Text:   Zeichner: Rem Broo

Beethoven: Unsterbliches Genie

Beethoven: Unsterbliches Genie
Beethoven: Unsterbliches Genie
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Carsten Jaehner
10101

Comic-Couch Rezension vonNov 2020

Story

Kopfschüttelnd und angewidert, wie man mit einem solchen Genie so umgehen konnte, legt man das Buch fort. Eine böse, schwarzhumorige und zugleich lohnenswerte Anschaffung, die jeden Bücherschrank bereichert.

Zeichnung

Die treffenden Zeichnungen bilden eine gelungene Einheit mit dem Text. Eines der Highlights im Beethoven-Jahr 2020.

Das große Genie schwarzhumorig entzaubert

Wien, 28. März 1827

Ein Beethoven-Verehrer kommt mit der Kutsche nach Wien, um Noten von Beethoven signieren zulassen. Doch in der angefahrenen Wohnung lebt er nicht mehr, und auch nicht in der nächsten, wo er hingeschickt wird. Nach einer Odyssee zu unzähligen Wohnungen, in denen Beethoven einst gelebt hat, erreicht er endlich die richtige Wohnung, in die aber gerade ein Sarg geliefert wird. Beethoven ist gestorben, er hat ihn nur um ein paar Stunden verpasst.

Schon bald versammeln sich Anhänger Beethovens, Speichellecker, Besserwisser, Schranzen, Scharlatane und Geldeintreiber vor Beethovens Haus, um sich noch eine Locke seines Haars oder ein paar Andenken aus der Wohnung zu sichern. Jeder hat Beethoven persönlich gekannt und weiß eine Geschichte zu erzählen, und sei sie noch so abgeschmackt. Beethoven, als Musiker ein Heiliger, als Mensch eine Katastrophe, als Toter Opfer seines Ruhms.

Es beginnt mit dem Ende

Es ist sehr ungewöhnlich, was Peer Meter (Szenario und Text) und Rem Broo (Storyboard und Zeichnungen) dem geneigten Comic-Fan und vor allem Beethoven-Fan mit ihrer Graphic Novel „Beethoven – Unsterbliches Genie“ vorlegen. Sie beginnen mit dem Ende – Beethoven ist tot und bislang weiß es niemand. Ein Verehrer irrt mit der Kutsche durch Wien und wird – gehässig wie die Wiener hier dargestellt werden – absichtlich nur zu falschen, ehemaligen Wohnorten Beethovens geschickt, bis er schließlich am richtigen Haus landet, doch da ist es zu spät – Beethoven hat gerade seinen letzten Atemzug getan und seine Reise war umsonst.

Meter und Broo halten nicht viel von Heiligenverehrung, sondern erzählen vielmehr, wie es mit Beethoven nach seinem Tod weiterging. Das Geschacher um seinen Nachlass, also sein Geld, Reliquien von seinem Körper (hauptsächlich die Locken seiner beeindruckenden Haarpracht) und sein aufgedunsener, weil von Alkoholismus gezeichneter Körper an sich stehen im Gegensatz zur wundervollen Musik, die von diesem von Leid gezeichneten Mann ersonnen und der Nachwelt hinterlassen wurden. Doch für seine Musik interessiert sich nach dem Tod niemand, sondern nur dafür, wie man aus den materiellen und körperlichen Überresten Profit schlagen kann. So ist er, der Mensch, und bis heute hat sich nicht viel daran geändert.

Als sei Beethoven kein Mensch gewesen, sondern ein Produkt, wird ihm der Schädel aufgesägt, um die Ursache seiner Ertaubung festzustellen, am Ende wird sein Kopf entwendet und gegen einen anderen ausgetauscht, um den Kopf zu untersuchen. Leider keine Phantasie, sondern tatsächlich unbekanntes Detail der damaligen Zeit, wo Schädelsammler unterwegs waren. Bekannter ist der Fall des fehlenden Kopfes von Joseph Haydn, ebenso makaber, aber historisch belegt. Der Leser schüttelt ungläubig den Kopf, und doch war alles tatsächlich so, wie in der Graphic Novel beschrieben.

Herrlich Böse und doch so zutreffend

Wien zeigt sich im Tode Beethovens von seiner gemeinsten Seite, und man kann ahnen, dass es zu Beethovens Lebzeiten eigentlich auch nicht anders gewesen sein dürfte. Beethovens Bruder kommt um nach Geld zu suchen, sein Privatsekretär Schindler versucht wenigstens einigermaßen, Pietät walten zu lassen und wundert sich über den „Ausverkauf“ des Leichnams, was Haare, Kiefer und Schädel angeht. Niemand interessiert sich für die Musik, die Noten, die Handschriften. Stattdessen sonnt man sich im selben Ruhme wie der Maestro. In Rückblenden werden einige Szenen aus seinem Leben erzählt, wie die Uraufführung der Neunten Symphonie, die er mitdirigiert hat, bereits stocktaub, und er hat nicht gemerkt, dass das Konzert zu Ende war. Er stand auf der Bühne und musste zum jubelnden Publikum umgedreht werden, um den Applaus zumindest visuell entgegen zu nehmen, und nun streiten sich vor seinem Sterbehaus die Damen darum, wer es denn nun war, der ihn damals umgedreht hat, um vielleicht einen kleinen Sonnenstrahl des Ruhmes Beethovens mit abzubekommen, schließlich hätte er ja sonst den Applaus gar nicht entgegen nehmen können.

„Beethoven ist noch nicht unter der Erde, aber schon ist das Pack zur Stelle.“

Hier sollen nicht alle kleinen Randgeschichten erwähnt werden, denn derer gibt es viele und der Leser kann hier viele Kleinigkeiten aus der Zeit und der Moral der Zeit entdecken. Das nachnapoleonische Wien 1827 wird sowohl vom Autor als auch vom Zeichner wundervoll eingefangen und holt und hält den Leser mühelos in der Stimmung der Zeit. Wien und die Wiener kommen nicht gut weg, aber das ist Absicht und entspricht wohl des Maestros Meinung über seine Wahlheimat. Im letzten Bild liegen einige Münzen auf einer Klaviertastatur, und Schindler fasst alles zusammen: „Ich weiß nicht, ist das eine Komödie, ist das eine Tragödie?“ Wohl beides. Und man legt das Buch fort, kopfschüttelnd und angewidert, wie man mit einem solchen – aus heutiger Sicht – Genie so umgehen konnte. Aber – Hand aufs Herz - machen wir es heute mit unseren Stars nicht genauso?

Der im Buch folgende Text des Autors über die Entstehung der Graphic Novel sollte unbedingt gelesen werden, denn er erklärt, dass alles in diesem Buch leider nicht der Fantasie entsprungen ist, sondern tatsächlich so geschehen ist. Umso gruseliger ist der Inhalt. Diese 142 Seiten aus dem Carlsen Verlag sind für jeden Comic- und/ oder Beethoven-Fan eine lohnenswerte Anschaffung und bereichern jeden Bücherschrank.

Fazit:

Die Graphic Novel „Beethoven – Unsterbliches Genie“ darf als einer der Höhepunkte aller Beiträge zum Beethoven-Jahr 2020 betrachtet werden. Herrlich böse schaut man auf Leben, Tod und vor allem Nachleben des Komponisten zurück und blickt schwarzhumorig in tiefe Abgründe und fliegen Höhen. Dieses Buch macht Spaß und entsetzt zugleich. Der gelungene Text und die treffenden Zeichnungen bilden eine gelungene Einheit. Mehr kann man nicht verlangen. Unbedingt empfehlenswert.

Beethoven: Unsterbliches Genie

Peer Meter, Rem Broo, Carlsen

Beethoven: Unsterbliches Genie

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