen. Gewagt deshalb, weil man Produktionen dieser Art wohl nur selten mit Deutschland in Verbindung bringen würde. Ein durchaus positives Zeichen, denn mit recht kantigen Stoffen scheint man national etwas mehr auf Tuchfühlung gehen zu wollen, was die gelungen-skurrile Serie „Hausen“ erst kürzlich zeigte. Mit Effekten auf Hollywood-Niveau sollte man bei den „Freaks“ zwar nicht rechnen, aber ich denke mal, dass das auch kaum jemand erwartet. So kann man mit zwiespältigen Erwartungen fast nur positiv überrascht werden. Bei weitem kein Meisterwerk, aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Das Drehbuch zum Film wurde von Marc O. Seng verfasst, der zusammen mit Jantje Friese die Folgen des bereits angesprochenen Mystery-Hits „Dark“ schrieb. Dieses Drehbuch nahm sich der deutsche Comic-Künstler Frank Schmolke als Vorlage für seine Graphic Novel. Schmolke überraschte mich bereits mit seinem 2019 erschienenen Comic „Nachts im Paradies“ (ebenfalls bei EDITION MODERNE), welcher mich nachhaltig beeindruckte. Dabei ist die Graphic Novel „Freaks“ keineswegs eine Adaption des Films, sondern entstand parallel zu den Dreharbeiten. So hat Frank Schmolke mit groben schwarz-weiß-Zeichnungen seine ganz eigene Vision des Stoffes umgesetzt, was auch sehr schnell deutlich wird, wenn man beide Resultate miteinander vergleicht. Die gezeichnete Umsetzung traut sich deutlich mehr und ist kontroverser. Künstlerisch konnte mich Schmolkes Vorgänger aber weit mehr abholen. Der düstere Underground-Stil stand „Nachts im Paradies“ besser zu Gesicht und kann in „Freaks“ nur bedingt überzeugen.

Fazit:

Inhaltlich hat die Graphic Novel-Variante von „Freaks“ die Nase vor der filmischen Adaption. Deutlich finsterer und härter geht es hier zu. Auf der künstlerischen Seite muss man Abstriche machen, da der raue Underground-Stil nur halbwegs überzeugen kann. Positive Ausreißer gibt es immer wieder, doch konstant kann dieses Level leider nicht gehalten werden.

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