Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg - Bd. 1

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Marcel Scharrenbroich
8101

Comic-Couch Rezension vonMär 2018

Story

Unerwartet spannend. Die Geschichte wirft Fragen auf, die neugierig machen und schmeißt den Leser angenehm unvorbereitet in die apokalyptische Handlung.

Zeichnung

Fotorealistische Bilder und fantastisches Minenspiel. Die Kolorierung harmoniert perfekt mit dem hohen Detailgrad der Zeichnungen.

Die Welt am Abgrund…

…mal wieder

„Schon wieder ein Weltuntergangs-Szenario?“ werden sich jetzt viele fragen. Und das vollkommen zu Recht. JAAA… denn Themen, die eine apokalyptische Endzeit-Stimmung versprühen, scheinen nie langweilig zu werden… zumindest denken das die meisten Autoren. Während bei „The Walking Dead“ seit Jahren die Untoten die Städte unsicher machen und für die schmackhafte Dezimierung der Bevölkerung verantwortlich sind und die Menschheit sich bei „Devolution“ mithilfe eines Serums selber in die Steinzeit verfrachtet hat und angesichts der herrschenden Urzeitwesen in der Unterzahl befindet, hat sie in „Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg“ noch die Oberhand… zumindest der privilegierte Teil der Zivilisation.

Hierarchien

In einer nicht näher definierten Zukunft ist die Welt in Enklaven eingeteilt. Innerhalb dieser Enklaven, gehen die Bürger ihrer Arbeit nach und leben ihr Leben in geregelten Bahnen, während die Mächtigen der Welt sich die Taschen vollstopfen. Wer Teil dieser Gesellschaft ist, darf sich glücklich schätzen, denn Außerhalb regiert das Chaos. Zerfallene Gebäude bilden die letzten Bruchstücke, die noch an eine alte Welt, wie wir sie kennen, erinnern lassen. Wer dort lebt, hat nichts zu verlieren und kämpft täglich ums nackte Überleben. Immer wieder gibt es Angriffe auf die weltweiten Enklaven, die die unüberbrückbare Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten zerschlagen sollen. Zur Ordnung sollen die aufgebrachten Aufständischen von den S.I. - den „Speziellen Interventionskräften“ - gebracht werden. Ausgestattet mit modernster Technik, genügend Feuer- und der nötigen Überzeugungskraft in Konfliktsituationen greifen sie dort ein, wo Unruhen entstehen, um die ungerechte Waage von Arm und Reich im Gleichgewicht zu halten.

Vivian ist der Captain - und somit der Ranghöchste - einer solchen Einsatztruppe. Regelmäßig quälen ihn Alpträume, in denen er sich selbst als „Tod“ und „Zerstörer von Welten“ bezeichnet, während er siegessicher als Anführer einer Revolte vor brennenden Trümmern einer Enklave posiert. Er führt die Aufständischen der äußeren Bezirke in den Bürgerkrieg… eine blutige Machtübernahme, die gegen alles steht, was er eigentlich verkörpert. Dann wacht er auf.

Mission: (Im)possible

Vivian und sein Team – bestehend aus Nadia, Cicero, Pilot Kenji und dem Frischling Ulrich – werden zu einem Routine-Einsatz außerhalb der Enklave von Buenos Aires gerufen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch einer der festgesetzten Aufständischen gibt dem Team Rätsel auf. Er erwähnt einen mysteriösen „Tiqqun“, den man niemals finden wird und bei seiner Überprüfung wird festgestellt, dass der in Gewahrsam genommene eigentlich Bürger der Enklave ist. Noch bevor Vivian und sein Team nachfragen können, wird der Mann von einer Drohne getötet… doch wer gab den Schießbefehl?

Von den Vorgesetzten wird der Vorfall als „Klassifizierungsfehler“ abgetan und dem S.I.-Team wird ein freier Abend im Amüsier-Viertel der Enklave spendiert. Was als launige Partynacht in einem Club namens „El Loro Azul“ beginnt, soll für Vivian in einem sechsmonatigen Koma enden. Nach einem kurzen Gespräch mit der Besitzerin des Clubs artet eine Auseinandersetzung aus und ein S.I.-Trupp beendet den geselligen Abend.

Nach der unfreiwilligen, sechsmonatigen Auszeit wird Vivian und seinen Gefährten eine Psychologin an die Seite gestellt… ausgerechnet Vivians Ex Rachel. Ihr erster gemeinsamer Einsatz führt zu einem Schlachthof, in dem ein Massaker stattfand. Eine der gefundenen Leichen weist eine Tätowierung auf, die Vivian sofort ins Auge Springt. Ein blauer Papagei… El Loro Azul.

Was hat die Betreiberin des Clubs mit dem Toten im Schlachthaus zu tun? Wo ist die Verbindung zu dem Mann, der durch die Drohne getötet wurde, bevor er wichtige Hinweise hätte liefern können? Und vor allem… woher stammen Vivians nächtliche „Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg“, die ihn schreiend aus seinen Träumen reißen?

Spannender Augenschmaus

„Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg“ macht einiges richtig. Es hält sich nicht lange mit Erklärungen auf und eröffnet seine Geschichte direkt mit der (alp)traumhaften Darstellung des namensgebenden Bürgerkriegs, der seinen Anführer als das komplette Gegenteil von dem zeigt, wie wir ihn nur wenige Seiten später kennenlernen sollen. Die Fragen nach dem „Wie?“, dem „Warum?“ und dem „Wieso?“ sind von Beginn an gegeben und liefern schon am Anfang wichtige Aufhänger, die den Leser neugierig machen.

Der Autor Richard Marazano („Die drei Geister von Tesla“, „S.A.M.“, „Der Schimpansenkomplex“) schafft es, ein Szenario zu entwerfen, das sich von ähnlich gelagerten Storys angenehm abhebt. Das klassische Science Fiction-Gerüst, rund um zerstörte Welten und Gesellschaftskonflikten, wird um einige Ebenen erweitert und versprüht sogar Krimi-Flair. Trotz des Zukunfts-Settings blitzen sogar atmosphärische Noir-Momente durch und man vermutet Verschwörungen hinter jeder Ecke. Man sollte sich bewusst sein, dass natürlich nicht alle aufgeworfenen Fragen sofort beantwortet werden. Nein, Marazano ködert den Leser mit kleinen Häppchen und es bleibt zu hoffen, dass er diese losen Knoten im Finale seiner - auf drei Bände angelegten - Reihe zusammenfügt.

Das eigentliche Highlight sind aber die fantastischen Zeichnungen des französischen Künstlers Jean-Michel Ponzio. Was dieser aufs Papier zaubert ist ein wahres Fest für die Augen. Seine detaillierten Charaktere grenzen an Fotorealismus und wirken durch die nahtlose Kolorierung und den gut gesetzten Schattierungen beinahe Lebensecht. Ein feiner Strich, perfekte Mimik und farbenprächtige Explosionen… das sind die Zutaten, die mich fast auf jeder Seite zum Staunen brachten. Der Stil mag nicht jedermanns Sache sein, hebt die Sci-Fi-Story aber auf ein realistischeres Level und sticht aus der Masse an dystopischen Stoffen angenehm heraus.

Der Splitter-Verlag veröffentlichte den ersten von drei geplanten Bänden im Alben-Format, welcher auf gewohnt sehr gute Weise verarbeitet wurde. Vom Hochglanz-Hardcover strahlt eine eindrucksvolle Panorama-Aufnahme einer brennenden Enklave, in der der sich der drohende Bürgerkrieg unter den Augen seines Anführers bereits ankündigt.

Fazit:

Man mag es kaum glauben, aber selbst auf ausgelatschten Pfaden kann man ab und an ein blühendes Blümlein finden. „Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg“ ist definitiv einen Blick wert und überrascht mit Noir- und Krimi-Elementen, die man im Vorfeld nicht erwarten würde. Ponzios grandioses Artwork setzt die spannende Geschichte realitätsnah und aufwendig um. Vorfreude und Neugier auf Band 2 sind definitiv vorhanden!

Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg - Bd. 1

Richard Marazano, Jean-Michel Ponzio, Splitter

Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg - Bd. 1

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