Text:   Zeichner: Juanjo Guarnido

Der große Indienschwindel

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Marcel Scharrenbroich
10101

Comic-Couch Rezension vonSep 2019

Story

Ich kann es nicht oft genug wiederholen: In allen Belangen erstklassig!

Zeichnung

Ich kann es nicht oft genug wiederholen: In allen Belangen erstklassig!

Der Clou

„Ist noch jemandem zumute nach einer… kleinen Chelmerei?“
- Pontius Pilatus (anno 1979 nach Brian… äh, Christus)

Verwirrspiele, Heist-Movies à la „Ocean’s Eleven“ (bzw. „Twelve“), die den großen Clou erst am Ende offenbaren, Gauner-Komödien wie „Die Unfassbaren“, die uns bis zum Schluss an der Nase herumführen und Schnitzeljagden im „The Da Vinci Code“-Stil, die den Zuschauer atemlos von Station zu Station jagen… sowas mögen wir doch alle gern. Kann, was im Roman oder im Film gut funktioniert, auch im Comic-Medium bestehen? Die Antwort ist schlicht und einfach: JA. Und ich wage zu behaupten, dass es nirgendwo so gut funktioniert, wie in der Neunten Kunst. Zumindest, wenn es so gut gemacht wird, wie in „Der große Indienschwindel“… dafür leg ich die Hand eines Jeden ins Feuer, der etwas anderes behaupten würde.

„Der Weg nach El Dorado“…

…ist ein (größtenteils handgemachter) Zeichentrickfilm aus dem Jahr 2000. In der zu Unrecht gefloppten Dreamworks-Produktion begleiten wir zwei ausgebuffte Taugenichtse, die sich durch eine linke Nummer eine Schatzkarte ergaunern. Diese soll sie ins sagenumwobenen Eldorado führen… der Stadt aus Gold. HumorLASTIG und abenteuerLUSTIG streben die Freunde Tulio und Miguel nach unermesslichem Reichtum. Dies haben ihre Eskapaden mit denen in „Der große Indienschwindel“ gemein… aber mit dem feinen Unterschied, dass das Duo Don Pablos aus Segovia nicht im Ansatz das Wasser reichen kann.

An dieser Stelle muss ich mich schwer zügeln und werde (auch wenn es schwerfällt) nur das Nötigste zur Geschichte verraten… denn diese Erfahrung möchte ich keinem potentiellen Leser nehmen (sonst bin ich der, mit der Hand im Feuer… wenn es mal nur die Hand ist):

Don Pablos ist äußerlich ein unscheinbar-kauziges Kerlchen, das aber mit allen (Schmutz)wassern gewaschen scheint. So wurde er bereits erzogen und die Nummer zieht er auch eiskalt durch. Mit unedlen Tätigkeiten gaunert er sich durchs Leben und durchläuft diverse Hochs und Tiefs. Ausgemergelt und kurz davor abzunippeln, hat unser „Held“ es sich auf dem kuscheligen Präsentierteller im Folterkeller des Stadtkommandanten von Cuzco, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in den peruanischen Anden, bequem gemacht. In seinem Besitz: eine Halskette mit einem goldenen Götzenbild der Inkas, einen Schrumpfkopf, der ehemals (ein paar Nummern größer) auf den Schultern des edlen Abenteurers Don Diego ruhte, und eine Karte… auf der El Dorado eingezeichnet ist. Vom Goldrausch besessen, drängt der unnachgiebige Señor Alguacil darauf, den genauen Standort vom schwer gezeichneten Don Pablos zu erfahren, doch… dieser hat nicht besseres zu tun, als dem Kommandanten (und uns) seine Lebensgeschichte zu erzählen. Und die hat es in sich! Ach ja, sagte ich schon, dass Don Pablos aus Segovia ein notorischer Lügner, Gauner, Schuft, Betrüger, Schlitzohr, Halunke, Erzschelm, Spitzbube, Schlingel, Preller, Filou, Ganove, Lump, Bruce Campbell-Double, Flunkerer, Strolch, Pfiffikus und zudem ein hervorragender Märchen-Erzähler ist? Nein? Dann macht Euch gefasst, einer hakenschlagenden Lebensbeichte zu lauschen, die unmöglich wahr sein kann… oder doch?

„Ein glückliches Jahr“…

…für Comic-Liebhaber! 2019 hatte im ersten Halbjahr bereits jede Menge Highlights zu bieten: einen ultra-lässigen Staubsauger-Reparateur, ein Mashup aus „Game of Thrones“ und einem Disney-Malkasten, einen deformierten Western-Helden mit göttlichem Beistand, Künstler-Biografien mit Tiefgang, kraftvolle Außenseiter-Dramen und so weiter, und so fort… Und auch der Herbst schickt sich an, ein proppenvolles Menü an bockstarken Titeln zu servieren. Der Splitter Verlag hat bereits aufgetischt und reicht den Hauptgang rein… denn was soll qualitativ nach „Der große Indienschwindel“ noch kommen?

Wenn Alain Ayroles, Autor der Märchen-Parodie „Garulfo“ und dem anthropomorphen Mantel und Degen-Abenteuer „Mit Mantel und Degen“, gemeinsame Sache mit Juanjo Guarnido macht, dem spanischen Ausnahme-Künstler hinter dem modernen Noir-Klassiker „Blacksad“, KANN und MUSS eigentlich ein dickes Ding dabei rauskommen. Und, oh junge, oh junge… DAS Ding ist mal richtig dick! Ayroles‘ Geschichte schlägt Haken, als wäre der Leibhaftige mit ‘ner Ananas hinter ihr her. Die Übergänge zwischen Gegenwart und den Erlebnissen, von denen Pablos berichtet, sind derart fließend, dass man butterweich durch die nicht zur Ruhe kommenden Story gleitet und zu keinem Zeitpunkt das Gefühl verspürt, von dem temporeichen Treiben abgehängt zu werden. Ein erzählerisches Meisterstück, welches einen erst verarscht, dann im Glauben lässt, dass man eine richtige Leuchte ist, weil man meint, den Braten gerochen zu haben, sich nach der nächsten und übernächsten Verarsche aber instinktiv darauf vorbereitet, einen erneut zu verarschen. Wendungsreich bis hinten gegen, kann „Der große Indienschwindel“ auch den abgebrühtesten Hund mit Leichtigkeit verladen und im mehr als positiven Sinne an der Nase herumführen. Da ziehe ich nach der wilden Fahrt ehrfürchtig mein Sturzhelmchen.

Juanjo Guarnido hat sein Talent schon mit „Blacksad“ demonstriert, dreht hier aber noch mal richtig auf. Selten durfte ich eine solche Detailverliebtheit in jedem Panel bestaunen. Mit Vorfreude blättert man jede einzelne Seite um und wird bei so mancher imposanten (Doppel)seite Bauklötze staunen. Guarnido passt sich künstlerisch dem hohen Erzähltempo seines Autoren-Kollegen an und harmoniert somit perfekt mit stilsicherer Dynamik. Charakterdesign, sowie Gestik und Mimik sind auf den Punkt. Dem spitzbübischen Lächeln und der diebischen Freude in Don Pablos markant-knautschigem Gesicht kann man sich nur schwer entziehen. Auch wenn dieser eine denkbar schlecht Vorbild-Funktion erfüllt, hängt man an seinen Lippen und zittert sich mit ihm durch seine haarsträubenden Abenteuer. Und wer Meerschweinchen mag, kommt sowieso nicht dran vorbei. Farblich hervorragend abgestimmt, kommt hier (durch Guarnidos Direktkolorierung) eben jene Detailverliebtheit zum Tragen, die den ganzen Band auf allen 160 Seiten schmückt.

Apropos Schmücken: Damit das Ganze auch optisch (und haptisch) heraussticht, hat der Splitter Verlag sich entschieden, Pablos‘ Schelmenstück in einem ihm würdigen Format an die glückliche Kundschaft zu bringen. Das schöne Stück misst 25 x 35 cm und überragt damit die übliche Splitter-Größe. Der beste Weg, um die Kunst im Inneren ideal wirken zu lassen. Selbstverständlich handelt es sich um ein Hardcover, welches gut, schwer und wertig in der Hand liegt. Die Front ziert ein Gemälde des schelmisch-grinsenden Don Pablos, der aussieht , als hätte der spanische Maler Diego Velázquez Bruce Campbell kurz vor dem ersten Kaffee portraitiert… also wunderschön (es lohnt sich übrigens, nach dem Lesen mal durch die Werke des Künstlers Velázquez zu stöbern… es könnte eine kleine Überraschung folgen). Der Schriftzug ist zudem - in güldenen Lettern - tiefengeprägt ins Cover geklöppelt. Ebenfalls wunderschön.

Fazit:

Kaufen… oder vorsorglich schon mal auf dem Weihnachts-Wunschzettel notieren (das geht schneller, als Ihr denkt… im Supermarkt ist der Spekulatius-Wahnsinn bereits in vollem Gange und der Dicke mit dem Rauschebart turnt auch schon durch die Gänge!!!), lesen, Spaß haben, sich an den Bildern erfreuen… und mit den gewonnenen Kenntnissen direkt noch mal lesen… es lohnt sich!

Der große Indienschwindel

Alain Ayroles, Juanjo Guarnido, Splitter

Der große Indienschwindel

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