Der Verfall
Später Ruhm
Konnte das literarische Schaffen von Howard Phillips Lovecraft (20.08.1890 – 15.03.1937) zu Lebzeiten höchstens Leser verpönter Pulp-Magazine begeistern, hat sich die Faszination an seinen kosmischen Schrecken im Laufe der Jahrzehnte in ungeahnte Höhen entwickelt. Allein sein Cthulhu-Mythos, über die gottgleichen „Großen Alten“, der seinen Beginn 1928 in der „Weird Tales“-Kurzgeschichte „The Call of Cthulhu“ („Cthulhus Ruf“) fand, inspirierte unzählige Schriftsteller, die ihrerseits diesen Mythos weiter definierten, formten und ausbauten. Darunter internationale Phantastik-Schwergewichte wie Robert Bloch, August Derleth, Robert E. Howard und Clark Ashton Smith. Auch das deutsche Fantasy-Urgestein Wolfgang Hohlbein hat Lovecrafts Motive in seinen „Der Hexer“-Geschichten ausschweifend aufgegriffen, während Horror-König Stephen King mehr als einmal Verweise auf Cthulhu & Co. in seinen Werken unterbrachte. Brett- („Lovecraft Letter“, „Tides of Madness“, „Cthulhu: Death may Die“) und Videospiele („Alone in the Dark“, „Prisoner of Ice“, „Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth“, „The Sinking City“), Comics („Vom Jenseits und andere Erzählungen“, „Providence“, „Miskatonic“, „Batman - City of Madness“) und Filme („Re-Animator“, „From Beyond“ „Dagon“, „Die Mächte des Wahnsinns“, „Necronomicon“, „Die Farbe aus dem All“) beziehen sich direkt auf Lovecrafts Geschichten oder ließen sich ordentlich davon inspirieren. Eine detaillierte Aufzählung würde jedenfalls jeden Rahmen sprengen. Ob H. P. Lovecraft davon allerdings begeistert wäre, steht noch auf einem anderen Blatt, denn besonders viel hielt er weder von der Menschheit an sich, noch von seinem eigenen Schaffen. Größten Wert hingegen legte er auf die Brief-Korrespondenz mit befreundeten Schriftstellern. Es wird geschätzt, dass Lovecraft bis zu seinem Tod etwa 87.500 Briefe verfasste, oft dutzende Seiten lang, in denen er sich mit Gleichgesinnten austauschte.
Flucht aus der Realität
1936 wurde bei Lovecraft Darmkrebs festgestellt, der dem verarmten Schriftsteller ordentlich zusetzte. Vollgepumpt mit schmerzlinderndem Morphium liegt er im März 1937 im Krankenhaus. Das letzte Stündlein hat wortwörtlich geschlagen, als unerwarteter Besuch auf der Matte steht. Ein Mann, der sich als Randolph Carter vorstellt, konfrontiert Lovecraft mit seinem bisherigen Werk. Er zitiert fleißig dessen Schriften, gibt Notizen wortgetreu wieder. Lediglich über seine wahre Herkunft bleibt er wage. Wieder allein, gibt sich der schwerkranke Autor seinen in Morphium getränkten Tagträumen hin. Benebelt, nachdenklich und eintauchend in einen Rausch zwischen Wahn und Wirklichkeit, brechen resümierende Fieberträume über ihn herein.
So trifft er auf seine Ehefrau Sonia, die ihm noch einmal aufzeigt, wie ihre Ehe in die Brüche ging. Mit dem 1926 verstorbenen Zauberkünstler Harry Houdini, unter dessen Namen Lovecraft Pulp-Geschichten für Magazine veröffentlichte, reist er erneut nach New York, wo er mit seiner Gattin zwei Jahre lebte. Und er hasste diese Stadt - nach anfänglicher Begeisterung - schon damals. Die Irrwege seines bröckelnden Verstandes führen ihn auch noch vor eine Art Tribunal, bestehend aus den überlebensgroßen Erben seines Vermächtnisses: Stephen King, Neil Gaiman und Alan Moore. Nur hat Lovecraft überhaupt kein Interesse daran, dass diese ihm Unbekannten seine Arbeit in irgendeiner Form weiterführen. Die kaleidoskopische Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben mündet schließlich in einem letzten Gang…
Unumstritten umstritten
In „Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft“ zitiert Autor Romuald Giulivo am Fließband. Es wäre daher durchaus von Vorteil, wenn man mit der Arbeit Lovecrafts einigermaßen vertraut ist. Inhaltlich steht weniger der literarische Erfolg im Vordergrund, der sich zur Zeit der Handlung eh im überschaubaren Rahmen befand, sondern der Mensch H. P. Lovecraft. Dass man diesen eher als schwierig einstufen kann, ist hinlänglich bekannt. Unter problematischen Verhältnissen aufgewachsen - beide Elternteile verstarben in Heilanstalten und Howards Mutter steckte ihn als Kind in Kleider -, manifestierten sich bei ihm Antisemitismus und die panische Angst vor Einwanderern jeglicher Art. Giulivo geht an mehreren Stellen darauf ein. Ein spätes Denkmal wird Lovecraft damit nicht gesetzt, denn die Graphic Novel kommt eher einer Abrechnung mit einem umstrittenen Schriftsteller gleich. Das war mir auf Dauer zu monoton und einfach gedacht.
Hervorgehoben
Interessant hingegen waren die Aufeinandertreffen mit lebenden und toten Genre-Veteranen. Auch das Einbeziehen des mysteriösen Randolph Carter kann man als kreativen Kniff bezeichnen, denn der fiktive Carter stammt aus der Horrorgeschichte „The Statement of Randolph Carter“ („Die Aussage des Randolph Carter“), welche Lovecraft bereits Ende 1919 verfasste. Die Figur tauchte in weiteren Geschichten auf und kann als Alter Ego des Schriftstellers gesehen werden.
Schwer tat ich mich mit den als Briefen abgedruckten Texten, deren Kursivschrift ein flüssiges Lesen erheblich erschwert hat. Diese Briefe füllen immerhin acht Seiten, was den Lesefluss - aufgeteilt auf vier Briefe - immer wieder bremst.
Künstlerisch gleicht „Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft“ einem regelrechten Rausch. Irgendwo zwischen bizarr, grotesk wabernd und karikaturhaft verfremdet. Verantwortlich dafür ist der Pole Jakub Rebelka, der bereits bei „Judas“, „Origins“ (beide CROSS CULT) sowie dem „Dune“-Sampler „Geschichten aus Arrakeen“ (SPLITTER) als Zeichner in Erscheinung trat. Sein Strich ist eher grob und markant, erweist sich für die Fiebertraum-Atmosphäre aber als goldrichtig. Verwaschene Grau- und Rot-Töne sind vorherrschend und das ideale Stilmittel für den surrealen Look.
Fazit:
Ist man mit dem Wirken Lovecrafts vertraut, könnte der fiktive Abtritt des Phantastik-Pioniers durchaus seinen - vor allem visuellen - Reiz haben. Besonders, weil hier der Mensch Lovecraft im Vordergrund steht. Auch wenn dies etwas eindimensional und nach dem Motiv, dass man biographische Fakten abgearbeitet hat, geschieht. Lovecraft-Neulinge hingegen werden nur schwer Zugang finden.
Romuald Giulivo, Jakub Rebelka, Splitter
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