Text:   Zeichner: Tyler Crook

Harrow County - Omnibus Eins

Harrow County - Omnibus Eins
Harrow County - Omnibus Eins
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Marcel Scharrenbroich
10101

Comic-Couch Rezension vonOkt 2023

Story

Unglaublich dicht erzählt, ist „Harrow Country“ ein sich stetig steigerndes Horror-Highlight!

Zeichnung

Wasserfarben in Perfektion. Hat man sich an den recht kindlichen Look erstmal gewöhnt, kann man voll und ganz eintauchen.

Was war, wird wieder sein…

Hau(p)tsache lebendig!

Das ländliche Harrow County hat eine bewegte Vergangenheit. Eine reichlich düstere noch dazu. Hester Beck war einst ein geachtetes Mitglied der kleinen Gemeinde. Nicht nur geachtet, auch sehr geschätzt für ihre besonderen Gaben. Mit nicht erklärbaren Mächten im Bunde, heilte sie die Kranken, ließ ihre Leiden wie von Geisterhand verschwinden. Da wurde es toleriert, dass in Hesters Anwesenheit das Vieh verendete. Was nicht toleriert wurde, war, dass Hester ihre Kräfte nähren musste. In teuflischen Ritualen verführte sie die Kinder, opferte die Schwächsten sich selbst und den Haints, ihren verbündeten Geistern und Ghulen, die ungesehen durch bedrohliche Schatten streiften. Als die Dorfbewohner mit eigenen Augen sahen, was Hester Beck in Wirklichkeit war, war ihr Ableben schnell beschlossene Sache. Doch wie tötet man jemanden, der scheinbar mit dem Teufel im Bunde war? Die Gemeinschaft ging kein Risiko ein. Die Hexe wurde erschossen, erstochen und schließlich an einer alten Eiche erhängt, bevor man sie in Brand setzte. Noch während ihr Fleisch von den Knochen schmolz, schwor sie Rache… und dass sie eines Tages zurückkehren würde.

Fast achtzehn Jahre später steht Emmy Crawford kurz vor der Volljährigkeit. Sie lebt zusammen mit ihrem Pa auf einer Farm, wird aber zunehmend von grausigen Albträumen geplagt. Sie ahnt nicht, dass sie unter genauer Beobachtung steht. Ganz Harrow County bewacht ihren Werdegang mit Argusaugen. Auch ihr Vater, kann dieser doch nicht ignorieren, dass er in jüngster Zeit mit dem Vergraben toten Tiers kaum noch nachkommt.

Als Emmy im nahen Wald einen mysteriösen Jungen erblickt, der sobald reißausnimmt, stürmt sie ihm gedankenlos hinterher. Fündig wird sie in dichtem Dornengestrüpp. Der erste Schreck ist groß, denn an den spitzen Dornen hängt lediglich die gesamte Haut des Jungen. Und sie wimmert, und… spricht? Hat sie da tatsächlich einen Haint gefunden? Kurzentschlossen nimmt Emmy die Haut mit (würden wir das nicht alle tun?) und verstaut sie in einer Schublade (wo sonst?) ihres Zimmers.

In der Nacht kehren ihre Albträume zurück. Die alte Eiche vor ihrem Fenster scheint sie dabei zu rufen… zu warnen. Als sie anschließend eine Stimme aus der Schublade hört, merkt sie schnell, dass die Haint-Haut als Empfänger fungiert. Der zugehörige hautlose Junge agiert regelrecht als ein Spion und schnappt ein Gespräch auf, dass er durch die Haut an das Mädchen wiedergibt. Dabei wird sie Ohrenzeugin von etwas, das ihr ganzes bisheriges Dasein auf den Kopf stellen wird: Emmy ist die Reinkarnation von Hester Beck. Ihr achtzehnter Geburtstag steht kurz bevor… und soll zugleich das Ende ihres kurzen Lebens besiegeln.

Herbstliche Hexerei

Selten sah ich stimmungsvollere Farben in einem Comic. Und dank des hervorragenden Drucks (auf hochwertigem Papier!), leuchten diese regelrecht. Künstler Tyler Crook hat seinen ganz eigenen Stil, Menschen zu zeichnen, der – zugegeben – erstmal etwas gewöhnungsbedürftig ist. Ähnlich den Zeichnungen von Jeff Lemire, die unter Comic-Freunden stets umstritten sind, zeichnet Crook seine Charaktere eher schlicht. Dass das nicht zwingend schlecht sein muss, hat er bereits im „Black Hammer“-Spin-off „Colonel Weird - Cosmagog“ bewiesen (übrigens von Lemire geschrieben). Dort waren es seine psychedelischen Bilder, die mich sofort mitgerissen haben. In „Harrow County“ geht er fast gegensätzlich vor, obwohl man seinen Stil klar wiedererkennt. Sieht man mal vom übernatürlichen Horror-Aspekt ab, ist die Handlung nämlich sehr geerdet. Viel Sonnenlicht, viel Natur und ein tolles Spiel mit herbstlichen Farbtönen. Die Aquarelle sehen einfach fantastisch aus, sodass die anfangs noch befremdlich wirkenden Figuren wie aus einem Guss in die strahlende Szenerie eintauchen. Die jeweiligen Kapitel starten stets mit Doppelseiten, die nicht nur toll den Ton vorgeben, sondern auch noch atemberaubend schön aussehen. Lediglich die Kapitel 9 und 12 wurden nicht von Tyler Crook umgesetzt. Hier sprangen die Zeichnerinnen Carla Speed McNeil und Hannah Lavender ein.

„Harrow County“, ursprünglich in den Staaten zwischen 2015 und 2018 veröffentlicht, konnte 2016 gleich zwei Ghastly Awards abräumen. Einen Preis, der außergewöhnliche Horror-Comics und ihre Schöpfer würdigt. Im selben Jahr war der Indie-Überraschungshit sowohl für den Bram Stoker Award als auch für den Eisner Award nominiert. Autor Cullen Bunn, den man hierzulande durch den Mystery-Western „Die sechste Waffe“ (ALL VERLAG), „Deadpool - Killustrierte Klassiker“, „Deadpool killt das Marvel-Universum“, „Spider-Man - Season One“ oder auch „Uncanny X-Men“ (alle bei PANINI erschienen) kennt, hat ein fantastisches Gespür für schleichenden Horror. Er nutzt das idyllische Setting, um uns nach einem saftigen Einstieg immer tiefer ins Grauen zu führen. Dabei überrascht er immer wieder mit bizarren und bisweilen verstörenden Einfällen, sodass man sich als Leser nur zu gerne ins trügerische „Harrow County“ entführen lässt.

Hautlos

Der erste Omnibus-Band beinhaltet gleich die erste Hälfte der kompletten Story. Kurz zur Erklärung: Als Omnibus bezeichnet man komplette Geschichten, die man nach der Veröffentlichung von Einzelheften in gebundener Form am Stück lesen kann. Man könnte es auch Gesamtausgabe nennen. „Band Eins“ besteht aus sechzehn Kapiteln, was in der Summe etwas über vierhundert Seiten macht. Also ein ordentlicher Wälzer (mit Lesebändchen), der sich den Namen „Omnibus“ redlich verdient hat. Der Schweizer Verlag SKINLESS CROW, der bislang mit einer feinen Auswahl von US-Genre-Perlen auf sich aufmerksam machte, hat sich die gefeierte DARK HORSE-Serie für ihre deutschsprachige Premiere geschnappt. Und der Titel passt hervorragend in deren Programm. Mit rund 80€ nicht ganz günstig, muss aber gesagt werden, dass man sehr viel Inhalt für sein Geld bekommt. Mit dem atmosphärischen Horror kann man gut und gerne mehrere Tage verbringen. Außerdem stimmt die Qualität des auf 666 Exemplare limitierten Hardcovers. Das überformatige Buch (einen Tick kleiner als reguläre SPLITTER-Alben) kommt mit edlen Spotlack-Applikationen auf der Front und sollte Liebhaber hochwertiger Comic-Bücher voll und ganz zufriedenstellen. Auch wenn sowohl Euer Geldbeutel als auch Euer Regal etwas ächzen werden, ist „Harrow County“ nicht nur optisch ein Gewinn für jede Sammlung.

Fazit:

Der perfekte Horror-Comic für verregnete Abende. Allein die Zeichnungen sorgen schon für Herbststimmung, während die dichte Story mit leichtem Südstaaten-Flair sich stetig weiterentwickelt und für eine schleichende Gänsehaut sorgt. Toll gezeichnet, noch besser koloriert und stets fesselnd erzählt.

Harrow County - Omnibus Eins

Cullen Bunn, Tyler Crook, Skinless Crow

Harrow County - Omnibus Eins

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