Text:   Zeichner: Aveline Stokart

Elle(s) - 1. Die Neue(n)

Elle(s) - 1. Die Neue(n)
Elle(s) - 1. Die Neue(n)
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Marcel Scharrenbroich
10101

Comic-Couch Rezension vonMai 2023

Story

Herzlich, intelligent und fantasievoll. Ein spannender Comic für alle Altersklassen.

Zeichnung

Atmosphärische Bilder und ein tolles Figuren-Design. Wenn auch ein wenig detailarm, sind die farbenfrohen Panels ein echter Genuss.

Mein Leben und ich… und ich, und ich, und ich, und ich.

Aller Anfang ist schwer… Oder auch nicht. Oder doch?

Schon, denn niemand ist gern die oder der „Neue“. Ob im Job, im eingeschworenen Bekanntenkreis oder halt in der Schule. Zuerst muss sich prüfenden Blicken gestellt werden, bevor der hoffentlich gute erste Eindruck sich (idealerweise) über die Phasen der Akzeptanz, Vertrauen und vielleicht sogar Freundschaft (oder mehr?) entfalten kann. Es gibt Menschen, die wie eine Abrissbirne und ohne Rücksicht auf Verluste ins neue Umfeld krachen. Dann gibt es die, die sich langsam herantasten, offenherzig und aufmerksam sind. Und es gibt die, die zu ängstlich und verschüchtert sind, neue Bekanntschaften zu knüpfen. Unsicherheit? Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht? Alles möglich. Teenagerin Elle, die gerade ihren ersten Tag an einer neuen Schule in Angriff nimmt, fällt in… nun ja, so ziemlich alle der genannten Kategorien.

Buntes Chaos im (und auf dem) Kopf

Die Elle, die wir Lesenden mit pinkem Haarschopf sehen, ist aufgeschlossen, selbstbewusst und kontaktfreudig. So dauert es nicht lang, bis der Teenager erste Kontakte knüpft. Schon äußerst neugierig auf die neue Mitschülerin, nimmt die kleine Gruppe, bestehend aus der grundsympathischen Maëlys, Fashion-Victim Farid, der leicht verpeilten Line und dem alle Mädels anhimmelnden Otis, „die Neue“ gleich herzlich in ihren Freundeskreis auf. So weit, so gut.

Als sich zwischen Elle und dem Hals über Kopf verknallten Otis eine Romanze anbahnt, sorgt das allerdings für etwas Chaos in Elles Gefühlswelt. Schulstress und Auseinandersetzungen mit den Schulzicken heizen Elles innerlichen Konflikt noch weiter an. Unter der pinken Haarpracht geht es nämlich heiß her. In Elle kämpfen gleich mehrere Persönlichkeiten um die Vorherrschaft, was der überforderte Teenager nur noch schwer kontrollieren kann. Bricht die blonde Elle hervor, gibt es meist kein Halten mehr. Auf Regeln wird gepfiffen und man legt sich lieber nicht mit ihr an… weder Freund noch Feind. Ganz anders die verschüchterte brünette Elle. In sich gekehrt und grüblerisch, wird sie nur noch von ihrer grünhaarigen Version getoppt, die stumm ist und nichts und niemanden an sich heranlässt. Elle mit den lila Haaren ist hingegen sorglos, flirty unterwegs und stets für grenzwertigen Schabernack zu haben. Zu sagen, es wäre „kompliziert“, wäre also noch sehr stark untertrieben. Keine Frage, dass Elles wankelmütiges Wesen schnell für Gesprächsstoff sorgt. So sorgen sich natürlich auch ihre Freunde, denen gegenüber sich das überforderte Mädchen nur zaghaft öffnet.

Das Mädchen mit den blauen Haaren

Hinter den Kulissen, besser gesagt sicher verwahrt in Elles verschlungener Psyche, gibt es jedoch noch eine Persönlichkeit, die bislang nicht für alle sichtbar in Erscheinung getreten ist. Eine düstere Version von Elle, die durch ihre leuchtend blauen Haare und der entsprechend schimmernden Aura sofort unheilschwangeren Eindruck hinterlässt. Sie wartet nur darauf, die Oberhand zu gewinnen und herauszubrechen. Stark, für eine Kontrollübernahme jedoch noch nicht stark genug, zieht sie die Strippen und sorgt dafür, dass Elles verschiedene Persönlichkeiten zu den unpassendsten Momenten das Ruder übernehmen.

Als wäre all dies nicht – vor allem für Elle – verwirrend genug, wird sie auch noch mit Ungereimtheiten über ihre Herkunft konfrontiert. Die Geheimniskrämerei ihrer Mutter und der fremde Typ, der sie auf Schritt und Tritt zu verfolgen scheint, machen es da nicht unbedingt leichter…

Elles Welt steht Kopf

Dass Gefühlsregungen farblich dargestellt werden, haben wir bereits im Oscar-prämierten Animationsfilm „Alles steht Kopf“ gesehen. Die knuddelig-bunten Emotionen sorgten für Chaos und Spaß gleichermaßen, was dem Disney/PIXAR-Streifen das Prädikat (der Deutschen Film- und Medienbewertung) „besonders wertvoll“ einbrachte. Ein ähnliches Siegel würde ich Kid Toussaints gleichermaßen klugen wie unterhaltsamen Comic ebenfalls ohne zu zögern ausstellen. So herzlich und humorvoll die Story auch ist, so befasst sie sich ebenso mit dem Thema der psychischen Erkrankungen. Genauer gesagt mit der Dissoziativen Identitätsstörung. In Filmen, Büchern oder Serien für Erwachsene gerne Genre-übergreifend genutzt (z.B. „Identität“ oder „Split“), ist dieses Krankheitsbild in einem Young-Adult-Comic vielleicht etwas unerwartet, jedoch äußerst fantasievoll dargestellt. Menschen, die unter einer Dissoziativen Störung leiden, blenden nach traumatischen Erlebnissen häufig Teile ihrer Persönlichkeit aus. Ein Schutzmechanismus der Psyche, die dem begrifflichen Ursprung nach wortwörtlich „auseinanderfällt“. Unterschiedliche Identitäten, jede von ihnen ausgestattet mit eigenen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften, können dann die Kontrolle übernehmen. Toussaint stellt die Krankheit nicht als solche in den Vordergrund, vermeidet es auch sie als diese klar zu benennen, macht sie jedoch auf behutsame Art greifbar. Bisher bleibt Elles Vergangenheit noch weitestgehend verschwommen, doch das wird sich vermutlich schon im nächsten Band ändern. Ob es Elle durch therapeutische Sitzungen, durch die Hilfe ihrer Freunde oder durch eine direkte Konfrontation mit ihrem eingesperrten Ich gelingt, ihre Dämonen zu besiegen, darf man gespannt erwarten, wenn im September 2023 mit „Universell(e)“ der zweite Band dieser herausragenden Serie in den Handel kommt.

Auch der Look von „Elle(s)“ lässt mich ziemlich begeistert zurück. Freundlich, farbenfroh und mit einem äußerst niedlichen Character-Design, schafft es Newcomerin Aveline Stokart auf Anhieb zu begeistern. Die farbliche Darstellung der jeweils agierenden Elle spielt der grafischen Präsentation natürlich voll in die Karten, sodass wir Leser jederzeit sehen können, welche Persönlichkeit nun die Oberhand hat. Allerdings gibt sich Stokart nicht nur mit farblichen Unterschieden zufrieden. Gestik und Mimik sind ebenfalls auf den jeweiligen Charakter abgestimmt. An der künstlerischen Höchstwertung hindert mich nur die Tatsache, dass den hübschen digitalen Bildern ein wenig Detailverliebtheit fehlt. Kleinigkeiten im Hintergrund hätten der Lebendigkeit zusätzlich gutgetan, doch darauf will ich mich jetzt nicht einschießen.

Fazit:

Nicht nur die jüngere Zielgruppe wird begeistert sein! „Elle(s)“ überzeugt mit einer klugen Story, mega-sympathischen Figuren und einem modernen wie schönen Zeichenstil. Ein Young-Adult-Comic mit Seele UND Herz.

Elle(s) - 1. Die Neue(n)

Kid Toussaint, Aveline Stokart, toonfish

Elle(s) - 1. Die Neue(n)

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