Text:   Zeichner: Nina Bunjevac

Bezimena

Bezimena
Bezimena
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Marcel Scharrenbroich
7101

Comic-Couch Rezension vonJun 2020

Story

Eine clevere Allegorie auf eine alte griechische Sage. Dazu noch eine schonungslose Selbsttherapie. Leider zu einseitig, was die Beweggründe des Täters angeht.

Zeichnung

Minimalistisch, was das Füllen einer Seite angeht. Dafür detailliert und mit aufwendigen Schraffuren. Die offen gezeigte sexualisierte Gewalt hätte es hingegen nicht nötig gehabt, um den Leser zu überzeugen. Die Aussage wäre auch so klar genug gewesen.

#MeToo

Surreal

Bezimena, die Namenlose, liegt reglos im Gras am Ufer eines Flusses. Die Arme ausgebreitet, während Schlangen ihren verhüllten Körper umspielen. In einem Zustand völliger Ruhe liegt sie einfach nur da. Bis eine herbeieilende Priesterin die Ruhe stört. Völlig außer sich, berichtet sie Bezimena von der Stürmung der Tempel. Von geschändeten Götterbildern. Bränden. Doch Bezimena rührt sich nicht. Erst nach weiterem Wehklagen der Priesterin und dem Vorwurf, dass Bezimena kein Herz besäße, packt sie die panische Frau und drückt ihren Kopf unter Wasser.

Ihr letzter Atemzug saugt die Priesterin in einen Strudel. Dieser verschlingt sie regelrecht. Katapultiert sie durch eine bizarre Spirale zwischen Hier und Dort. Zwischen Jetzt und Dann. Verwandelt sie. Transformiert sie. Bis zu ihrer Wiedergeburt… Bis zu SEINER Wiedergeburt.

Voyeuristisch

Der Junge Benedict, kurz Benny genannt, wächst als Sohn einer Gerber-Familie auf. Ihm mangelt es an nichts… dennoch läuft sein Leben schon ungewöhnlich früh aus dem Ruder. Selbst unter Gottes wachsamen Augen kann er nicht von sich lassen und spielt sogar im Klassenzimmer der erzkatholischen Schule an sich rum… den Blick dabei stets auf die Mitschülerin Becky gerichtet. Seine zwanghafte Obsession macht schnell die Runde. Bringt Schande über die Familie. Dennoch kann er dem lustvollen Drang nicht wiederstehen. So wächst Benny zu einem zurückgezogenen Sonderling heran. Ohne vernünftigen Schulabschluss. Ohne Freunde. Ohne erwiderte Liebe.

Selbst im jungen Mannesalter umgibt er sich mit sonderbaren Gegenständen und Hobbies. Hält sich im Hintergrund. Lebt dort. An seinen Mitmenschen vorbei. Isoliert und in seiner eigenen Welt. Noch immer seinen voyeuristischen Neigungen erliegend. Sein Brötchen verdient er als Hausmeister im städtischen Zoo. Ein idealer Job für Benny. Stille. Einsamkeit. Und die ideale Möglichkeit, sein Umfeld aus dem Schatten heraus zu beobachten.

Obszön

Gerade als Benny wieder bei seiner Lieblingsbeschäftigung ist, durchfährt es ihn wie ein Blitz. Das Objekt der Begierde, welches er schier unsichtbar durchs Fenster beobachtet, ist niemand anderes als Becky. Die „weiße Becky“, die dort in Begleitung einer Freundin am Eisbärengehege steht. Auch sie ist erwachsen geworden… und strahlend schön. Bennys Auge entgeht nicht, dass Becky etwas am Gehege vergessen hat. Ein Buch. Ihr Skizzenbuch. Nachdem Becky und ihre Begleiterin den Zoo verlasen haben, nimmt Benny das Skizzenbuch an sich. Damit setzt er eine surreale Spirale aus Sex und Gewalt in Gang, die für keinen Beteiligten zum Guten verlaufen soll…

Der harte Kontrast zwischen ungezügelter Lust und qualvollem Martyrium. Er ist so groß, wie der visuelle Unterschied von tiefem Schwarz zu unschuldig-strahlendem Weiß. Dabei folgt diese Graphic Novel nicht den bekannten Erzählmustern. Nina Bunjevac packt den erzählenden Text, untergebracht in Sprechblasen vor klarem Sternenhimmel, auf die linke Seite, während die rechte Seite jeweils ein einziges Bild ziert. Mehr eine Text-geleitete Bildergeschichte. Dank der großen Illustrationen, strotzen diese auch vor Details. Stilistisch zwar reduziert, sind es die aufwendigen Feinheiten, die positiv ins Auge fallen. Gerade in den surreal-bizarren Szenen punktet die Künstlerin mit Einfallsreichtum. Mit ihren radikalen sexuellen Darstellungen verstört Bunjevac jedoch unnötig, was „Bezimena“ nicht nötig gehabt hätte, um zu überzeugen.

Gnadenlos offen

„Bezimena“ ist eine erschütternde Erzählung über sexualisierte Gewalt. Die volle Wucht entfaltet sich aber erst durch das Nachwort von Nina Bunjevac. Hier erzählt die kanadisch-jugoslawische Künstlerin von ihren eigenen traumatischen Erfahrungen. Wie sie als junge Frau nur mit Mühe und Not sexuellen Übergriffen entkam. Wie qualvoll es war, sich überhaupt jemanden anzuvertrauen. Und wie sehr sie die Schuld des Schweigens plagt, die womöglich andere Opfer vor ihren Peinigern hätte schützen können. Deshalb widmet sie „Bezimena“ allen Frauen, die Ähnliches durchlebt haben.

Dabei orientiert sich Nina Bunjevac an der griechischen Sage von Artemis, der Göttin der Jagd und der Geburt, und dem kretischen Jäger Siproites, der in eine Frau verwandelt wurde, nachdem er die Göttin beim Baden beobachtete. Dies spiegelt die Rahmenhandlung wider, in der die tragische Hauptgeschichte um den fehlgeleiteten Benedict eingebettet ist. Ein clever konstruiertes Gerüst.

Fazit:

Mit ihren detailliert-sexuellen Zeichnungen macht Nina Bunjevac dem Leser ungewollt selbst zum Voyeur. Die pornographischen Darstellungen von Lust und Leid können daher auf einige Leser sehr verstörend wirken, was „Benzimena“ zu einem Buch macht, das keinesfalls in die Hände Jüngerer fallen sollte.

Leider fehlt mir für die Figur des Benedict dann doch die notwendige Tiefe. Alles damit zu erklären, dass er bereits „ein seltsames Kind“ war, ist mir zu dünn. Für einen lustgetriebenen Psychopathen, der er eindeutig ist, braucht es mehr als simple Schwarz/Weiß-Schubladen. Nichtsdestotrotz hat „Bezimena“ eine wichtige Aussage, die Nina Bunjevac sich selbsttherapierend von der Seele schreibt und zeichnet.

Sexualisierte Gewalt war, ist und bleibt ein wichtiges Thema, keine Frage. Eine unbedingte Empfehlung kann ich trotzdem nicht aussprechen. Dafür ist die Geschichte zu einseitig und will mit dem Holzhammer schockieren.

Bezimena

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