Der Tod in Venedig

Der Tod in Venedig
Der Tod in Venedig
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Kirsten Kohlbrei
8101

Comic-Couch Rezension vonJan 2020

Story

Der etwas sperrige Originaltext wird gekürzt aufbereitet. Bleibt dabei etwas kompliziert, ist aber fordernd verständlich.

Zeichnung

Strich, Struktur, Farben und Motive entfalten eine dichte authentische Atmosphäre.

Meistererzählung meisterhaft in Bilder umgesetzt

Die Novelle Der Tod in Venedig von Thomas Mann gehört zu den bedeutsamsten Erzählungen im Werk des Nobelpreisträgers. Erstmalig 1911 veröffentlicht, hat die Illustratorin Susanne Kuhlendahl sich nun, mehr als ein Jahrhundert später, an eine Adaption des Textes als Graphic Novel gewagt.

Die Handlung der Geschichte ist schnell erzählt. Im Mittelpunkt steht der alternde für seine Erfolge geadelte Schriftsteller Gustav von Aschenbach. An einem Frühlingstag unternimmt der Dichter nach einem fruchtlosem Arbeitsvormittag einen Spaziergang durch den Englischen Garten in München und wird dort nach einer eigentümlichen Begegnung mit einem Fremden von einer derartig gesteigerten Reiselust gepackt, dass er beschließt in den Süden zu reisen.

Mit der Bahn erreicht er zunächst Istrien, nimmt aber nach einem kurzen freudlosen Aufenthalt in Pula ein Schiff weiter nach Venedig und quartiert sich dort am Lido im Hotel ein. Unter den Hotelgästen erregt eine polnische Gräfin mit ihren Kindern von Aschenbachs Aufmerksamkeit, wobei ihm besonders die makellose Schönheit des etwa vierzehnjährigen Sohnes in den Bann zieht.

Der Schönheit im Rausch verfallen

Während er den, für ihn in seiner Erscheinung göttergleichen Tadzio an den folgenden Tagen am Strand beobachtet, wird aus einem anfänglichen Interesse bald eine von platonischen Liebesphantasien getragene wahre Obsession, die zunehmend auch sein Handeln bestimmt. Obwohl ihm das schwüle Wetter in der Lagune nicht bekommt, reist von Aschenbach nicht ab, um auf den Anblick des Jungen nicht verzichten zu müssen. Er beginnt ihn und seiner Familie bei ihren Besichtigungen in Venedig zu verfolgen und sehnt sich danach mit ihm ins Gespräch zu kommen. Währenddessen wird ihm gewahr, dass die Stadt sich leert und sich ein Geruch von Krankheit über die Gassen legt. Anschläge warnen die Bevölkerung vor Verzehr von rohem Obst und er beobachtet Desinfizierungsarbeiten, die offiziell jedoch nur als Vorsichtsmaßnahme erklärt werden. Der Angestellte einer Reiseagentur erklärt von Aschenbach dann aber, was wirklich dahintersteckt. Die Cholera ist aus Indien in die Lagunenstadt eingeschleppt worden und fordert ihre Opfer. Er rät dem Dichter Venedig zu verlassen, bevor eine Reisesperre verhängt wird. Die Vorstellung eines endgültigen Abschieds von Tadzio erscheint von Aschenbach allerdings schier unerträglich. Mittlerweile scheut er nicht mehr davor, seine Bewunderung offen zu zeigen. Um sein wahres Alter zu verbergen und zu gefallen, lässt er sich geckenhaft die Haare färben und schminken. Die drohende Gefahr der lebensgefährlichen Seuche nimmt er in Kauf, um dem begehrten Knaben weiter nah sein zu können und warnt weder die polnische Familie, noch verlässt er selbst Venedig. Sein Verbleib in der Stadt endet schließlich tragisch.

Selbstdisziplin, Selbstverleugnung, Selbstverachtung

Thomas Mann umschrieb seine Novelle als die Tragödie einer Entwürdigung Gustav von Aschenbachs. Der Schriftsteller, dessen bisherige Existenz von Selbstdisziplin und der Unterordnung jeglicher Bedürfnisse unter die Anforderungen seines Schaffens geprägt war, gibt sich dem leidenschaftlichen Verlangen nach Tadzio bedingungslos hin. Kunst, Moral und Tugend opfert er auf dem Weg in ein Chaos der Gefühle. Der Junge wird für ihn zum Inbegriff von Schönheit, wobei er seine Hingabe mit Rückgriff auf klassische philosophische Ideen zum Dilemma des Künstlers im Konflikt zwischen Sinnlichkeit und Geist rechtfertigt. Thomas Mann selbst erklärte  Aschenbachs Verfallenheit als „Berauschtheit durch das Schöne“ und „nicht ordinäres Begehren“, denn neben autobiographischer Bezüge zur Künstlerproblematik und in jüngerer Vergangenheit auch verstärkt zur latenten Homosexualität Manns, stand die mögliche grenzwertige pädophile Lesart der Novelle von Beginn an im Blick der Literaturkritik.

Die Rezeption des Ursprungstexts ist immer auch eine Hypothek mit der eine Adaption an den Start geht, die generell ja ohnehin schon den Vergleich mit dem Original bestehen muss. Die Illustratorin Susanne Kuhlendahl lässt sich mit ihrer Graphic Novel dabei auf ein besonderes mutiges Unterfangen ein, denn der Inhalt der Erzählung und die Pracht Venedigs, als Ort der Handlung stellen hohe Ansprüche an Aussagekraft und Schönheit ihrer Bilder. Bilder die, bei Kennern der Verfilmung, vielleicht zudem auch die Gegenüberstellung zu Luchino Viscontis medialer Umsetzung auslösen.

Bildsequenzen im Aquarellstil

Strukturell folgt sie dem Aufbau Manns, wenn sie ihre Novel ebenso in fünf Kapitel einteilt und sie bleibt auch inhaltlich nah am Ursprungswerk. Teilweise übernimmt sie dabei Textpassagen und ergänzt diese durch Bilder. Es gibt aber auch Sequenzen, in denen die Geschichte ausschließlich visuell erzählt wird. Kuhlendahls Stil erinnert ein wenig an Aquarellmalerei. Dieser Effekt, wie mit leichtem Pinselstrich aufgetragener lasierender Farbe, fängt sehr schön die maritime Atmosphäre und die Lichtverhältnisse Venedigs, der „Serenissima“ ein. Die Auswahl von Farbe und Kontur korrespondiert zur Darstellung der Figuren und den Handlungsabläufen. So erscheint Tadzio in hellen Farben, weichen Formen und fließenden Bewegungen, während von Aschenbachs Züge kantig wirken und die Personen in seinen ruhelosen Träumen fratzenartige Züge tragen. Solche Szenen sind vermehrt in dunklen Farben gehalten. Wie auch die Episoden, die mit der Heimsuchung der tödlichen Krankheit, die Entsprechung zum morbiden Charakter der zum Untergang geweihten Stadt an der Lagune liefern, die wiederum zum Schauplatz des Verderbens von Aschenbachs wird. Die Panelaufteilung variiert extrem, auf ganzseitige Zeichnungen folgen Seiten mit Bildern in Zeilen angeordnet oder auch locker gruppiert. Das schafft eine Dynamik, die beim Umblättern den unaufhaltsamen Niedergang von von Aschenbach regelrecht spürbar werden lässt. Irreale Motive, die die Darstellung der realen Handlung an manchen Stellen durchbrechen, erhöhen stimmig eingesetzt das komplexe Gesamtbild.

Fazit:

Literaturklassiker meets „neunte Kunst“, ein Konzept das hier absolut gelungen aufgeht. Die literarische Vorlage aus dem „vorigen Jahrhundert“ kommt im neuen Gewand kein bisschen verstaubt daher. Im Gegenteil, die Graphic Novel liefert mit ihrer Bilderkunst eine überzeugende Ergänzung zur wortgewaltigen Originalversion und das ist als Kompliment zu verstehen, macht Lust auch einmal in das Buch von Thomas Mann direkt, zu schauen. Es ist zu hoffen, das sich unter der Leserschaft der unterschiedlichen Genres eine aufgeschlossene Schnittmenge findet, die dem Band viele Leser beschert.

Der Tod in Venedig

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