Der Killer

von Marcel Scharrenbroich (11.2023)

Vendetta… aber mit Stil

„Halte dich an deinen Plan, …“

…blicke voraus, improvisiere nicht. Vertraue niemandem. Verschenke niemals einen Vorteil. Schlage nur die Schlacht, für die man dich bezahlt. Untersage dir Empathie. Empathie ist Schwäche. Schwäche ist Verwundbarkeit. Frag dich bei jedem einzelnen Schritt: Was springt für mich dabei raus? Darauf kommt es an. Darauf musst du dich einstellen, wenn du Erfolg haben willst.“

Nach diesem Mantra arbeitet er, der namenlose Auftragskiller (Michael Fassbender). Ein Mann mit unzähligen Identitäten, perfekt vorbereitet auf jede Situation. Ruhig, ausgeglichen, intelligent… und vor allem höchst konzentriert. Planung ist alles, das weiß er. Kein Plan B, keine Abweichung. Ein Schuss… und der muss sitzen. Deshalb studiert er jedes Szenario sorgfältig. Nimmt sich Zeit, um keinen Fehler zuzulassen. Nur ein kleines Zeitfenster für den optimalen Moment. Und diesen gilt es mit 100%iger Präzision zu nutzen.

So sieht er aus, der Idealfall. Doch irgendwann ist immer das erste Mal. Jener Augenblick, wo alles schiefläuft. In dem das Ziel verfehlt wird. Dennoch heißt es, Ruhe bewahren… nicht überhastet handeln. Der Auftrag schlug fehl… die Zielperson in Paris hat überlebt. Höchste Alarmbereitschaft auf der anderen Seite des Zielfernrohrs. Cool bleiben… alle Spuren beseitigen, flüchten. Belastendes Material auf dem Weg in den sicheren Unterschlupf loswerden. Und dann, wenn die Lage vermeintlich sicher erscheint und Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, ist Zeit zu beichten. Der Kontaktmann (Charles Parnell) will informiert werden, dass sein Klient (Arliss Howard) nicht auf die erhoffte Erfolgsmeldung zu warten braucht. Nicht gut… gar nicht gut.

„Tu was du willst, sei das einzige Gesetz.“
-Irgendjemand

Eine denkbar ungünstige Situation. Und erst recht kein empfehlenswerter Eintrag in den Lebenslauf eines Auftragskillers. Der Fehlschlag bleibt nicht ohne Folgen. Nachdem in Paris sorgfältig alle Zelte abgebrochen wurden, reist er in die Dominikanische Republik, wo er gemeinsam mit seiner Freundin Magdala (Sophie Charlotte) auf einem privaten, einsam gelegenen Landsitz lebt. Doch schon bei seiner Ankunft fällt ihm auf, dass hier etwas nicht stimmt. Fußspuren… Zeichen eines Einbruchs… Glas und… Blut.

Magdala wurde in ihrem Heim überfallen und schwer verwundet ins Krankenhaus eingeliefert. Wer das eigentliche Ziel der Attacke war, sollte klar sein. Doch Magdala hielt dicht, verriet den Angreifern kein Sterbenswort über den Aufenthaltsort ihres Partners. So sieht also die Quittung dafür aus, wenn ein Job nicht ordnungsgemäß erledigt wurde. Eine Erfahrung, die der Killer in seiner langjährigen Karriere noch nicht machen musste. Regeln? Die gelten nicht mehr… denn jetzt ist er am Drücker.

Analytisch

HURRA!!! Es gibt sie noch, die guten Comic-Verfilmungen. Nachdem das ziemlich ausgelutschte Marvel Cinematic Universe (MCU) nahezu wöchentlich groß angekündigte Planungen für die Zukunft wieder über den Haufen wirft, man im Hause DISNEY scheinbar überhaupt keine Ahnung hat, wohin die Reise gehen soll und die Kollegen von DC/WARNER sich unter der neuen Führung von James Gunn/Peter Safran erst noch beweisen müssen, fischen Studios und Filmemacher mal abseits des großen Teichs.

„Der Killer“ basiert auf der französischen Comic-Reihe „Le tueur“. Szenarist Matz (bürgerlich Alexis Nolent) lieferte schon die Vorlage für den Actionfilm „Shootout - Keine Gnade“ mit Sylvester Stallone und Jason Momoa, welche unter dem deutschen Titel „Blei im Schädel“ beim Verlag BUNTE DIMENSIONEN erhältlich ist. Auch „Die Schlange und der Kojote“, „Tango“ und „Geronimo“ (alle bei SPLITTER) gehören zu seinen Arbeiten. Dort erschienen ebenfalls „Tomboy“ und „Querschläger“, für die der in der Normandie geborene Autor mit dem visionären Action-Regisseur Walter Hill („Driver“, „Die Warriors“, „Nur 48 Stunden“, „Straßen in Flammen“, „Red Heat“, „Last Man Standing“) zusammenarbeitete. Mit Filmemacher David Fincher („Alien³“, „Sieben“, „The Game“, „Fight Club“, „Panic Room“, „Zodiac“, „Verblendung“) setzte Matz den James Ellroy-Roman „Black Dahlia - Die Schwarze Dahlie“ (SCHREIBER & LESER) als Graphic Novel um. Eine scheinbar nachhaltige Kooperation, denn auf Fincher kommen wir gleich noch genauer zu sprechen. SCHREIBER & LESER ist auch die deutsche Heimat von „Der Killer“. Der Verlag hat nicht nur die dreibändige Gesamtausgabe im Programm, in der alle dreizehn Bände der Hauptreihe (1998 – 2014) Platz finden, sondern auch die nachfolgende Serie. Diese hört auf den Namen „Der Killer - Secret Agenda“ und umfasst momentan vier Bände. Zeichner ist erneut Luc Jacamon, dessen klare Linien dem unterkühlt analytischen „Killer“ sehr gut zu Gesicht stehen.

Zielgerichtet

Wie im vorherigen Absatz schon kurz durchklang, bin ich ganz begeistert, was letztendlich aus der Verfilmung des gefeierten Comics geworden ist. Da für die Regie David Fincher gewonnen werden konnte, der 1995 mit „Sieben“ ein ebenso hartes wie brillantes Thriller-Noir-Meisterwerk abgeliefert hat, war meine persönliche Erwartungshaltung enorm hoch… und ich wurde nicht enttäuscht.

Nach dem recht überhasteten Vorspann, bei dem man kaum mit dem Lesen der Credits hinterherkommt (Ja, es gibt tatsächlich Leute, die sowas lesen), wird schnell klar, dass „Der Killer“ ein echter Slowburner ist. Soll heißen, dass er nur langsam aus dem Quark kommt. Eine weise Entscheidung, denn ein weiterer „John Wick“-Klon wäre eine verschenkte Chance gewesen, diesen doch sehr tiefgründigen Charakter darzustellen. Außerdem hätte man damit komplett an der Vorlage vorbeigedreht.

Mit geradezu stoischer Ruhe lässt der namenlose Killer uns an seiner Gedankenwelt teilhaben, während er mit messerscharfer Präzision seinen Job bis ins kleinste Detail plant. Schnell wird klar, dass wir es nicht mit einer tumben Tötungsmaschine zu tun haben, sondern mit einem wahren Philosophen. Kultiviert, clever, freilich mit einer fragwürdigen Moral, was ihn nur noch gefährlicher erscheinen lässt. Immer wieder wiederholt er seine Regeln, sein Mantra. Gnade kennt er nicht, empfindet Empathie mit seinen Opfern als Schwäche. Sogar Kollateralschäden nimmt er in Kauf. Doch zusehends bekommt seine eiskalt durchgeplante Welt Risse. Entscheidungen werden anhand seiner Taten plötzlich in Frage gestellt. Er fängt an, intuitiv zu handeln, lässt Gewissensbisse zu. Was zu der Frage führt, ob er für diesen Job noch der richtige Kandidat ist.

Das alles wird hervorragend vom deutsch-irischen Schauspieler Michael Fassbender („300“, „Eden Lake“, „Inglourious Basterds“, „X-Men“, „Prometheus“) getragen. Wenn er sich lässig und leger als deutscher Tourist tarnt, emotionslos Zeugen eliminiert oder einer Zielperson mit versteinerter Miene gegenübersitzt, als würde er diese bereits mit Blicken töten, spult Fassbender die volle Palette ab. Fincher bleibt auch stets dicht an seinem Hauptcharakter, was die Reise um den Globus für den Zuschauer zu einem sehr intensiven Trip macht. Zahlreiche Kulissen und wechselnde Handlungsorte, streng in Kapitel unterteilt, was der Erzählweise eines Comics schon sehr nah kommt. Hier hat jemand die Vorlage gut verstanden, was man bei Adaptionen leider nur noch selten sagen kann. Trotz des langsamen Tempos hat man nie das Gefühl, dass Zeit geschunden wurde. Während die Intensität zunimmt, staunt man hin und wieder über die Gewaltspitzen, da man diese nur schwer kommen sieht. Im Ansatz könnte man hier Nicolas Winding Refns „Drive“ als Vergleich heranziehen. Die Action ist trotz stetiger Spannung reduziert, entlädt sich jedoch in einem großen Fight, der nicht nur handwerklich hervorragend inszeniert ist. Effektivität steht da im Vordergrund, keine stylishen Akrobatikeinlagen. Rau, dreckig und blutig. Dann kehrt wieder Ruhe ein. Zumindest für die Zuschauer, denn „Der Killer“ verfolgt weiter seinen Plan…

Fazit

Ein mono- und dialoglastiger Actionfilm, der mehr einer Charakterstudie gleicht. Wer auf wilde Ballerorgien und wackelig gefilmten Mann-gegen-Mann-Hauereien mit aus dem Ruder gelaufener Zoom-Funktion verzichten kann, wird mit einer hervorragend gefilmten und nicht minder genial gespielten Comic-Adaption belohnt, die ihrer Vorlage erfreulicherweise treu bleibt. Nicht zu vergleichen mit anderen generischen Streifen, die NETFLIX, mit hochkarätigen Namen lockend, wie am Fließband raushaut.

Wertung: 9

Bilder: © Netflix

 

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