Text:   Zeichner: Colleen Doran

Ohne Furcht und Tadel

Ohne Furcht und Tadel
Ohne Furcht und Tadel
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonAug 2023

Story

Charmant, schwungvoll und mit viel Herz. Gaiman lässt ein aberwitziges Szenario alltäglich erscheinen.

Zeichnung

Ein aufwändiger Augenschmaus, dem man die Liebe zum Detail auf jeder Seite ansieht. Die Bleistift-Skizzen im Bonusteil sind für mich die Kirsche auf der Sahne.

Macht sich bestimmt gut auf dem Kamin…

Klopf, klopf…

Also bei mir standen ja schon die merkwürdigsten Gestalten vor der Tür, von den Zeugen Yeboahs bis hin zu irgendwelchen Tantchen vom Orden der Jedi (wenn ich das richtig verstanden habe), aber SO einen schrägen Typen, wie den, den es auf die Schwelle der rüstigen Mrs. Whitaker verschlagen hat, hat es selbst im Ruhrgebiet noch nicht gegeben…

Die gute Mrs. Whitaker, Rentnerin und verwitwet, geht mal wieder routiniert ihrem Alltag nach. Wie jeden Donnerstag hebt sie Geld ab und streift danach noch durch die beschaulichen Straßen ihres Heimatstädtchens. Wie immer führt sie ihr Weg in den örtlichen Second-Hand-Shop. Dort gibt es immer allerlei Feines zu entdecken, und für Deko ist doch immer irgendwo Platz. So stöbert sie zwischen Kleiderständern, aufgetürmten Nippes und Bücherrega… HUCH, da sind doch tatsächlich zwei günstige Schmachtfetzen ihres favorisierten Romantik-Verlags! Na, da hat sich der Bummel ja schon mal gelohnt. Dennoch gräbt sie sich weiter durch die Kuriositäten… und entdeckt versteckt unter einem alten Pelzmantel einen schicken Kelch. Der würde sich doch supi auf dem Kaminsims machen. Gleich zwischen einer Porzellanfigur und dem Foto des verblichenen Gatten. Gesagt, getan. Zu einem Preis von 30 Pence kann man dann auch nur schwer Nein sagen. Also bringt Mrs. Whitaker den leicht ranzigen Kübel und die beiden Kitsch-Schinken in ihr uriges Häuschen. Das Ding ist schon sehr fleckig, aber nichts, was ein wenig Essig und Metallpolitur nicht beheben könnten. Schick sieht er aus, wie er da über dem Kamin glänzt…

Auch der nächste Tag verläuft in gewohnt geregelten Bahnen. Jedenfalls so lange, bis es am Nachmittag an Mrs. Whitakers Tür klingelt. Gar nicht auf Besuch eingestellt, ist die Gute schon etwas überrascht, als ein blonder Jüngling von strahlender Schönheit auf der Matte steht. Kann passieren. Nur tragen die wenigsten Burschen eine prachtvolle Ritterrüstung… und parken ihr edles Streitross vor Gartenzäunen britischer Damen fortgeschrittenen Alters. Der Jüngling befindet sich auf einer Quest und stellt sich als Galahad vor, Ritter der Tafelrunde und unterwegs im Auftrag von ihrer Majestät Arthur, dem König aller Briten. Oha, das macht schon Eindruck! Ach ja, und außerdem hätte er gerne den Heiligen Gral zurück.

Mit großem Aufwand

Das muss man erstmal sacken lassen, was? Und ausgedacht hat sich diese skurril-unterhaltsame Geschichte Neil Gaiman, seines Zeichens „Sandman“-Schöpfer und Brit-Popper der gepflegten Fantasy-Literatur. Mit „American Gods“ und „Coraline“ räumte er ordentlich Preise ab. Leider war die TV-Serie zum Erstgenannten nur halbwegs gelungen und hat mich dann auch auf halbem Wege komplett verloren. Die Verfilmung seines Romans „Der Sternwanderer“ kann man hingegen guten Gewissens als modernen Genre-Klassiker bezeichnen. Auch die schräge Film-Adaption seiner Kurzgeschichte „How to Talk to Girls at Parties“ ist einen Blick wert, oder man gönnt sich den passenden Comic aus dem DANTES VERLAG. Beides eine gute Wahl, obwohl der spielfreudige Cast es allein schon wert wäre. Die NETFLIX-Adaption seines wegweisenden „Sandman“-Comics kann ich ebenfalls nur jedem Fantasy-Freund nur dringlichst ans Herz legen. Aktuell ist die zweite Staffel der Serie „Good Omens“ am Start, aber Gaiman-Fans werden damit bestimmt längst durch sein.

So irre sich die Story von „Ohne Furcht und Tadel“ anhört, so absurd-alltäglich ist sie dargestellt. Als wäre es das Normalste der Welt, das wohl bedeutendste Artefakt der Geschichte für einen Spottpreis in einem Nippes-Shop zu erstehen. Von der historischen Verortung mal ganz abgesehen! Darin, diese Prämisse dann als fast schon gewöhnlich darzustellen, liegt dann auch die Erzählkunst von Neil Gaiman. Mit reichlich Charme, britischem Humor und schwer unterhaltsamen Dialogen zwischen der leicht sturen Mrs. Whitaker und dem fast schon verzweifelten Galahad spinnt der Autor eine geistreiche Kurzgeschichte, die vielen Leserinnen und Lesern ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern dürfte. Getoppt wird die Story aber noch von den wunderschönen Illustrationen.

Auf den ersten Blick fällt auf, wie viel Aufwand in die Umsetzung geflossen sein muss. Colleen Doran hat mit ihren hauchzarten Bildern den idealen Weg gefunden, die Leichtigkeit der Geschichte zu transportieren. Sanfte, freundliche Farben, verschnörkelte Details und viel Kreativität befüllen die Seiten. Kein Wunder, ist Doran doch laut eigenen Aussagen ein großer Fan von Artus-Geschichten jeglicher Art. Ganz besonders diese Geschichte hatte es ihr angetan. So sehr, dass sie Gaiman 25 Jahre wegen einer Comic-Umsetzung bekniete. Lange Zeit ein unmögliches Unterfangen, saß doch ein Filmstudio auf den Rechten an der Geschichte. Ein Glücksmoment sondergleichen, als plötzlich doch noch eine Zusage kam. Jedoch auch mit Ehrfurcht verbunden, wollte Colleen Doran ihr Traumprojekt doch möglichst perfekt umsetzen. Ausführlich spricht sie im Bonusteil über den Entstehungsprozess. Dort finden sich auch tolle Auszüge aus ihrem Sketchbook.

Fazit:

Nach „Snow, Glass, Apples“ die nächste Zusammenarbeit mit Bestseller-Autor Neil Gaiman. Künstlerin Colleen Doran begeistert mit unfassbar schönen Illustrationen, was „Ohne Furcht und Tadel“ zu Recht einen EISNER AWARD einbrachte. Mit „Die Trollbrücke“ steht bereits die nächste Adaption einer Gaiman-Story in den Händlerregalen.

Ohne Furcht und Tadel

Neil Gaiman, Colleen Doran, Splitter

Ohne Furcht und Tadel

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