Text:   Zeichner: Koren Shadmi

Der erste Spielleiter: Gary Gygax und die Erschaffung von D&D

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Marcel Scharrenbroich
7101

Comic-Couch Rezension vonMär 2018

Story

Interessante Story mit noch interessanterer Erzählweise. Auch Nicht-Rollenspieler werden spannend durch die Entstehungsgeschichte von „Dungeons & Dragons“ getragen.

Zeichnung

Die steif wirkenden Zeichnungen, die an Karikaturen erinnern, sind gewöhnungsbedürftig und bewegen sich nur knapp über dem Mittelmaß. Die übersichtliche Darstellung ist positiv zu vermerken.

Eine Geschichte von Kerkern & Drachen

Die zwanzig Seiten des Würfels

Bei dem Begriff „Rollenspiele“ dürfte den meisten Leuten sofort ein Licht aufgehen. Abgesehen von denen, die an erotische Spielereien hinter verschlossenen Türen denken, fällt der Groschen wohl am ehesten durch den hohen Bekanntheitsgrad von PC- und Konsolenspielen, die längst nicht mehr einsam in dunklen Kellern gespielt werden, sondern Solo-Gamer und Online-Zocker weltweit begeistern. Sogar ganze Stadien werden gefüllt und TV-Übertragungen gehören in vielen Ländern schon zum Standard. Spiele wie „Ultima“, „Might & Magic“, „Diablo“, „Wizardry“, „Baldur’s Gate“ und natürlich die „Final Fantasy“-Reihe gründeten ihre Fan-Base bereits im letzten Jahrtausend… doch wie in so vielen Fällen, setzte sich mit der schnell voranschreitenden Technologie auch der Siegeszug der Rollenspiele fort.

Durch die ständig lebendigeren Spielwelten und der Grafik-Power der heutigen Technik werden die Ausflüge in die künstlichen, gigantischen Welten, die den Spieler immer realistischer an erdachten Abenteuern teilhaben lassen, anspruchsvoller und auch massentauglicher. Vorbei sind die Zeiten der pixeligen Dungeons, in denen Polygon-Haufen, die Drachen darstellen sollten, den mit viel Mühe zu erkennenden Protagonisten zu 8-Bit-Klängen vom Bildschirm pusteten und die verhassten Worte „YOU ARE DEAD“ den Spieler wieder unsanft ins Hauptmenü beförderten. Heute können sich hochgelobte Titel wie „The Witcher“, „Mass Effect“, „The Elder Scrolls: Skyrim“, „Dragon Age“, „Fallout“, „Dark Souls“ oder „Bloodborne“ regelmäßig an die Spitze der Verkaufs-Charts setzen und räumen haufenweise Game-of-the-Year-Awards ab.

Einen ganz hohen Stellenwert in der Branche hat natürlich auch das MMORPG (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game) „World of Warcraft“, kurz „WoW“, des amerikanischen Entwicklers Blizzard Entertainment. Ende 2004 (in Europa ein paar Monate später) startete der Siegeszug von „WoW“ und Millionen von Spielern stürzten sich global in die Fantasy-Welt von Azeroth, um als Zwerg, Nachtelf oder (man mag es kaum glauben) Mensch gegen feindliche Orcs, Trolle und diverse Untote in den virtuellen Krieg zu ziehen. Zu „WoW“s Hochzeit sorgte das Online-Spiel für einen besorgniserregenden Anstieg von Suchtgefährdungen und so manche Leitung von Sorgen-Telefon-Hotlines fing an zu glühen, da besorgte Eltern befürchteten, ihr verwahrlostes Kind unter dem Müllberg, der sich vor dem heimischen PC angehäuft hatte, nicht mehr wiederzufinden. Gut, dies mag jetzt vielleicht etwas überspitzt dargestellt sein, aber diverse Medienberichte zeigten, dass ich mit dieser Aussage nicht sooo falsch liege.

„World of Warcraft“ ist auch heute noch aktuell und wird, dank seiner regelmäßigen Erweiterungen, immer noch gespielt. Blizzards Erfolgsgarant gelang sogar schon der Sprung auf die große Leinwand und wurde von Duncan Jones („Moon“), dem Sohn von Musik-Legende David Bowie, erfolgreich als 3D-Abenteuer-Spektakel in Szene gesetzt.

Lange, laaaaange bevor die Rollenspiele Einzug in die digitale Welt und somit auch in millionenfache Wohnzimmer fanden, wurde noch analog gespielt. Ja, richtig… ANALOG! Bei den sogenannten Pen & Paper-Rollenspielen entstanden die ausufernden, magischen Welten noch in den Köpfen der Spieler und es war Fantasie gefragt. Man versammelte sich um einen Tisch, bewaffnet mit Stift und Würfeln und lauschte den Worten des Spielleiters.

Regeln, Regeln… immer diese Regeln!

Ja, ja… die Regeln waren und sind das A und O beim Pen & Paper-Rollenspiel. Die Mitspieler machen sich Notizen auf ihren Charakterbögen, würfeln Erfolg und Misserfolg einer bestimmten Aktion aus und lauschen gespannt der Rahmenhandlung des Spielleiters. Dieser Leiter, oftmals auch „Dungeon Master“ genannt, sollte mit dem Regelwerk des jeweiligen Abenteuers gut vertraut sein und auf charakterbedingte Änderungen in der Handlung jederzeit reagieren können. Die Attribute der Charaktere werden meist im Vorfeld festgelegt, was dem Spieler bei der Wahl seiner Figur bestimmte Vorteile, aber auch Nachteile verschaffen kann. Für Erfolge erhalten Spieler Erfahrungspunkte (EP), die bei einer festgelegten Anzahl zum Aufstieg einer Erfahrungsstufe führen. Dieser Aufstieg macht ihn beispielsweise resistenter gegen Feuer, Eis oder diverse Zaubersprüche. Auch die Trefferpunkte (TP) können sich erhöhen, was den Charakter bei physischen Angriffen widerstandsfähiger gegen die jeweiligen Attacken macht und vor dem vorzeitigen Ableben bewahrt. Auch für etwaige Zufallsaktionen wird ein (meist) mehreckiger Würfel verwendet.

Da die Regeln von Spiel zu Spiel variieren und eine detaillierte Auflistung jeden erdenklichen Rahmen sprengen würde, will ich es erstmal bei diesem kurzen Einblick in die Welt der Pen & Paper-Rollenspiele belassen… vor allem aber auch, weil ich absolut kein Experte auf diesem Gebiet bin. Was uns dann zum nächsten Punkt bringt:

Der Experte

Der Amerikaner Gary Gygax brachte bereits 1971, zusammen mit Jeff Perren, das Fantasy-Tabletop-Spiel „Chainmail“ auf den Markt. Die veröffentlichte Edition gilt als eines der ersten Regelwerke und legte den Grundstein für ein popkulturelles Phänomen. Die Weiterentwicklung von „Chainmail“ sollte in Zusammenarbeit mit Dave Arneson als „Dungeons & Dragons“ in die Geschichte eingehen und war wegweisend für die Entwicklung der Rollenspiele, wie wir sie heute kennen.

Gygax gründete eigens für die Veröffentlichung den Verlag TSR (Tactical Studies Rules) und entwickelte später eine neuere Version, die seit 1977 unter dem Namen „Advanced Dungeons & Dragons“ erfolgreich vertrieben wurde. 1975 wurde „D&D“ auch in England ein großer Erfolg, da Gary Gygax ein Exemplar des Spiels an zwei Autoren schickte, die es in ihrer neu gegründeten Firma „Games Workshop“ vermarkteten. Bis zum deutschen Start sollte es noch bis Ende 1983 dauern.

Der Hype um Rollenspiele übertraf alle Vorstellungen und rief besorgte Eltern auf den Plan, die befürchteten, dass ihre Kinder zu sehr in die Fantasy-Welten abdriften könnten. Dieses Problem wurde auch in dem amerikanischen TV-Film „Labyrinth der Monster“ thematisiert, der einen jungen Tom Hanks zeigt und sich mit dem Thema Realitätsverlust auseinandersetzt. 1983 folgte zudem eine „D&D“-Zeichentrick-Serie, bevor im Jahr 2000 der Sprung auf die Kinoleinwand, in Form einer Live-Action-Adaption folgte, über den man aber lieber den magischen Mantel des Schweigens legen sollte… über die beiden Direct-to-DVD-Fortsetzungen sollte dann am besten überhaupt kein Wort mehr verloren werden… sonst sinken die Trefferpunkte automatsch auf null.

Nun aber endlich: DAS BUCH

Der Autor David Kushner lässt den Leser an der Erfolgsgeschichte „Dungeons & Dragons“ lebhaft teilhaben. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Kushner spricht den Leser direkt an und lässt ihn in klassischer Rollenspiel-Manier in die verschiedenen Charaktere schlüpfen, die an der Entstehung beteiligt waren. Eine passende Herangehensweise, die sich durchaus bezahlt macht und überraschend gut funktioniert, da der „Spielleiter“ uns (gut vorbereitet) durch das Buch führt. Wir folgen Gary Gygax vom frühen Kindesalter bis zum steinigen Weg des Erfolges und darüber hinaus. Der Leser bekommt Einblicke in popkulturelle Bedeutung von „D&D“, die auch Tragisches zu Tage förderte und teils abstruse Ausmaße annahm. Selbst aktuelle Produktionen, wie beispielsweise die erfolgreiche Netflix-Serie „Stranger Things“, ziehen den Hut vor „D&D“, worauf im Buch auch eingegangen wird. Ebenfalls werden Projekte angesprochen, für die das Spiel als Inspirationsquelle diente.

Auf der künstlerischen Seite gibt es leider nicht so viel Positives zu vermerken, wie auf der Inhaltlichen. Die schwarz-weiß-Illustrationen von Koren Shadmi wirken eher klobig und steif. Sie vermitteln die Geschichte zwar deutlich, lassen aber jegliche Dynamik vermissen und bremsen den Lesefluss etwas aus. Ein modernerer Stil hätte hier gutgetan, wobei fast zu vermuten wäre, dass Shadmis Zeichnungen, als Stilmittel, bewusst altbacken anmuten sollen.

Ein großes Lob muss man dem Verlag Feder & Schwert für die deutsche Veröffentlichung von „Der erste Spielleiter: Gary Gygax und die Erschaffung von D&D“ machen. Die Biografie wurde für den deutschsprachigen Markt via Kickstarter finanziert und kann sich optisch mehr als sehen lassen. Das matte Hardcover-Buch wurde mit Spotlack-Elementen partiell veredelt und überzeugt in seiner tadellosen Verarbeitung. Ein rotes, lustig bommelndes Lesebändchen gibt es auch noch dazu.

Fazit:

Die Erfolgsgeschichte über ein Spiel, das seine Anfänge in Kellern, Garagen und an Wohnzimmertischen feierte und über Jahrzehnte zum millionenfach gespielten Fantasy-Phänomen mutierte, dessen Einflüsse kein Spieler, egal ob online oder offline, heute mehr missen möchte, und seine Schöpfer, bietet spannende und interessante Unterhaltung auf ansprechendem Niveau. Rollenspiel-Freunden sei diese Biografie sowieso ans Herz gelegt, aber auch Comic-Fans, die bisher nicht mit der „D&D“-Welt in Kontakt kamen, können bedenkenlos einen Blick in diese faszinierende Welt werfen, ohne enttäuscht zu werden.

Der erste Spielleiter: Gary Gygax und die Erschaffung von D&D

David Kushner, Koren Shadmi, Feder & Schwert

Der erste Spielleiter: Gary Gygax und die Erschaffung von D&D

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