Rip Kirby: Die kompletten Comicstrips – Band 1 (1946 – 1947)

Wertung wird geladen
Marcel Scharrenbroich
10101

Comic-Couch Rezension vonJul 2019

Story

Entspannt-spannende Krimi-Kost aus vergangenen Tagen, die auch nach mehr als 70 Jahren noch gut unterhält. Clever durchdacht und vor allem eines: komplett und am Stück genießbar.

Zeichnung

Alex Raymond beeinflusste mit seinem realistischen Stil Generationen von Comic-Künstlern. Seine klaren und detaillierten schwarz-weiß- Zeichnungen überzeugen auch heute noch auf hohem Niveau.

Ein Comicstrip-Klassiker im würdigen Gewand

Alex Raymond

In den frühen 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts begann Alexander Gillespie Raymond (1909 – 1956) seine wegweisende Karriere beim US-amerikanischen „King Features Syndicate“, einem Unternehmen von Medien-Tycoon William Randolph Hearst und dessen „Hearst Communications“. Ende 1915 ins Leben gerufen, erscheinen die legendären Comicstrips und Cartoons des „Syndikats“ bis heute in über 5.000 Zeitungen und Zeitschriften weltweit. Darunter Titel wie „Blondie“, Spinat-Matrose „Popeye“ und die Lee Falk-Schöpfungen „Mandrake the Magician“ und Dschungel-Held „The Phantom“.

Erste Sporen verdiente sich Alex Raymond mit Retusche-Arbeiten und als „Ghostzeichner“ für bekannte und bereits etablierte Zeichner-Kollegen. Seine Arbeit sprach für sich, worauf Raymond angeboten wurde, die Spionage-Strips „Secret Agent X-9“ von Autor Dashiell Hammett (1894 – 1961; „Der Malteser Falke“, „Der dünne Mann“) zu illustrieren. Noch im selben Jahr, 1933, suchte man beim „King Features Syndicate“ nach einer eigenen Schöpfung, die den erfolgreichen Abenteuern von „Buck Rogers in the 25th Century“ (seit 1929 herausgegeben von der „John F. Dille Company“, welche später in „National Newspaper Company“ umbenannt wurde) die Stirn bieten konnte, nachdem eine Lizenzierung der Figur „John Carter of Mars“ (erdacht vom „Tarzan“-Schöpfer Edgar Rice Burroughs; 1875 – 1950) misslang. Dies war das Geburtsjahr von „Flash Gordon“, dem Polo-Star, der mit seinen Begleitern Dale Arden und Dr. Hans Zarkov Abenteuer auf dem fernen Planten Mongo (und Umgebung) erlebt und bis 1992 täglich in Zeitungen abgedruckt wurde. Anschließend wurden seine Geschichten noch bis 2003 in den Sonntagsseiten veröffentlicht und in unregelmäßigen Abständen war „Flash“ auch gerngesehener Star von TV-Serien, Radio-Serials, einem Kinofilm (1980), der ihn zum Football-Spieler beförderte, von „Queen“ besingen und Sam J. Jons verkörpern ließ, Zeichentrick-Adaptionen, Hörspielen und Romanen. Bei MARVEL, Dark Horse und Dynamite folgten über die Jahrzehnte weitere Comic-Auftritte.

Zeitgleich zum Start von Raymonds „Flash Gordon“ beim „King Features Syndicate“, suchte man dort nach einer weiteren neuen Serie für die täglichen Comicstrips. Diesmal sollte etwas Abenteuer-lastiges sein, etwas Jules Verne’esques. Hier wollte man einen Teil vom Erfolg von „Tarzan“ abgreifen, welcher vom genialen Hal Foster (1892 – 1982; „Prinz Eisenherz“) bei der Konkurrenz vom „United Feature Syndicate“ seit 1929 veröffentlicht wurde. Wie schon bei „Flash Gordon“, stand Alex Raymond auch hier der Autor Don Moore zur Seite. Die Abenteuer-Strips um Jim Bradley - alias „Jungle Jim“ (benannt nach Raymonds Bruder Jim) – hielten sich über einen Zeitraum von 20 Jahren, bevor sie 1954 eingestellt wurden.

Eigentlich schon an der Spitze der Karriereleiter angekommen, meldet sich Alex Raymond 1944 zum Kriegsdienst. Als der ehemalige Sekretär eines Wall Street-Börsenmaklers zwei Jahr später aus dem US-Marine Corps zurückkehrte, verweigerte man ihm seine Arbeiten an „Flash Gordon“ und „Jungle Jim“ erneut aufzunehmen, da das „King Features Syndicate“ zwischenzeitlich andere Zeichner mit der Weiterführung betraut hatte und diese nicht abziehen wollte. Stattdessen bot man Raymond eine neue Serie an. So wurde „Rip Kirby“ geboren, dem Alex Raymond sich bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahr 1956 widmete.

Am 6. September fuhr Raymond die Corvette seines Zeichner-Kollegen Stan Drake („The Heart of Juliet Jones“, „Blondie“; 1921 – 1997) und verlor auf regennasser Fahrbahn die Kontrolle über das Gefährt. Mit angeblich überhöhter Geschwindigkeit schoss das Cabrio durch die Luft und krachte gegen einen Baum. Während Drake schwerverletzt überlebte, starb sein Freund Alex Raymond mit nur 46 Jahren. Irgendwo auf einer Straße in Westport, Connecticut.

Mit Hirn, charmanter Begleitung und Butler

J. Remington „Rip“ Kirby ist so ziemlich das Gegenteil aller Hard-Boiled-Detektive der klassischen Pulp- und Noir-Geschichten zahlreicher US-Schriftsteller. Er lungert nicht nächtelang an den Bars irgendwelcher ominöser Spelunken rum und streift nicht durch dunkle Gassen namenloser Städte, in denen die Sonne niemals scheint. Kirby, ein Ex-Marine-Offizier, ist ein gut situierter Wissenschaftler, der schon einige Bücher verfasst hat und auf der Sonnenseite des Lebens steht. Er liebt es luxuriös und gönnt sich zudem die Dienste eines Butlers, dessen zwielichtige Vergangenheit ihm bei seinen Ermittlungen als erfolgreicher Hobby-Detektiv mehrmals zugutekommt. Stets an seiner Seite: die bildhübsche, aber etwas naive Judith Lynne „Honey“ Dorian, die als Model tätig ist und bis über beide Ohren in unseren Titelhelden verliebt als Vorreiterin aller modernen It- und Society-Girls angesehen werden kann. Kirbys guter Ruf eilt ihm voraus und verschaffte ihm überregionale Bekanntheit, weswegen er sich seine Fälle aussuchen kann. Im Gegensatz zu seinen Kollegen Sam Spade und Philip Marlowe muss der gute Rip auch nicht auf den Cent schauen, was zusätzlich etwas Freiheit verschafft.

Kirbys erster Fall - „Der Mörder von Chip Faraday“ – verschlägt ihn ins Model-Business, wo der Detektiv den Mordfall an einer jungen Frau aufklären muss, die ihm regelrecht an seiner Haustür in die Arme fällt. Tot. Honeys Schönheit ist hier der Türöffner für die Abgründe der Mode- und Glitzerwelt, damit unser Pfeife rauchender Detektiv mit seinen Ermittlungen beginnen kann.

In „Die Hicks-Formel“ folgt Rip Kirby der Einladung seines alten Dekans und besucht die Universität von Northchester, um dort einen Vortrag zu halten. Diese Einladung war jedoch nur vorgeschoben, um Kirby mit einem brisanten Fall zu betrauen. Nachdem der Hund des Dekans plötzlich starb und einige Studenten sich merkwürdig verhalten, liegt es nahe, dass irgendjemand eine gefährliche Formel von einem Professor entwendet hat, der sich weigerte, diese zu vernichten. Nun macht es den Anschein, als würde der mysteriöse Dieb diese Formel an menschlichen (und tierischen) Versuchsobjekten testen.

„Der Mangler“, ein Schwerverbrecher, der frisch aus Alcatraz geflohen ist, ist der Nächste, der dem bebrillten Ermittler das Leben unnötig schwermacht. Dieser Ganove, auch der „Fleischwolf“ genannt, hat ebenfalls großes Interesse an der „Hicks-Formel“, die sich seit kurzem in den Händen von Rip Kirby befindet. Dieser will die tödliche Formel, die die bakteriologische Kriegsführung auf eine neue Ebene befördern könnte, nach Washington bringen. Der „Fleischwolf“ hat aber andere Pläne und setzt die betörende Pagan Lee auf Rip an.

In „Fatale Fälschungen“ nimmt der Detektiv einen Auftrag des Musikers Swanee Rivers an, der mit dubiosen Plagiaten von Liebesbriefen erpresst wird. Es gibt auch ein Wiedersehen mit der vermeintlich geläuterten Pagan Lee, die sich als Starlet Madelon ein neues Leben aufzubauen versucht.

Doch die „Schatten der Vergangenheit“ machen auch vor einer ehemaligen Gangster-Braut nicht halt. So holen Pagan Lee ihre früheren Taten ein und ein altes Foto, welches ihre neue Karriere im Handumdrehen zerstören könnte, macht sie in den falschen Händen erpressbar. In Rip Kirby, in den sie sich natürlich auch Hals über Kopf verknallt hat, sieht sie die einzige Rettung… wovon Honey natürlich überhaupt nicht begeistert ist.

„Das Puppenhaus I“ (die Fortsetzung folgt im zweiten Teil der Gesamtausgabe) beginnt direkt damit, dass Honey ihre Drohung wahrgemacht hat. Sie ist verschwunden. Rip merkt, was er an der bezaubernden Honey hatte und muss alles daransetzen, um sie zu finden. Ein Glück, dass sie Hinweise hinterlassen hat, die nur ein Meister-Detektiv seines Kalibers lösen kann. Rip und sein treuer Butler Desmond machen sich auf die Suche, die nicht nur darin gipfelt, dass sie den Aufenthaltsort von Honey ausfindig machen, sondern sie auch noch mit einem neuen Fall konfrontiert, der lebensgefährlich enden könnte.

Zeichenkunst der 40er… und auch deren Sinn von „Gleichberechtigung“

Raymonds erstklassige Zeichnungen sind auch aus heutiger Sicht noch gelungen und auf den Punkt. Waren Verleger zu damaliger Zeit noch darauf bedacht, dass die Künstler wenig Schwarz verwenden und ihre Outlines dünn zu Papier bringen, um möglichst viel Farbe einzusetzen, brach Raymond mit dieser Tradition. Er verwendete das Schwarz geradezu großflächig und verlieh der Szenerie und jedem Panel dadurch ungewohnt viel Tiefe. Atmosphärische Schattierungen, bildschöne, mit feinem Strich gezeichnete Gesichter und zerknautschte Gangster-Visagen. Ein hoher Detailgrad, der auf den überformatigen und hochwertig-dicken Seiten der Gesamtausgabe perfekt zur Geltung kommt. Eine Schattenseite gibt es dennoch, was man aber nicht der Publikation an sich, sondern eher der Macho-Denkweise der 40er-Jahre-Männerwelt - und somit auch Alex Raymond und seinem Co-Autoren Ward Greene - ankreiden muss…

Ein Frauenbild, dass mir krachend der Schmelz von den Zähnen bröckelt und eine weibliche Abhängigkeit, die jeder emanzipierten Frau eine köchelnde Wut-Röte ins Gesicht zaubert. Eine klischeebeladene Rollenverteilung aus dem letzten Jahrtausend. Erschreckend ist nur, dass sie aus dem ausgehenden Jahrtausend stammt und nicht einmal 80 Jahre zurückliegt. Aus politisch-korrekter Sicht natürlich höchst fragwürdig, wie – wenn man sich den Entstehungszeitraum anschaut – so vieles zu dieser Zeit. Man sollte aber nicht nach heutigen Maßstäben messen, sondern die Geschichten und deren Zeitgeist so akzeptieren, wie sie dargestellt sind: zeitgenössisch und akkurat. Eben solch eine Umsetzung erwartet man als Leser auch, wenn man zu einer Comicstrip-Sammlung von 1946 – 1947 greift. Ich will keine Aufbereitung nach heutigen Maßstäben, die vielleicht in 2 bis 3 Jahren eh nicht mehr aktuell ist, sondern eine adäquate Wiedergabe dessen, was damals in die Tageszeitungen gedruckt wurde.

Und der Bocola Verlag sorgt dafür, dass wir dieses auch bekommen. Nicht nur das, hat man sich für die deutsche, preisgekrönte Gesamtausgabe noch mal extra ins Zeug gelegt und toppt damit die amerikanische Veröffentlichung von IDW gleich um mehrere Level. Wie Verleger Achim Dressler zu Beginn erklärt, wurden die Strips der US-Ausgabe um ca. 10% beschnitten, was die einzelnen Panels am unteren Bildrand geradezu kastriert. Die Bocola Edition - Hardcover-Querformat (30,5 x 28,0 cm) – verfügt über die komplette Ansicht und hat noch einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem US-Pendant: Laut Herrn Dressler fanden sich in französischen und italienischen „Rip Kirby“-Veröffentlichungen qualitativ hochwertigere Strips, als die US-Gesamtausgabe vorweisen kann. Vergleicht man die entsprechenden Seiten miteinander, fällt auf, dass die deutsche Bocola-Veröffentlichung der Amerikanischen von IDW haushoch überlegen ist. Das gelungene Vorwort von Dean Mullaney, dem Herausgeber der US-Ausgabe, und der mehrseitige, einleitende Text von Tom Roberts (Raymond-Experte und Verfasser dessen Biografie „Alex Raymond: His Life and Art“) wurden erfreulicherweise (samt seltenem Bildmaterial und frühen Charakter-Entwürfen) in die deutschsprachige Veröffentlichung integriert.

Fazit:

Weit, weit überholte Rollen-Klischees, ein weltgewandter Tausendsassa à la „Batman“ (ohne Kostüm, dafür MIT Butler), den die Frauenwelt anschmachtet und Kriminalfälle, die heute höchstens im Regionalteil der Zeitung mit den „vier Buchstaben“ Erwähnung finden würden. Kann das auch 2019 noch funktionieren? Ja… kann es. Angenehm unaufgeregt und clever durchdacht, lesen sie die Kurz-Episoden am Stück hervorragend. Die Bocola-Gesamtausgabe ist zudem hervorragend ausgestattet und macht ihrem Namen alle Ehre. Für bibliophile Freunde von Comic-Klassikern ein uneingeschränkt empfehlenswerter Pflichtkauf.

Rip Kirby: Die kompletten Comicstrips – Band 1 (1946 – 1947)

Ward Greene, Alex Raymond, Alex Raymond, Bocola

Rip Kirby: Die kompletten Comicstrips – Band 1 (1946 – 1947)

Weitere Comics der Serie:

Ähnliche Comics:

Deine Meinung zu »Rip Kirby: Die kompletten Comicstrips – Band 1 (1946 – 1947)«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Alita:
Battle Angel

Der „Große Krieg“ ist seit 300 Jahren vorbei. Unter der gigantischen Himmelsstadt Zalem, der letzten ihrer Art, befindet sich Iron City. Hier sind alle Strukturen zusammengebrochen, was die Straßen - speziell nach Einbruch der Dunkelheit – zum gefährlichen Pflaster werden lässt. Im Jahr 2563 sind Cyborgs keine Seltenheit mehr und viele von ihnen verdienen sich ihr Geld als Kopfgeldjäger… sogenannte Hunter-Warrior. Titelbild: © 2019 Twentieth Century Fox

mehr erfahren