Text:   Zeichner: Enki Bilal

Bug - Buch 1

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Marcel Scharrenbroich
8101

Comic-Couch Rezension vonJul 2018

Story

Ein dystopischer Polit-Thriller, der zum Nachdenken anregt und sich bisweilen erschreckend real anfühlt. Sehr eindrucksvoll und packend erzählt.

Zeichnung

Leider findet sich hier der Bug in „Bug“. Die skizzierten Buntstift-Illustrationen gefallen nur in großflächigen Panels mit Städte- oder Landschafts-Szenario. Charaktere erscheinen zu „hart“ und ungelenk.

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Ich bin datenlos… wo sind meine Daten bloß?

In unserer heutigen, modernen Zeit ist das Internet allgegenwärtig. Es begleitet uns auf Schritt und Tritt… meist griffbereit in der Hosentasche. Undenkbar, dass man früher bei jeder noch so banalen Frage seine Mitmenschen in Anspruch nehmen musste… in die Bibliothek rannte (die heute in ihrer Gesamtheit auf dem heimischen Kindle vorliegt)… Lexika wälzte oder – Gott bewahre – seinen eigenen Grips anstrengte. Heute fragen wir unseren treuen Freund Google, schreien flehend nach Alexa oder Siri, dass diese uns doch bitte abgehackt eine Antwort ins Ohr säuseln… oder fragen freundlich unseren Toaster… vielleicht antwortet er ja… was mich ehrlich gesagt nicht wundern würde. Erschreckend, oder?

Telefonnummern und Adressen merken oder aufschreiben? Fehlanzeige. Alles gespeichert auf unseren mobilen Endgeräten. Postkarten aus dem Urlaub versenden? Quatsch. Schnell ein Selfie vor der eindrucksvollen Sehenswürdigkeit gemacht und ohne Umwege, sekundenschnell an die daheimgebliebenen Liebsten verschickt. Persönliche Fotos speichert man heutzutage praktisch auf dem Smartphone… oder wann habt Ihr zuletzt ein Fotoalbum durchgeblättert, um in Erinnerungen zu schwelgen? Musik-CDs sortieren und für den rauschenden Party-Abend die passende Untermalung zusammenstellen? Ich bitte Euch. Die komplette Musik-Abteilung vom örtlichen Elektro-Markt trage ich lässig am Schlüsselbund. USB-Sticks, die kaum größer sind als eine Fingerkuppe, fassen all unsere Lieblingslieder, speichern unvergessen unsere Eskapaden vom bierseligen Vorabend, sodass die guten Freunde sie uns bei jeder Gelegenheit wieder vorhalten können, lassen uns unsere selbstgemachten Videos immer und immer wieder ansehen und bieten obendrein noch Platz für haufenweise fragwürdiger Downloads aus dem Netz.

Unsere komplette Krankengeschichte, angefangen vom kleinsten Schnupfen, bis zum gebrochene Zeh, findet Platz auf einem winzigen Chip und für unsere Bankgeschäfte müssen wir uns höchstens noch vier Ziffern merken. Videospiele verwöhnen uns, indem jeder noch so kleine Schritt automatisch zwischengespeichert wird, wo wir früher - sollte der Strom mal ausgefallen oder wir an den falschen Knopf gekommen sein - entspannt wieder im Startbildschirm waren, nachdem unter lautem Gefluche das Mobiliar in handliche Teile zerlegt wurde, während uns dampfendes Blut aus den Ohren schoss… was wünschte ich diesem verdammten, kleinen Klempner mit der roten Mütze damals die Pest an den Hals! Unser restliches soziales Leben ist eh für jedermann – fein nach Datum sortiert – bei Facebook abrufbar, während uns bei dem Wort „Vogelzwitschern“ als erstes der blaue Twitter-Piepmatz in den Sinn kommt.

Beim Einkaufen halten wir dann noch kurz unsere Payback-Karte vor den Scanner, damit die Industrie auch weiß, wann uns das Lokus-Papier ausgegangen ist. Den lokalem Pizzabäcker kennen wir nur noch aus urbanen Legenden, da selbst das Essen bequem per Knopfdruck bis an die Tür geliefert wird. Zuletzt regen wir uns dann noch über die neuen Datenschutzbestimmungen auf, obwohl die Leute, die es interessieren könnte, eh schon wissen wer wir sind und was wir so treiben. Dafür hängen uns dann aber die Worte „Cookies akzeptieren“ auch so langsam an den Ohren raus. Toll… jetzt hab ich Hunger auf Kekse.

Was aber würde es aus uns machen, wenn all diese Daten plötzlich fort wären? Futsch… einfach weg. Mit einem Mal ausradiert, so als hätte es sie nie gegeben. Jeder USB-Stick…  jeder Speicher-Chip… jede Festplatte und jeder Server. Leer. Für Privatpersonen schon unvorstellbar, wenn liebgewonnene Erinnerungen – sollten sie digitaler Natur sein – nicht mehr rund um die Uhr zugänglich und – schlimmer noch – unwiederbringlich ins Daten-Nirvana abgerauscht wären. Doch was würde es für unsere Welt bedeuten??? Patientendaten, Listen mit Terror-Verdächtigen, Bankdaten… weg. Zusammenbrechende Verkehrs- und Stromnetze, wirtschaftliche Krisen ungeahnten Ausmaßes, ratlose Politiker… Kriege. Was würde aus der Menschheit werden? Würden wir wieder anfangen an Höhlenwänden zu kritzeln? Uns in Grunz-Lauten unterhalten? Aussterben?

Die digitale Panikmache begann schon vorm Beginn des aktuellen Jahrtausends und nicht wenige Menschen hielten sich um Punkt 0 Uhr in der Millenniums-Silvesternacht die Ohren zu, da sie dachten, dass die Welt mit einem RUMMS zur Hölle fährt. Nun… dieser Vorfall blieb erfreulicherweise aus, doch der in Belgrad geborene Ausnahme-Künstler Enki Bilal hält uns mit seinem neuen Werg „Bug“ mal vor Augen, wie so ein digitaler Super-GAU - in einer nicht allzu fernen Zukunft - aussehen könnte.

Rächdschraibung¿ Wass ist dass¿¿¿

Wir schreiben das Jahr 2041 und die Bevölkerung ist abhängiger von der Technik als jemals zuvor. Autos und Flugzeuge werden nicht mehr manuell, sondern vollkommen automatisiert von A nach B befördert. Vermögende Personen modifizieren ihre Körper mit digitalen Implantaten. Das Leben spielt sich online ab. Dann passiert jenes unvorstellbare Ereignis, das die Menschheit gefühlt bis in die Steinzeit zurückkatapultiert: Alle gespeicherten Daten sind verschwunden. Die weltweiten Server leergefegt. Ratlos sehen sich die Bürger und die Spitzen der Weltmächte mit den vollendeten Tatsachen konfrontiert. Totaler Stillstand.

Aus der Not heraus werden Rentner aus dem Ruhestand rekrutiert, da diese noch aus Zeiten stammen, in denen noch das analoge Leben regierte und der technische Fortschritt das Leben höchstens erleichtern und nicht vollständig übernehmen sollte. Piloten müssen wieder von Hand fliegen und Autos werden gelenkt, statt ferngelenkt. Schadensbegrenzung bei einem globalen Totalschaden. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Zur Information der Bevölkerung werden die Print-Medien reaktiviert, dessen Schreiberlinge es nicht mehr zustande bringen, einen fehlerfreien Satz zu formulieren. Der menschliche Rückschritt wird nur allzu deutlich und hält der schockierten und überforderten Gesellschaft schadenfroh den Spiegel vor. Verflucht seist du, verdammte Auto-Korrektur!!!

Zeitgleich zu den Vorkommnissen auf der Erde kehrt ein bemanntes Raumschiff von einer Mars-Expedition zurück in die Erdumlaufbahn. Als ein Rettungsschiff der internationalen Raumstation die Heimkehrer bergen will, bietet sich den Astronauten ein schockierender Anblick. Die ganze Besatzung ist tot… bis auf einen.

Kameron Obb war einer der beiden Piloten der Mars-Mission und weist die gleiche Verletzung auf, wie seine verstorbenen Kollegen. Eine Wunde am Hals. Eine Art… Einstich. Nach ersten Untersuchungen wird den Ärzten der internationalen Raumstation klar, dass Obb einen Fremdkörper in sich trägt. Eingedrungen durch die Wunde am Hals. Röntgenbilder zeigen, dass es sich um eine Art Käfer handelt, der sich auf seinem Halswirbel festgesetzt hat. Bei der Autopsie einer der Leichen stellt sich heraus, dass diese Käfer Hybride aus organischen Elementen und bisher unbekannten, metallischen Legierungen sind. Welchen Einfluss diese fremdartigen Dinger auf ihre Wirte haben, stellt bislang ein Rätsel dar. Ebenso die bläuliche Verfärbung über Kameron Obbs Auge.

Erste Erkenntnisse kommen den ratlosen Ärzten als Obb Passwörter und Lebensläufe der Anwesenden aufsagt, die er eigentlich gar nicht wissen dürfte. Er ist ein wandelndes Lexikon… eine lebende Datenbank… randgefüllt mit Wissen. Ein Phänomen, dass seinen Auftraggebern bei „Lifedust One“ nicht lange verborgen bleibt. Obb, der nur zurück zu seiner Frau und seiner Tochter möchte, macht sich auf den Weg zur Erde. In der entdigitalisierten Heimat angekommen, ist die Jagd auf ihn schon längst eröffnet. Sein grenzenloses Wissen macht ihn zur unbezahlbaren Zielscheibe für alle Nationen. Hier steht mehr als nur ein Menschenleben auf dem Spiel… das Wissen der gesamten Weltbevölkerung.

Noch mal mit einem blauen Auge davongekommen…

…ist der erste Band durch seine höchstbrisante Story. Die Möglichkeit, alle weltweit gespeicherten Daten im Nichts verschwinden zu sehen, lässt durchaus nachdenklich werden. Fängt man erst mal an - neben den privaten Verlusten - etwas tiefer zu gehen, wird einem schnell bewusst, dass die Folgen unvorhersehbar wären und katastrophal enden könnten. Eines würde zum anderen führen und wir würden einsehen, wie unbeholfen wir eigentlich ohne unsere technischen Errungenschaften wären.

Ein Konzept, das in Enki Bilals düsterer Zukunfts-Dystopie voll aufgeht und beim Leser die richtigen Knöpfe drückt. Anfänglich etwas unübersichtlich, durch den häufigen Szenen-Wechsel, dafür umso schneller einnehmend. Bereits nach kurzer Zeit entfaltet „Bug“ seinen Sog und das Titel-Wortspiel, das sich einerseits auf den käferartigen Parasiten in Obbs Körper bezieht und auf der anderen Seite den globalen Daten-Crash benennt, mündet in einen waschechten Sci-Fi-Polit-Thriller, dessen schnelle, örtliche Handlungs-Sprünge an atemlose Film-Pendants erinnern.

Bilals erzählerischer Stil kann also voll überzeugen. Sein künstlerischer Stil ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Kann man mögen… muss man aber nicht. Ich persönlich gehöre da leider der zweiten Fraktion an. Zu skizzenhaft und markant sind mir seine Charaktere. Harte Mimik und ungelenk wirkende Proportionen erschwerten mir unnötig den Einstieg und ließen mich am Emotionsaufbau mit den Figuren scheitern. Die düsteren Buntstift-Zeichnungen sind in ihrer Kolorierung zwar durchaus stimmig und angemessen, wirken beim genaueren Hinsehen aber etwas verwaschen und schluderig. Ob dies als Stilmittel anzusehen ist, sei mal dahingestellt. Positiv sind aber Bilals Gebäude-Illustrationen und sein erfrischender Perspektiv-Wechsel, der abwechslungsreich ungewohnte Blickwinkel nutzt.

Fazit:

Das neuste Werk des Künstlers Enki Bilal, der bereits seit den späten 70er-Jahren große Erfolge feiert, überzeugt vollkommen auf der geschichtlichen Ebene. Humorbefreit und beklemmend kommt seine düstere Zukunfts-Vision daher, die ihre erhoffte Wirkung nicht verfehlt und zum Nachdenken anregt. Trotz des schwammigen Zeichen-Stils, der seine Charaktere befremdlich unproportioniert darstellt, ist die Geschichte zu relevant, um sie nicht zu beachten. Der großformatige (24,3 x 32cm) und matt gehaltene Hardcover-Band vom Carlsen Verlag ist hochwertig verarbeitet und verfügt über eine ebenso hochwertige Papier-Qualität. Sci-Fi-Freunde mit Hang zu endzeitlichen Settings werden ihre Freude haben und garantiert nicht enttäuscht.

Bug - Buch 1

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